Die Busse erhalten mehr Goodwill als das Tram

Die neusten Pläne im Rahmen des Gesamtverkehrskonzepts (GVK) Baden und Umgebung stossen dem VCS Aargau sauer auf.

Das Tram wie die Limmattalbahn brauche es erst ab 2040. zVg

Das Tram wie die Limmattalbahn brauche es erst ab 2040. zVg

Die Behördendelegation des GVK hat Entscheide für die weiteren Planungen getroffen. Die Delegation besteht aus den Gemeinde- und Vizeammännern der Region sowie der Regionalplanungsverbände Baden Regio und Zurzibiet Regio sowie dem Departement Bau, Verkehr und Umwelt mit Vorsteher Stephan Attiger und Mitarbeitenden sowie dem Planerteam. In der Medienmitteilung schreibt sie, dass das Angebot des öffentlichen Verkehrs mit der Weiterentwicklung des Busnetzes bis 2040 genüge. Damit lasse sich die geforderte Kapazität bereitstellen. Nach 2040 sollen ergänzend ÖV-Korridore gesichert werden, die auch für ein Tram-Angebot geeignet wären. Je nach Siedlungsentwicklung könnten die Kapazitäten nach 2040 nicht mehr nur mit Buslinien gedeckt werden. Aus diesem Grund wurde die Projektleitung beauftragt, geeignete Korridore für einen Trambetrieb aufzuzeigen und erforderliche Flächen sicherzustellen.

Starker Verkehr bereits heute

Ein weiterer Knackpunkt des GVK sind die drei Limmatquerungen Siggenthalerbrücke, Hochbrücke Baden und Limmatbrücke zwischen Wettingen und Neuenhof. Diese sind bereits heute durch den motorisierten Verkehr stark belastet. Mit der bis 2040 prognostizierten Zunahme des motorisierten Individualverkehrs um 20 Prozent werden diese Überlastungen ohne entsprechende Massnahmen künftig deutlich verstärkt.

Im Bereich der Siggenthalerbrücke und der Limmatbrücke zwischen Wettingen und Neuenhof sind die Defizite im Vergleich zur Hochbrücke Baden überschaubar. Dagegen ist der Brückenkopf Ost bei der Hochbrücke Baden seit der Umgestaltung des Schulhausplatzes zum kritischen Brennpunkt geworden. Das Planerteam hat der Behördendelegation Massnahmen für drei Zeithorizonte vorgeschlagen: Kurzfristig sollen die Radstreifen auf der Hochbrücke verbreitert werden, zudem sollen einzelne Fahrbeziehungen am Brückenkopf Ost und dem Knoten Schartenstrasse angepasst werden, um den Verkehrsfluss stabiler zu gestalten und den ÖV zu priorisieren. Mittelfristig soll der Veloverkehr im Bereich des Brückenkopfs Ost mit Unterführungen und einer neuen Velobrücke über die Limmat vollständig eigentrassiert werden. Langfristig wurden für eine vollständige ÖV-Eigentrassierung drei weitere, umfassendere Massnahmen aufgezeigt, unter anderem die in der Vorphase vorgeschlagene Umnutzung der Hochbrücke inklusive Bau einer neuen Limmatbrücke für den Autoverkehr.

Doch mit Umfahrungstunnel?

Bei der Zentrumsentlastung liegt nun erneut der Umfahrungstunnel auf dem Tisch. So wird eine lange Variante einer Umfahrung von der Kantonsstrasse bei Kirchdorf über die Limmat mit Anschluss an die Kantonsstrasse im Wilerloch und durch einen Tunnel zum A1-Anschluss Neuenhof geprüft und eine kurze Variante, welche die zentrumsnahe Umfahrung der Badener Innenstadt zum Ziel hätte. Diese Vorentscheide der Behörden seien keine definitiven Beschlüsse, sondern Vorgaben für weitere Planungen im Hinblick auf die vierte Mobilitätskonferenz im Mai/Juni 2024.

