Einblick in das Leben von Leuten aus Würenlos

Alexandra Zihlmann gibt im Buch «Würenloser Lebensgeschichten» Einblick ins Leben von 35 Menschen, die in Würenlos leben oder gelebt haben. Und hier in ihr eigenes.
«Erinnerungen weitergeben, damit sie nicht verloren gehen», lautet der erste Satz im Buch von Alexandra Zihlmann, die eigentlich gar nicht Autorin genannt werden will. «Die Porträtierten sind die Autoren und Erzählenden, ich bin nur der Schreiberling», sagt sie bescheiden. So ganz stimmt das aber nicht, denn Alexandra Zihlmann hat aufgeschrieben, was die 35 Personen aus Würenlos dereinst dem Publikum am «Träff 55» über sich berichtet haben. Von 2012 bis 2020 hat Zihlmann immer wieder Persönlichkeiten aus Würenlos eingeladen und liess sie vor den Teilnehmenden des Träffs ihre Lebensgeschichte erzählen. Etwa die von Jan Olof Stenflo, der in Schweden aufwuchs und aufgrund seiner Astronomieforschung an der ETH und der Universität nach Würenlos zog. Oder jene von Claudia Markwalder-Sozzi und Hans Markwalder, die über ihre Weltreise berichteten.
Will Versprechen halten
Beeindruckt war sie von Naturwissenschaftler Heinrich Ursprung. «Er hat seine Notizen vergessen und aus dem Stegreif druckreif gesprochen», sagt die 79-Jährige. Das hat ihr auch die Arbeit beim Transkribieren erleichtert. Zihlmann hat nämlich alle Vorträge aufgenommen und zu Papier gebracht – ohne Hilfe von künstlicher Intelligenz, betont sie lachend. «Eine Stunde Aufnahme gab etwa fünf Stunden Schreibarbeit», sagt sie und ist froh, dass das Buch nun gedruckt ist. Warum hat sie sich überhaupt die Mühe genommen, alles zu Papier zu bringen? «Ich habe es den Leuten doch versprochen», antwortet sie und fügt an, dass es auch eine Wertschätzung gegenüber den Referentinnen und Referenten war, die sich Zeit genommen haben, den Seniorinnen und Senioren am «Träff 55» ihre Geschichte zu erzählen.
Ihre eigene Geschichte hat sie nie vorgetragen. «Da hätte ich Hemmungen, ich wüsste gar nicht, was ich erzählen würde», sagt sie erneut bescheiden. Erst auf Nachfrage verrät sie, was es mit ihrem ledigen Namen Cebenko auf sich hat und wie sie aufgewachsen ist (siehe Box unten).
Historisches Zeitdokument
Das 240-seitige Buch, das von Gemeindeschreiber Daniel Huggler lektoriert und gestaltet wurde, wird in einer Auflage von 400 Exemplaren gedruckt und kann ab Mitte November für 45 Franken auf der Gemeindekanzlei und in der Buchhandlung Librium in Baden gekauft werden. Die Ortsbürgergemeinde Würenlos und der Verein Alterszentrum haben sich an den Produktionskosten beteiligt. Das Buch sei nicht nur eine Hommage an die Vortragenden, sondern auch ein wertvolles historisches Zeitdokument, teilte die Gemeinde mit.
Mit der Vernissage am Dorffest ist die Arbeit für Alexandra Zihlmann beendet. «In ein Loch fallen werde ich deswegen nicht», sagt die Seniorin lachend. Im Moment warte mit Haus und Garten noch genug Arbeit auf sie. Zudem sei sie am Räumen, um sich auf eine kleinere Wohnung vorzubereiten. «Älterwerden ist mit Abschiednehmen verbunden. Älterwerden ist wirklich nichts für Feiglinge.»
«Meine Wurzeln» – aus dem Leben von Alexandra Zihlmann-Cebenko
«Meine Eltern, Agathe Szelemech, geb. 1920, und Michael Cebenko, geb. 1917, stammten beide aus Galizien in Polen, das seit 1991 zum Westen der Ukraine gehört. Sie lernten sich nach dem 2. Weltkrieg kennen in Graz, Österreich, und heirateten 1945. Ein Jahr später kam ich zur Welt. 1950 wollte mein Vater nach Kanada auswandern mit uns. Sein Bruder war schon dort und sagte, er solle doch auch kommen, es sei gut in Toronto. Vor der Ausreise stellte man bei meiner Mutter bei der gesundheitlichen Kontrolle eine Tuberkulose-Erkrankung beider Lungenflügel fest und sie musste in ein Sanatorium zur Kur. Ich wurde in einem Kinderheim untergebracht, da meine Mutter mich nicht mit dem Vater allein nach Kanada gehen lassen wollte. Mein Vater wollte für Arbeit und Unterkunft für uns besorgt sein, bis meine Mutter wieder gesund sei. Sie wurde jedoch nicht so schnell geheilt. Im Jahre 1951 holte uns durch eine glückliche Fügung die Caritas in die schöne Schweiz. Wir fuhren mit dem Zug; meine Mutter im Liegebettwaggon und ich in Begleitung von Klosterfrauen und mit anderen Kindern in einem anderen Zugwaggon. Ich durfte meiner Mutter nur von Weitem zuwinken wegen der grossen Ansteckungsgefahr.
Etwas hat sich auf dieser Fahrt fest in mein Gedächtnis eingebrannt: Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie mir eine Nonne zwischen unserem Waggon und dem Liegebettwaggon meiner Mutter zeigen musste, dass dieser gut angekuppelt war und sich nicht lösen konnte von dem unsrigen. Damals musste man zwischen den Wagen nach draussen gehen und so waren die Kupplungen gut sichtbar. Ich schaute genau hin und erst als ich noch die zusätzlichen Ketten an den Kupplungen sah, die beide Wagen zusammenhielten, war ich beruhigt, dass meine Mutter nicht verloren gehen konnte. Sie wurde auf die Barmelweid bei Aarau gebracht und ich ins Kinderheim Wesmeli in Luzern. Bald holte mich ein kinderloses Ehepaar aus dem Heim heraus und ich erhielt bei ihnen einen guten Pflegeplatz. Sie nahmen mich auf wie eine eigene Tochter. So wuchs ich in Gränichen AG mit einer glücklichen und unbeschwerten Kinder- und Jugendzeit auf. Meine Pflegeeltern schenkten mir Liebe, Geborgenheit und Sicherheit. Gränichen wurde zu meiner Heimat, hier war ich zu Hause. Mit 20 Jahren liess ich mich einbürgern. Das war mein schönstes Geschenk.
Meine Mutter konnte erst nach drei Jahren, unterbrochen mit Rückfällen, aus dem Lungensanatorium Barmelweid als geheilt entlassen werden. Sie fand eine Arbeitsstelle bei der Schuhfabrik Bally in Schönenwerd. Ich wollte bei meinen Pflegeeltern bleiben, besuchte die Mutter jedoch jeden Sonntag. Meine Eltern fanden nicht mehr zueinander, die Trennung hatte zu lange gedauert.
Es stand – wie ich heute rückblickend dankbar feststellen darf – immer ein guter Stern über meinem Leben. 1972 heiratete ich meinen lieben Mann Sigi und wir durften in unser neues Heim in Würenlos einziehen, in dem wir noch heute wohnen. Es wurden uns zwei Töchter geschenkt. Beide sind glücklich verheiratet und beruflich stark engagiert. Sie bereiten uns grosse Freude, ebenso unser 9-jähriger Enkel.»