«Weiss nicht, ob wir es überstehen»

Wenn die Menschen wegen des Coronavirus nicht in die Ferien gehen, geben sie ihre Haustiere nicht auswärts in Pflege. Ein Besuch im Hundezentrum Würenlos.

Der Berner Sennenhund  Jumbo ist einer der Pensionsgäste im Hundezentrum von Helmut Primessnig in Würenlos. Rahel Bühler
Der Berner Sennenhund Jumbo ist einer der Pensionsgäste im Hundezentrum von Helmut Primessnig in Würenlos. Rahel Bühler

Würenlos, ein eingegittertes Areal zwischen Industriegebiet Tägerhard und Autobahnzubringer. Mehrere 1000 Quadratmeter gross. Auf der Anlage, umringt von Gehegen und Käfigen, stehen 15 Hundezwinger. Die Meisten sind leer. Helmut Primessnig schreitet voraus. «Jetzt wird es laut», warnt der Leiter des Hundezentrums Würenlos. Kurz nachdem er die überdachte Zwingeranlage betritt, beginnen einige Hunde zu bellen. «Hier sind jene, die sich nicht so gut mit den anderen vertragen. Deshalb halten wir sie einzeln», erklärt er. Draussen, beim Eingang des Zentrums, sind die Tageshorthunde in einem Gehege untergebracht. An diesem Tag sind es sieben. Der Berner Sennenhund Jumbo ist einer davon. «Wenn er auf mich zurennt und ich mich nicht achte, wirft er mich um», meint Primessnig und schmunzelt. In einem anderen Gehege sind seine eigenen Hunde. Zuchthunde der Rasse französische Bulldoge und Bolonka-Zwetna.

Seit 2003 betreut der gelernte Tierpfleger mit Partnerin Sandra Steinemann das Hundezentrum in Würenlos. Sie haben sich in dieser Zeit je drei Standbeine aufgebaut: Er betreut den Hundehort und die -pension, bildet Hunde aus und züchtet Bulldoggen und Bolonkas. Sie bietet Ausritte, Spaziergänge und Geburtstagsfeste mit Ponys an und hilft bei der Bolonka-Zucht mit. Nebst Hunden und Ponys leben auch Katzen, Nagetiere und Vögel auf dem Areal.

Normalerweise sind 20 bis 30 Hunde pro Tag im Hort

Während des ganzen Rundgangs zeichnet sich das gleiche Bild: Der Grossteil der Zwinger ist leer. Das Coronavirus ist der Grund. «Normalerweise beherbergen wir pro Tag 20 bis 30 Hunde im Hort», so Primessnig. In den Monaten März, April und Mai hätten sie zeitweise keine Gäste gehabt. Viele Menschen arbeiteten in dieser Zeit von Zuhause aus. So konnten sie sich selbst um ihre Haustiere kümmern. «Da haben wir mehr mit unseren eigenen Hunden und denen in Ausbildung gearbeitet.» Primessnig trägt ein graues T-Shirt, braun-graue Arbeiterhosen. Er sitzt am Tisch im Büro. «Ich weiss noch immer nicht, ob wir die Krise überleben.» Sie hätten viele Tiere verkaufen müssen: ein Zuchtrüde, zwei Zuchthündinnen, etwa 90 Prozent der 600 Vögel. Der Tierpfleger züchtet auch Blaugenick-Sperlingspapageie, Ziegensittiche, Wellensittiche und Kanarienvögel. «Für die Hundeschule haben wir Kurzarbeit angemeldet. Für den Hort und die Pension nicht.» Die Begründung des Bundes: Beim Betrieb von Hort und Pension könnten die Hundebesitzer und die Pensionsbetreiber den Abstand gut einhalten.

Die Sommerferien sind normalerweise die Hauptsaison des Hundezentrums. «Dann verdienen wir das ganze Geld.» Jetzt sei der Betrieb auf Sparflamme eingestellt.  An diesem Tag ist gar kein Hund in der Pension. Der 55-Jährige steht auf. Stapft zu einer Art Theke. Er blättert grosse Kalenderblätter um. 9 Hunde im Juli. 2 im August. «An Spitzentagen haben wir über 50 Hunde hier.» In dieser Zahl seien aber alle Hunde eingerechnet: Pension, Hort, Zucht, Ausbildung. 

Der Tierschutzverein im Aargau (ATS) betreibt in Untersiggenthal ein Tierheim. Sie nähmen auch Ferientiere auf, sagt Präsidentin Astrid Becker. «Während des Lockdowns durften wir das nicht.» Das habe zu einer finanziellen Einbusse geführt. «Wir arbeiten in Tierschutzfällen zwar mit dem Kanton zusammen, er unterstützt uns aber nicht.» 
In dieser Zeit hätten sie etwas mehr Anrufe, von Leuten erhalten, die ein Tier bei sich aufnehmen wollten. «Wir mussten ihnen dann erklären, dass wir keine Tiere an Leute herausgeben, die nach dem Lockdown merken, dass sie gar keine Zeit haben.» Der Anstieg an Findelkatzen hingegen sei massiv: «Im Vergleich zu 2019 haben wir doppelt so viele», so Becker. Ob es am Lockdown liege, könne sie nicht sagen. 

Brigitta Vogt-Schmid betreibt in Würenlos die Katzenpension Merlin’s Ferieninsel. Normalerweise hätte sie 20 Plätze. Seit 16. März sei die Pension geschlossen gewesen, berichtet sie. Gäste seien ausgeblieben. Für ihre Angestellte, die ihr stundenweise unter die Arme greift, habe sie Kurzarbeit angemeldet. Jetzt, in der Hauptsaison wäre sie normalerweise ausgebucht: «Viele Kunden haben ihre Reservationen jedoch annulliert», sagt Vogt-Schmid. Ab Mitte Juli seien ihre 20 Plätze dann wieder reserviert. Ob die Kunden ihre Katzen dann aber tatsächlich in die Pension bringen, hänge jetzt von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab: «Wenn die Leute nach ihren Ferien in die Quarantäne müssen, werden sie sich doch wieder umentscheiden.»  Sie freue sich über jeden neuen Gast, sagt aber auch: «Hauptsache, wir bleiben gesund.»

Primessnig ist überzeugt: «Die Krise ist noch nicht ausgestanden.» Er verweist auf die zu diesem Zeitpunkt dreistelligen Neuansteckungen pro Tag. Bereits hätten Kunden Buchungen während der Sommerferien rückgängig gemacht. Wo er sich in einem halben, Jahr, einem Jahr sieht? «Keine Ahnung. Das Umherstehen verleiht einem ein ohnmächtiges Gefühl.» Mit dieser Ungewissheit umzugehen, sei schwierig. 
Trotz allem: Er mache seine Arbeit gerne, sagt er. Er «hündele» seit seinem siebten Lebensjahr. Habe immer Hunde gehalten. «Das Schönste ist, wenn man Fortschritte sieht.» Fortschritte? «Wenn ein Hund Probleme macht, also in der Stadt andere Hunde anbellt oder anspringt, man mit ihm arbeitet und der Besitzer dann wieder in die Stadt gehen kann und der Hund seelenruhig neben ihm her trottet.»

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