Vom Schock bis zur Existenzangst

Denise Zumsteg ist Inhaberin vom Physioflex und Vitalhaus und ist Co-Präsidentin des Handels- und Gewerbevereins (HGV). Im Interview spricht sie über Existenzängste und über Solidarität.

Denise Zumsteg in ihrem menschenleeren Fitnesscenter. Melanie Bär
Denise Zumsteg in ihrem menschenleeren Fitnesscenter. Melanie Bär

Die Türe des Fitnesszentrums steht offen. Doch drinnen ist niemand am Trainieren. Einzig Geschäftsinhaberin Denise Zumsteg ist kurz vorbeigekommen, um die Post zu holen und fürs Bild zu posieren.


Wie geht es Ihnen sechs Wochen nach der Betriebsschliessung wegen des Coronavirus?

Denise Zumsteg: Schwierig zu sagen. Am Anfang war ich geschockt und musste die  Schliessung verarbeiten. Danach dachte ich, es geht vorbei, machen wir das Beste daraus. Bis zum 19. April war es kalkulierbar. Aber jetzt, wo die Massnahmen verlängert wurden und klar ist, dass wir vor dem 8. Juni nicht öffnen dürfen, kommen Existenzängste. Es ist zwar «nur» das Geschäft, aber es ist halt eben auch mein Lebenswerk. Ich habe das Fitnesscenter vor 20 Jahren übernommen und das Vitalhaus vor 11 Jahren aufgebaut, es ist mein Baby. Und plötzlich fragst du dich, ob das in Zukunft noch aufgeht.

Haben Sie Angst, den Betrieb schliessen zu müssen?

Das nicht, aber ich mache mir Sorgen für die nächsten paar Jahre. Habe ich in Zukunft das Geld, um beispielsweise Fitnessgeräte zu ersetzen? Wir haben uns jetzt gerade davon erholt, dass wir Konkurrenz durch Discounter-Fitness bekamen, und sind auch noch am Renovieren. Normalerweise machen wir eine Zeitgutschrift, wenn die Anlage geschlossen ist. Aber im Moment hoffe ich auf andere Lösungen.

Wie reagieren die Mitglieder?

Mit grosser Solidarität. Viele haben mir mitgeteilt, dass sie auf die Zeitgutschrift verzichten. Andere haben extra ein neues Abo gelöst, mir Blumen geschickt oder Karten geschrieben.

Kommt Ihnen auch der Vermieter in irgendeiner Form entgegen?

Bisher leider nicht, obwohl ich mehrfach nachgefragt habe. Das macht mich wütend, schliesslich habe ich die Miete immer pünktlich bezahlt. Jeder sollte doch jetzt einen Beitrag leisten. Wieso gerade diese grossen Vermieterfirmen nicht?

Welche Angebote können Sie trotz Schliessung weiterführen?

Ich mache ein Online-Ernährungsprogramm, liefere Produkte nach Hause und wir unterrichten pro Woche acht Stunden via Videoübertragung. 

Wie gross ist das Interesse?

Es turnen durchschnittlich etwa 20 Mitglieder pro Lektion aus ihrem Wohnzimmer mit. Aber es ist natürlich kein Ersatz und geht höchstens ums Erhalten, nicht ums Verbessern der Fitness. Ich habe auch Kunden, die gesundheitliche Beschwerden haben und Anleitung brauchen. Es tut mir im Herz weh, dass ich das jetzt nicht bieten kann. Einige von ihnen habe ich deshalb telefonisch kontaktiert. Sie freuen sich richtig darüber, das ist für mich das Schönste.

Sie sind auch Co-Präsidentin des Handels- und Gewerbevereins (HGV). Wie unterstützt der Verein die rund 300 Mitglieder?

Als Erstes haben wir auf Facebook die Seite «Lockdown Wettingen» lanciert. Dort finden sich Ersatzangebote von geschlossenen Betrieben. Diese werden laufend ergänzt und sind auch unter  der neuen Website www.wettingen-lokal.ch aufgeschaltet. Diese Website hat der HGV neu lanciert, um auf das Angebot des lokalen Gewerbes aufmerksam zu machen. Auch haben wir die Vergabe des Auftrages für die neue HGV-Website bewusst vorgezogen, um Aufträge zu vergeben. Denn es sind nicht nur die Lädeler betroffen, sondern auch Dienstleistungs- und andere Gewerbebetriebe. Handwerker beispielsweise rechnen mit Auftragseinbrüchen und Engpässen in der Lieferkette. Wir werden mit einer Stickeraktion fürs Gewerbe Werbung machen.

Sehen Sie fürs Gewerbe auch einen Vorteil im Ganzen?

Ich sehe es als Chance, weil die Bevölkerung merkt, wie wichtig das regionale Gewerbe ist. Ich hoffe, sie berücksichtigt das, indem sie ihm Aufträge erteilt und bei ihm einkauft. Auch nach der Krise, damit die Betriebe nicht sterben. Ganz nach unserem HGV-Slogan «Wettige hät alles».

Können Sie persönlich der Situation auch etwas Positives abgewinnen?

Ich habe nicht mehr erst um 22 Uhr Feierabend und kann um halb acht die Tagesschau schauen. Ich habe Zeit, draussen joggen zu gehen, und lerne technisch dazu im Umgang mit soziale Medien und Kommunikation. Ich glaube, dass die Krise für den Einzelnen positiv ist: Wir haben mehr Zeit, kommen zu uns selber und merken, was wichtig ist im Leben.

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