Schüler schreiben über Kulturweg-Kunstwerke
Die Stiftung Kulturweg Baden-Wettingen- Neuenhof lancierte im Herbst 2013 einen Schreibwettbewerb. Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II schrieben Texte zu Kunstwerken auf dem Kulturweg. In loser Folge publiziert die Limmatwelle die Siegertexte.

Mit einem Stoss atme ich weissen Dunst aus. Ich blicke der kleinen Wolke nach und sehe, wie sie zu ihren grossen Schwestern aufsteigt. Auch die Sonne scheint die Kälte nicht zu mögen, da sie sich schon seit Wochen nicht mehr gezeigt hat. Ungefähr gleich lange wandere ich nun schon dem Fluss entlang. Dass Menschen ihre Siedlungen oft an Flüssen gründeten, war eines der vielen Dinge, die ich in der Gemeinschaft lernte. Wasser gilt als Grundvoraussetzung für Leben, als solche kann der Inhalt dieses Flusses aber mittlerweile nicht mehr durchgehen. Und doch hält er mich, wenn auch nur mithilfe eines Gerätchens, am Leben. Ich war auf meiner Reise auf einige Dörfer gestossen, jedes so verlassen wie das nächste. Beim Erkunden der Umgebung des Flusses stiess ich auch auf riesige Gebäudekomplexe, deren Funktion sich aufgrund des voranschreitenden Zerfalls nicht mehr bestimmen liess. In ihnen fand ich unvorstellbare Mengen verwitterter Waren, grösstenteils Kleidung und, so vermutete ich jedenfalls, Haushalts- und Unterhaltungsgegenstände.
Nichts davon war für mich von Nutzen. Die Höhe der Bauwerke wirkt immer noch eigenartig auf mich, aber dies liegt nur daran, dass ich gewohnt bin, in Gebäuden zu wohnen, welche in die entgegengesetzte Richtung gebaut wurden. Anfangs konnte ich mich noch von den erhaltenen Rationen ernähren, seit einiger Zeit suche ich mir mein Essen selbst. Ich konzentriere mich dabei auf Wurzeln und Beeren, alles andere wäre wohl immer noch bedenklich. Wirklich schade, ich hätte gerne gewusst, wie Pilze schmecken... Gerade, als ich mich in meiner kulinarischen Kopfgeburt zu verlieren drohe, erspähe ich eine grosse, hohe Brücke, die über den Fluss führt, und weiter entfernt eine tiefer gelegene, kleinere Holzbrücke. Ich nehme meine Karte der Umgebung hervor und komme zum Schluss, dass ich den Fluss hier überqueren sollte. Die Wahl der Brücke fällt mir aufgrund meiner Abneigung gegenüber Höhen nicht schwer. Nach einigen Minuten entdecke ich eine grössere Anlage zu meiner Linken. Eine grosse Wiesenfläche wird nur noch stellenweise von einem metallenen Zaun begrenzt. Weiter hinten stehen einige Steinbauten. Von Neugier gepackt, begebe ich mich in deren Richtung.
Nach einigen Stunden des Plünderns, wobei ich nichts Erwähnenswertes fand, verlasse ich die durchsuchten Ruinen, um mich im Garten dahinter auszuruhen. Die Sonne hat sich doch noch entschlossen, sich zu zeigen, und ich wollte die wundersame Gelegenheit, meinen Reiniger wieder einmal richtig aufladen zu können, nicht ungenutzt lassen. Als ich den Hinterhof betrat, fiel mir ein eigenartiges Stahlgerüst auf. Ich hatte es vom Haus aus nicht sehen können und auch hatte ich es zuvor nicht bemerkt. Es scheint nicht hierhin zu gehören. Von einer dicken Rostschicht überzogen, wirkt es verloren in der Wiese. Mit seinen ungefähr drei Metern ist es um einiges kleiner als die anderen Gebäude. Ich trete näher heran und betrachte es genauer. Im Gegensatz zu den anderen Ruinen ist es nicht von Kletterpflanzen bedeckt und wirkt wie eine letzte, zerfallene Insel der Zivilisation inmitten der zurückkehrenden Natur. Ich laufe um das bizarre Objekt herum.
Falls es einmal ein Dach besessen hat, ist es schon vor langer Zeit entfernt worden, da ich keine Überreste finden kann. Es besitzt vier Eingänge, einen in jede Himmelsrichtung, alle unterschiedlich gross. Gleich verhält es sich mit den Öffnungen, welche sich darüber befinden, sie könnten einst als Fenster gedient haben. Über diesen befinden sich kleinere Lücken, die mich an Schiessscharten erinnern. Könnte dies einst ein Wachtposten gewesen sein?
Ich betrete das Konstrukt. Den Boden bilden vier Betonplatten, jede quadratisch und mit einer Länge von einem Meter. Eigentlich ist es zu klein für einen Wachtturm, allerdings könnte der Grund für das ungewöhnliche Aussehen das höhere Alter des Gebildes sein. Vielleicht stammt es aus einer Zeit, als Menschen noch kleiner waren? Es könnte sich zwar genauso gut um die Überreste eines Klettergerüstes für Kinder handeln, wofür Grösse und Position des Objekts sprechen. Allerdings wären dann einige Stangen oder Ähnliches nötig gewesen, doch ich sehe keine Bruchstellen oder andere Hinweise auf solche. Da es etwas entfernt von den anderen Gebäuden steht, erinnert es mich an einen Altar oder eine religiöse Stätte. Ich hatte in einem der wenigen erhaltenen Bücher einst etwas über Kulturen gelesen, welche solche Altare bauten, um dort Opfer darzubringen. Von Rechtecken verehrenden Religionen habe aber noch nie gehört. Erst jetzt fallen mir die verwitterten Farben auf, die sich nur noch schwach vom Rost abheben. Mit Mühe erkenne ich seltsame Schriftzeichen, die in verschiedensten Farben auf den Stahl gemalt wurden. Während ich ihre Bedeutung zu erahnen versuche, fällt mir auf, dass sich die Sonne verabschiedet.
Ich wende mich vom Objekt ab, packe meinen nun aufgeladenen Reiniger ein und mache mich auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft für die Nacht. Die verfallenen Gebäude dieser Anlage scheinen naheliegend zu sein. Es ist eigentlich ein Tag wie jeder andere gewesen, an dem ich nichts Nützliches gefunden hatte, und doch hat er sich mir eingebrannt wegen des unerwarteten Sonnenscheins und desRelikts einer Kultur, die bereits vor der letzten Zivilisation bestand.
* Valentin Ehrhard kommt aus Wettingen und hat im Rahmen des Deutschunterrichts am Schreibwettbewerb teilgenommen. Sein Text «Der Wanderer» holte den ersten Preis. Erhard ist 19 Jahre alt und besucht die Kantonsschule Baden. Er joggt gern und geht gern ins Fitness.