«Ich habe ein offenes Ohr»
Nach 18 Jahren im Einwohnerrat wäre Christian Wassmer (Mitte) vermutlich zum Ratspräsidenten gewählt worden. Weil er den Einzug in den Gemeinderat auf Anhieb schaffte, verzichtet er, wechselt in die Exekutive – und strebt das Amt als Vizeammann an.
Als Gemeinderat haben Sie das beste Resultat erzielt. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in den zweiten Wahlgang? Als bestgewählter Gemeinderat aller bisherigen und neuen Kandidaten gehe ich sehr zuversichtlich in den 2. Wahlgang. Für das Amt als Vizeammann habe ich ebenfalls deutlich am meisten Stimmen erhalten.
Was spricht für Sie? Was spricht für Ihren Konkurrenten? • Politische Erfahrung: Seit 18 Jahren im Einwohnerrat kenne ich als Vizepräsident, Finanzkommissionspräsident, Fraktionspräsident, Planungskommissionsmitglied etc. den Parlamentsbetrieb und jedes Ressort. Ich kann als Bindeglied und Vermittler zum Parlament agieren. • Fraktion im Rücken: Für mich ist eine grosse Fraktion ein riesiger Vorteil, denn es ermöglicht, die eigene Meinung zu spiegeln und mehrheitsfähig zu machen. • Exekutiverfahrung: Ich war bis vor kurzem Executive Partner bei IBM. Die Privatwirtschaft ist genauso anspruchsvoll zu führen wie eine Verwaltung. Ich habe grosse Führungserfahrung, kenne Veränderungs-Management und den öffentlichen Sektor. Ich war Projektleiter für die Einführung des neuen Rechnungsmodells auf Stufe Bund, was die Grundlage des Gemeinde-HRM ist. Mit meinem beruflichen Background als Berater bin ich gewohnt, mich schnell in neue Themengebiete mit wechselnden Teams einzuarbeiten. • Ich habe 2 Legislaturen à 4 Jahre vor mir und stehe für Kontinuität in die Zukunft.
Inwiefern hilft die Erfahrung als Bisheriger, inwiefern brauchts neuen Wind? Es braucht beides, und genau das verkörpere ich. Einerseits die erforderliche politische Erfahrung aus dem Einwohnerrat und insbesondere der Finanzkommission. Andererseits bringe ich die Führungserfahrung aus dem Berufsleben und die Fähigkeit aus der Beratung, die Sache aus unterschiedlichen Perspektiven anzusehen und mehrheitsfähige Lösungen zu erarbeiten.
Wie wichtig erachten Sie die Funktion des Vizeammanns? Ich sehe den Vizeammann als Sparringspartner des Gemeindeammanns, dem ich im Gremium der Gemeinderäte schon ein gewisses Gewicht beimesse.
In den letzten Jahren leitete der Vizeammann das Ressort Finanzen. Wäre das auch Ihr Wunsch? Das kann ich mir mit meinem Background sehr gut vorstellen. Grundsätzlich bin ich offen für jedes Ressort. Sehr herausfordernd werden die Finanzen, um das Haushaltgleichgewicht sicherzustellen, sowie die Bildung mit den vielen Infrastrukturprojekten. Hier würde ich mich sehr gerne engagieren.
Apropos Finanzen: Der Kanton stuft eine Pro-Kopf-Verschuldung über 2500 Franken als kritisch ein, in Wettingen betrug sie Ende 2024 4952 Franken. Tragen Sie als Einwohnerratsvizepräsident eine Schuld daran? Der Einwohnerratsvizepräsident hilft, die Sitzung zu leiten, der inhaltliche Einfluss ist aber sehr beschränkt. Die Verantwortung für die aktuelle Situation trägt der bisherige Gemeinderat.
Ich bin der Meinung, dass wir die Pro-Kopf-Verschuldung nicht über 6000 Franken steigen lassen dürfen. Ein entsprechender Vorstoss wurde überwiesen, der Gemeinderat hält sich aber nicht an die Vorgabe. Im neusten Finanzplan wird eine Verschuldung von über 11000 Franken im Jahr 2034 ausgewiesen. Priorisierung ist angesagt.
