Ewiges Streitthema: Sorgen höhere Steuern für Besserung?

Die Wettinger Bevölkerung entscheidet über das Budget mit Steuerfusserhöhung. Markus Maibach gibt im Interview Auskunft, warum diese für den Gemeinderat der richtige Weg ist.

Markus Maibach steht hinter der Steuerfusserhöhung. . Alex Spichale
Markus Maibach steht hinter der Steuerfusserhöhung. . Alex Spichale

Während der 1970er-Jahre hatte Wettingen einen Steuerfuss von 125 Prozent. Seither ist er drastisch gesunken. Und plötzlich brennt es unter dem Dach. «Die Steuern müssen hoch!», heisst es vom Gemeinderat. Haben Einwohner- und Gemeinderat verschlafen?

Wir wussten, dass ein Investitionsschub auf uns zukommt. Wettingen hat eine Infrastruktur, die alle vierzig bis fünfzig Jahre erneuert werden muss. Das ist im jetzigen Zeitraum der Fall: Tägi, Tiefbauten, Schule etc. Die Steuerfusserhöhung ist notwendig für den Budgetausgleich und dient zur Finanzierung dieser Investitionen. Rückblickend wurde zu lange nicht investiert und der Steuerfuss wurde tief gehalten. Das war aus meiner Sicht ein Fehler. Wir wollten diese Trendwende vor zwei Jahren einleiten, sind aber an der Urne gescheitert.

Sie nennen zwei Gründe für die Steuerfussanpassung: den Schuldenbetrag pro Kopf, der etwa 5400 Franken beträgt. Und dass viele Kosten, die die Gemeinde nicht beeinflussen kann, steigen würden. Ist es denn für den Bürger überhaupt verkraftbar, gleich noch mehr Steuern bezahlen zu müssen?

Wettingen hat die notwendigen Investitionen bis anhin nur teilweise finanzieren können. Dadurch sind die Schulden deutlich angestiegen. Aktuell sind es 5460 Franken pro Einwohnerin und Einwohner, eine der höchsten Verschuldungsraten im Kanton Aargau. Es ist dringend, dass wir hier eine Trendwende einleiten. Und der Finanzspielraum wird immer enger: Wir rechnen im laufenden Jahr mit einem Defizit von 1,7 Mio Franken. Nun steigen Kosten, die wir nicht beeinflussen können, wie Energiekosten, Asylkosten oder die Löhne der Lehrpersonen. Bisher sind es vor allem die Pflegekosten gewesen, die unseren finanziellen Spielraum eingeengt haben. Sie allein sind in den letzten fünf Jahre um sechs Steuerprozente gestiegen. Das sind rund 3 Mio. Franken, die sich nicht kompensieren lassen.

Welche Rolle spielt auch noch die Steuergesetzrevision?

Die Steuergesetzrevision des Kantons kostet uns als Gemeinde drei Steuerprozente. Man sieht also: Mit einer Erhöhung von drei Prozent erhalten wir nur, was wir bereits haben.

Der Zeitpunkt für die Erhöhung stösst wohl einigen Wettingerinnen und Wettingern sauer auf. Alles wird teurer. Und nun auch noch das?

Der Zeitpunkt für eine Steuererhöhung fühlt sich nie gut an. Aber es ist der richtige. Wir haben ihn im Finanzplan auch angekündigt. Massgebend ist für uns die gesetzliche Grundlage, die besagt, dass das «mittelfristige Haushaltgleichgewicht» einzuhalten sei. Das können wir ohne Steuerfusserhöhung nicht mehr erfüllen. Und die Zahlen zeigen, dass die Erhöhung keine existenzbedrohlichen Situationen schaffen wird.

Verbildlichen Sie die Zahlen: Was kostet mich die Steuerfusserhöhung?

Die Steuererhöhung macht für einen Drittel der Steuerpflichtigen praktisch nichts aus, weil sie ein steuerbares Einkommen unter 40000 Franken aufweisen. Bei 50000 Franken macht es für Verheiratete und Familien 41 Franken pro Jahr aus, für Alleinstehende 74 Franken – das sind weniger als 7 Franken pro Monat. Dafür bekommt man knapp einen Kaffee und ein Gipfeli. Bei einem Einkommen von 100000 Franken steigt die Belastung auf 149 Franken bzw. 212 Franken.

