Wie man blind im Internet surft

Die Wettinger arwo-Stiftung stellte letzte Woche das Konzept der barrierefreien Homepage am Beispiel der eigenen Webseite vor.

Daniele Corciulo demonstrierte, wie Blinde das Internet nutzen. Foto: ska
Daniele Corciulo demonstrierte, wie Blinde das Internet nutzen. Foto: ska

«Für uns ist das auch eine Imagefrage – wenn nicht wir, wer dann?», erklärte Geschäftsführer Roland Meier die Motivation des arwo, ihre Homepage barrierefrei zu machen. Rund 50 Personen hatten sich am 22. April in der Stiftung eingefunden, um zu verstehen, was «barrierefrei» bedeutet. Daniele Corciulo, Mitarbeiter bei der Stiftung «Zugang für alle» und selber blind, demonstrierte eindrücklich, wie sich jemand ohne Hilfe der Augen durch das Internet bewegt. Mit der Tabulatortaste navigiert Corciulo durch die Webseite. Ein Sprachausgabegerät «liest» dabei dank Screenreader-Software die Einträge oder Buttons auf der Seite laut vor, ebenso ihre Position und Funktion. Zusätzlich ist an Corciulos Laptop eine Braille-Zeile angeschlossen – ein Gerät, das den angeklickten Text mit kleinen Metallstiften in Braille-Schrift übersetzt.

Corciulos Hände flogen über die Tastatur und die mechanische Stimme des Sprachausgabegerätes ratterte unverständliche Textstücke. Die Zuschauer waren verwirrt. Erst als Corciulo unter Lachen die Geschwindigkeit des Readers drastisch herunterschraubte und ganz langsam demonstrierte, wie er zum Beispiel eine Tageskarte auf der Wettinger Gemeindehomepage reservieren würde, ging ein erstauntes Raunen durch den Saal. «Barrierefrei bedeutet, dass man nicht länger braucht, sondern in der gleichen Zeit zur gewünschten Information gelangt», erklärte er seine Arbeit.

Die Stiftung «Zugang für alle» überprüft Webseiten auf Barrierefreiheit und stellt entsprechend Zertifikate aus. Die arwo hat ein solches bekommen. Viele andere Webseiten sind jedoch alles andere als barrierefrei, was Daniele Corciulo anschliessend eindrücklich bewies. Mit viel Humor zeigte er, wie es aussieht, wenn eine Webseite nicht barrierefrei programmiert ist. Für die Sehenden im Raum war klar, dass bei einer Online-Reservationsliste der Name und die Adresse einzufügen wären. Corciulo jedoch stand vor einem unüberwindbaren Hindernis: Beim Drücken der Tab-Taste erhielt er vom Reader keine Information, was in die entsprechende Spalte einzufügen gewesen wäre – die Information wurde beim Programmieren nicht hinterlegt.

Dass es einfacher ist, eine Webseite gleich bei der Erstellung barrierefrei zu programmieren, anstatt eine bestehende Homepage anzupassen, erklärte anschliessend Lidija Stoilova von der Firma Freeway, die die arwo-Homepage – aktuell das Vorzeigeprojekt der Firma – bearbeitet hat.

Nebst der technischen Seite ist für eine barrierefreie Webseite aber auch wichtig, dass eine Version in sogenannter «Leichter Sprache» verfügbar ist, die auch von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung verstanden wird. Die Stiftung Wohnwerk bietet diesbezügliche Übersetzungen an, die jeweils von acht kognitiv beeinträchtigten Testern gelesen und auf Verständlichkeit überprüft werden.

Viele Firmen unterlassen es, ihre Webseite barrierefrei zu gestalten, obwohl der Bundesartikel 8 zur Rechtsgleichheit fordert, dass allen Menschen Zugang zu Informationen ermöglicht werden muss. «Das ist nicht unser Zielpublikum», sei oft die Begründung, weiss Lidija Stoilova. Dass diese Einschätzung aber zu kurz greift, bewies Daniele Corciulo: Er schätzt zum Beispiel die barrierefreie Webseite von Postfinance, die es ihm erlaubt, seine Finanzgeschäfte ohne Einmischung einer helfenden Person abzuwickeln. Er kann so seine Privatsphäre wahren und gewinnt damit Selbstvertrauen – auf einer ganz alltäglichen Webseite. Überhaupt sei das Internet oft die einzige Informationsquelle für ihn: Wo sonst fände er zum Beispiel Bedienungsanleitungen oder Produktinformationen. «Der Mitarbeiter im Laden hat auch nicht immer Zeit, mir alle Schilder vorzulesen», sagt Corciulo mit einem Schmunzeln. «Daher würde das Internet – wenn es barrierefrei wäre – eine grosse Hilfe bieten.»

Ab 1. Juni ist unter www.ganznormal.ch der erste völlig barrierefreie Webshop der Schweiz online.

 

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