Wie wollen Sie die Finanzen wieder ins Lot bringen? Es braucht dringend eine ernsthafte (und schmerzhafte) Priorisierung der Investitionen. Als letztes Mittel wohl auch eine Steuererhöhung. Wenn wir nächstes Jahr das Haushaltgleichgewicht nicht mehr nachweisen können, so gäbe es keine andere Option. Nach den beiden Rechnungsdefiziten der letzten zwei Jahre sowie dem sich abzeichnenden im aktuellen Jahr zieht sich die Schlinge immer mehr zu …
Als Vizeammann müssen Sie sich noch um viele andere wichtigen Themen kümmern: Wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf? Neben den Finanzen liegen die Herausforderungen primär im Bildungsbereich. Das Oberstufenzentrum im Margeläcker wurde im Masterplan sehr gut vorbereitet. Jetzt geht es aber darum, einen flexiblen Zweckbau zu erstellen, das Wünschbare vom Machbaren zu trennen und die Kosten unter Kontrolle zu bringen. Wettingen braucht kein Architekturdenkmal, sondern flexiblen Schulraum für unsere Schülerinnen und Schülern und Lehrpersonen.
Was wäre als Vizeammann Ihre Vision für Wettingen im 2029? Wettingen ist eine attraktive und lebenswerte Gemeinde mit toller Sport- und Schulinfrastruktur, der wir Sorge tragen müssen.
Wichtig ist für mich, das Vertrauen der Bevölkerung in den Gemeinderat zurückzugewinnen. Zuhören und offen kommunizieren sind sehr wichtige Komponenten auf diesem Weg.
Die aktuelle Verwaltungsreform hat sich hoffentlich bis in vier Jahren eingespielt. Die Gemeinderäte haben ihre strategische und die Verwaltung die operative Rolle gefunden.
Sie haben das Schlusswort … Liebe Wettingerinnen, liebe Wettinger, herzlichen Dank für das riesige Vertrauen, das Sie mir mit dem besten Wahlergebnis in den Gemeinderat ausgesprochen haben. Dieses Resultat ist für mich eine grosse Ehre und zugleich ein klarer Auftrag: Ich werde mich mit voller Energie und Verantwortungsbewusstsein für Wettingen einsetzen. Die Anliegen der Wettinger Bevölkerung sind mir vertraut – ich habe ein offenes Ohr und bin durch mein vielseitiges Engagement nahe bei den Menschen. Mit all meinen Erfahrungen und meinem Engagement möchte ich mich als Vizeammann einbringen und mit Ihnen die Zukunft unserer Gemeinde gestalten. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung. (LiWe)
Seit 11 Jahren ist Philippe Rey (parteilos) Mitglied des Gemeinderats. 4 Jahre lang war er Vorsteher des Ressorts Bildung, 8 Jahre des Ressorts Gesellschaft, Sport und Kultur. Nachdem er als Gemeinderat wiedergewählt wurde, kandidiert er erstmals auch fürs Amt als Vizeammann.
Von den bisherigen Gemeinderäten haben Sie das beste Resultat erzielt. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in den zweiten Wahlgang? Es freut mich, dass mein Engagement als Gemeinderat mit dem Bestresultat der Bisherigen honoriert wurde. Das ist aber kein Grund, auf den Lorbeeren auszuruhen, sondern motiviert mich, getreu meinem Motto «’s muess öppis goh» weiter einzustehen für ein lebenswertes Wettingen.
Was spricht für Sie? Was spricht für Ihren Konkurrenten? Ich zolle jeder Person, die sich in der Politik einsetzt, meinen Respekt. Und ich freue mich auf eine neue Zusammensetzung der Exekutive. In diesem Sinn kann ich keine «Konkurrenz» entdecken, sondern nur neue Ideen in einem neuen Team. Wir sind schliesslich 7, und ich handle nach dem Kollegialitätsprinzip. Bashings, Machtgehabe und Gärtlidenken sind mir zuwider.
Inwiefern hilft die Erfahrung als Bisheriger, inwiefern brauchts neuen Wind? Als Unternehmer und als Politiker, als Vater zweier Söhne und als Beziehungsmensch, als Präsident verschiedener Kommissionen und Vereine bin ich das Führen gewohnt und weiss, dass beide Faktoren relevant sind: Erfahrung hilft immer, aber ohne frischen Wind bewegt sich nichts. Ich hoffe insgeheim, dass ich bei gemeinsamen Entscheidungen nicht so oft «in die Tischkante» beissen muss. Heisst übersetzt: Von der Mehrheit überstimmt zu werden …
Wie wichtig erachten Sie die Funktion des Vizeammanns? Vizeammann ist ein Amt, das verbindend, stellvertretend und grundsätzlich positiv wirken sollte. Verbindend zwischen Exekutive, Legislative und Verwaltung, stellvertretend für den Fall, dass der Ammann ausfällt, und positiv, weil wir im Auftrag der Allgemeinheit unsere Gemeinde in positive Richtung bringen müssen. Wer meint, Vizeammann sei eine Machtposition, ist meines Erachtens falsch gewickelt.