Natürlich teilen nicht alle die Meinung des Gemeinderats. Ihre Gegner meinen, die Verschuldung sei locker tragbar. Man muss halt einfach sparen.

Wir bezahlen im Moment gut 1,5 Steuerprozente für die Finanzierung der Schuldzinsen. Wir konnten eine Weile von den tiefen Zinsen profitieren. Diese Zeiten sind vorbei. Bis jetzt machten die Zinsen rund 1,5 Steuerprozente aus. Das wird in Zukunft deutlich mehr sein. Unser Motor ist zu schwach. Unser Hauptproblem ist aus meiner Sicht nicht die aktuelle Schuldenhöhe, sondern vor allem, dass die schwache Selbstfinanzierung dazu führt, dass die Verschuldung in Zukunft ansteigt. Zurzeit können wir die Investitionen in der Grössenordnung von jährlich rund 12 Mio. Franken nur etwa zu zwei Dritteln finanzieren. Das heisst: Die Schuldenlast steigt. Das sollten wir schleunigst ändern.

Warum nicht einfach das Elektrizitätswerk (EW) melken? Dort schlummern 80 Mio. stille Reserven.

Das EW leistet bereits heute einen substanziellen Beitrag an die Gemeinde. Pro Jahr liegt er über einer Million Franken. Der Betrag setzt sich zusammen aus der Konzessionsabgabe und der Dividende. Das EW wird trotz aktuellem Verlust auch für 2023 eine Dividende zahlen, was auf Kosten der Substanz geht. Zudem steht auch das EW zurzeit vor grossen Investitionen in den Bereichen Photovoltaik und Fernwärme und muss sicherstellen, dass die Strompreise verträglich bleiben. Es kann nicht sein, dass das EW als privates Unternehmen in Hand der Gemeinde diese quersubventionieren muss.

Gegner der Steuerfussanpassung brachten an der letzten ER-Sitzung viele Vorschläge, wie man mehr sparen könnte. Warum ist das nicht der Weg für den Gemeinderat?

Nun, der Einwohnerrat hat in einer sechsstündigen Sitzung gerade mal rund 300000 Franken Sparpotenzial gefunden, in den Vorjahren noch weniger. Was den Einwohnerrat störte, war, dass wir mit der Steuerfusserhöhung nur einen Budgetausgleich erreichen und keine zusätzlichen Einnahmen erzeugen. Die Selbstfinanzierung können wir auch mit diesen drei Prozent nicht substanziell erhöhen. Da habe ich Verständnis für die Haltung, dass man jetzt noch einmal alles einsparen soll, was möglich ist.

Also mehr sparen geht fast nicht?

Der Gemeinderat hat in den Austauschgesprächen mit den Parteien klar gesagt, dass unsere Juwelen zu erhalten sind: eine Bibliothek, eine Musikschule oder ein Gluri-SuterHuus wegsparen ist nicht sinnvoll. Wettingen ist eine sehr attraktive Gemeinde mit einer grossen Infrastruktur. Um weiter attraktiv zu bleiben, müssen wir die Infrastruktur à jour halten und – vor allem im Schulraum – weiter ausbauen. Insbesondere beim Gebäudeunterhalt haben wir einen grossen Nachholbedarf, weil wir in der Vergangenheit notwendige Sanierungen aufgeschoben haben. Dies hat seinen Preis und muss nachhaltig finanziert werden.

Was passiert, wenn nicht langsam mehr Geld in die Wettinger Kassen kommt?

Ich bin überzeugt: Erhöhen wir den Steuerfuss nicht, verpassen wir den finanziellen Wendepunkt und fahren ein verantwortungsloses Defizit ein. Die Verschuldung steigt weiter. Hier laufen wir Gefahr, dass der Kanton uns rügt. Es kann und darf nicht sein, dass uns der Kanton den Steuerfuss vorschreiben muss. Wollen wir das Defizit ohne Steuerfussanpassung wegbringen, dann müssen wir Einsparungen vor allem in den Bereichen Kultur und Sport diskutieren. Es geht um rund 1,5 Mio. Franken. Ein Betrag, der weh tut. Das wollen wir der Wettinger Bevölkerung nicht antun.

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