Öffentlichen Verkehr ausgebremst

Der Verkehrsclub der Schweiz (VCS), Sektion Aargau, spricht in seiner Stellungnahme von einem Ausbremsen des öffentlichen Verkehrs. Der Entscheid der Behördendelegation, weiterhin auf Busse statt auf Trams zu setzen, lasse aufhorchen. «Anstatt die Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr voranzutreiben, liegt nun wieder der Umfahrungstunnel auf dem Tisch, der das Verkehrsproblem nicht löst, sondern verschiebt und hunderte Millionen Franken kostet, die für zukunftsfähige Lösungen fehlen», heisst es. Der VCS Aargau beobachte die Entwicklung im Planungsprozess GVK Raum Baden und Umgebung mit wachsender Sorge. Nachdem der grosse Widerstand der Bevölkerung im Siggenthal im Jahr 2021 zu einer Denkpause geführt hatte, weil ein Umfahrungstunnel zur Entlastung des Badener Stadtzentrums die umliegenden Gemeinden zusätzlich belasten würde, wird nun erneut über den Tunnel diskutiert.

Dagegen wehrt sich der VCS: Ein solcher Kapazitätsausbau führe unweigerlich zu einem weiteren Verkehrswachstum auf den Zufahrtsachsen. Attraktive und sichere Bedingungen für das Velo seien so nicht umsetzbar, und sichere Schulwege, die dem VCS ein besonderes Anliegen sind, blieben auch in Zukunft ein Wunschtraum. Der VCS spricht von einem hausgemachten Problem: «Die Zentrumsfunktion von Baden schafft Mobilitätsbedürfnisse, und das riesige Parkierungsangebot der Stadt ist eine Einladung, mit dem Auto anzureisen.»

VCS fordert mutige Schritte

Besonders enttäuscht zeigt sich der VCS vom Entscheid der Behördendelegation, den Ausbau des schienengebundenen ÖV auf Eis zu legen. «Damit torpediert diese strategische Steuergruppe, in der die Gemeinden der Region das Sagen haben, die Verlagerung auf den flächeneffizienten und klimaschonenden öffentlichen Verkehr. Stattdessen soll das Bussystem weiter ausgebaut werden, obschon die Busse schon heute vielerorts im Stau stecken bleiben und die Anschlüsse nicht gewährleistet sind.»

Mutige Schritte beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs seien gemäss VCS nötig, um angesichts des prognostizierten Wachstums die räumliche Entwicklung gezielt zu steuern. Der VCS beschreibt die Verlagerung als überfällig und als Voraussetzung für eine Entlastung im unteren Limmattal. «Die Frage ist nicht Limmattalbahn oder Bus; um die Voraussetzungen für die Verlagerung zu schaffen, braucht es ergänzend zum Bus dieses Tram via Neuenhof und Wettingen nach Baden und eventuell weiter via Siggenthal nach Turgi.

Immer deutlicher zeichne sich ab, dass der riesige Partizipationsprozess, den der Kanton Aargau im Raum Baden veranstaltet, nicht der Entwicklung innovativer Lösungen, sondern der Legitimation längst vorliegender Konzepte dient, die hauptsächlich auf die Bewältigung der wachsenden Verkehrsflut abzielten. Obwohl der Verkehr rund um Baden überwiegend hausgemacht sei, liessen Vorschläge, die auf eine Dämpfung der Mobilitätsnachfrage abzielten, auf sich warten.

Der VCS hat eigene Ideen: «Nötig wären in erster Linie Massnahmen des Mobilitätsmanagements, um Verkehr zu vermeiden und auf umwelt- und siedlungsverträgliche Verkehrsträger zu verlagern: ein Konzept der 15-Minuten-Stadt mit kurzen Wegen, die Reduktion des Parkierungsangebots im Zentrum, die Förderung dezentraler Versorgungs- und Arbeitsstrukturen, eine konsequente Priorisierung von Fuss- und Veloverkehr, der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und ein Roadpricing zur Brechung der Verkehrsspitzen, damit der ÖV nicht mehr im Stau stecken bleibt», heisst es in der Mitteilung.(ihk/zVg)

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