In den letzten Jahren leitete der Vizeammann das Ressort Finanzen. Wäre das auch Ihr Wunsch? Dass ein Vizeammann das Ressort Finanzen leitete, war erstmalig. In der Vergangenheit verantwortete der Gemeindeammann die Finanzen. Vor dem jetzigen Vizeammann hielten Antoinette Eckert und Heiner Studer das Amt inne, und sie hatten in ihren Ressorts ausser der Budgetierung ihrer entsprechenden Bereiche wenig bis nichts mit Finanzen zu tun. Ich selber verneige mich vor den zwei neuen Gemeinderäten, die sich laut Finanzfachleute nennen und geniale Lösungen parat halten, und überlasse gerne einem von ihnen dieses Ressort. Irgendjemand muss sich ja auch noch um ein lebenswertes Wettingen kümmern … Aber wir werden sehen – Mitte Dezember konstituiert sich der 7-köpfige Gemeinderat. Noch ist alles offen.
Apropos Finanzen: Der Kanton stuft eine Pro-Kopf-Verschuldung über 2500 Franken als kritisch ein, in Wettingen betrug sie Ende 2024 4952 Franken. Tragen Sie als bisheriger Gemeinderat eine Schuld daran? Die Schuld nicht, aber ich bin Teil der Geschichte und verantworte diese mit. Teil der Geschichte sind auch andere Faktoren wie die Legislative, unsere Einnahmen, gestiegene Sozialkosten und vieles mehr.
Wie wollen Sie die Finanzen wieder ins Lot bringen? Im Gegensatz zu anderen Politikern verfüge ich weder über Zauberstäbchen noch sondere ich pseudogeniale Sprüche ab. Wer behauptet, er oder sie könne das im Alleingang, redet Pfupf und Nebel. Wir werden im Gemeinderat ein Team von 7 sein, wir haben auch einen neubestellten Einwohnerrat, wir haben eine insgesamt gute Verwaltung und werden gemeinsam daran arbeiten.
Als Vizeammann müssen Sie sich noch um viele andere Themen kümmern: Wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf? Bei allem Respekt vor den Finanzen dürfen wir die Bedürfnisse unserer Bevölkerung, den Service public nie vergessen. Darüber hinaus werden wir in naher und ferner Zukunft unzählige Lösungen finden müssen, ich denke unter anderem an die zunehmende Überalterung, unsere herausfordernde Bildungslandschaft, Migrationsprobleme, die zunehmende Verbetonierung des Limmattals, den knappen Wohnraum.
Was wäre als Vizeammann Ihre Vision für Wettingen im 2029? Ich mag unsere Gemeinde sehr und werde mich weiterhin für ein lebenswertes Wettingen einsetzen. Dazu gehören auch Sport, Kultur, Gesellschaft, die ältere Generation, Anliegen von Familien, Kinder und Jugendliche, Vereine und last but not least unser wunderbares Kloster. Als Pragmatiker suche ich bestmögliche Lösungen zum bestmöglichen Preis. Und selbstverständlich werden wir alle 7, zusammen mit dem Einwohnerrat und der Verwaltung, uns intensiv Gedanken darüber machen, wie wir die Finanzen wieder bessern können. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir dies mit dem neuen Gemeinderat schaffen werden. Chunnt guet.
Sie haben das Schlusswort … Jeder Bürgerin, jedem Bürger, der sich für ein politisches Amt einsetzt, gebührt nicht nur Respekt, sondern auch Achtung, denn er oder sie ist willens, das verschwindende Bewusstsein für Verantwortung zu übernehmen, sich zu exponieren und für einen relativ bescheidenen Lohn viel zu leisten. Politische Führung ähnelt beinahe der Quadratur eines Kreises. Ich bin aber zuversichtlich, dass der neue 7-köpfige Gemeinderat dies schaffen wird – wenn er sich denn für die Gemeinde einsetzt und nicht für Einzelinteressen. Ganz nach dem Motto des Wettinger Klosters: non mergor. Wir werden nicht untergehen. (LiWe)
Am 30. November bestimmen die Wettingerinnen und Wettinger, wer ab Januar das Amt des Gemeinde- und des Vizeammanns übernimmt. Zur Verfügung stehen Philippe Rey (parteilos) und Christian Wassmer (Mitte) als Vize sowie Markus Haas (FDP) und Orun Palit (GLP) als Ammann. Die Antworten zu den Fragen der Limmatwelle sind in dieser und der vergangenen Ausgabe publiziert. (Red.)






