Die Kindergärtnerin, die mit 60 Weber-Lehre abschliesst

Die Wettinger Kindergärtnerin Marlis Renold absolviert zurzeit das dritte Lehrjahr als Gewebegestalterin. Sie baut sich damit ein zweites Standbein auf.

Die Wettingerin Marlis Renold im Gemeinschaftsatelier in der «Vitrine» Wettingen.
Die Wettingerin Marlis Renold im Gemeinschaftsatelier in der «Vitrine» Wettingen.

Im Treibhaus der ehemaligen Gärtnerei Widmer werden seit langem keine Pflanzen mehr gezogen. Gearbeitet wird an der Seminarstrasse trotzdem noch: Seit dreieinhalb Jahren teilen sich rund 20 Person die «Vitrine», wie sie ihr Gemeinschaftsatelier nennen. Seither wird darin gemalt, genäht, geschrieben und seit Juli auch gewebt.

Eine der sieben Weberinnen ist Marlis Renold. Die Wettingerin betreibt das Handwerk nicht etwa als Hobby, sondern absolviert zurzeit das dritte Lehrjahr als Weberin. Sie hat das Pensum als Kindergärtnerin reduziert, um wieder die Schulbank zu drücken.

Zusammen mit elf Schülerinnen lässt sie sich in der kleinsten Berufsschule der Schweiz, im bündnerischen Santa Maria Val Müstair, zur Gewebegestalterin ausbilden. Sechs Wochen pro Jahr verbringt sie im Bündnerland und büffelt unter anderem Materialkunde und Gewebeanalyse oder lernt, wie man ein Kundengespräch führt.

Lehre im Gemeinschaftsatelier

Um niemandem eine Lehrstelle wegzunehmen, absolviert sie den praktischen Teil der Lehre nicht in einem Lehrbetrieb, sondern eben im Wettinger Gemeinschaftsatelier. Deshalb kann sie trotzdem noch ein Teilzeitpensum als Kindergärtnerin ausüben. Ihr Ziel ist es, nach der Ausbildung sowohl als Weberin im Atelier als auch als Lehrperson im Kindergarten zu arbeiten.

Was hat sie dazu bewogen, ein paar Jahre vor der Pensionierung eine Lehre zu beginnen? «Es fasziniert mich, vom Faden bis zum Endprodukt alles selber herzustellen. Und Weben ist eine Art Meditation für mich», begründet sie.

Nicht selten entstünden dabei die besten Ideen – auch für den Kindergartenunterricht. Diesen will sie mit ihrem Wissen nämlich bereichern und den Kindern dieses «kulturelle Erbe» weitergeben, wie die Mutter von drei erwachsenen Töchtern das Weben bezeichnet.

Mit 57 Jahren eine Lehre als Gewebegestalterin zu beginnen, habe sie am Anfang schon etwas Überwindung gekostet, gesteht die Wettingerin: «Ich fand, ich sei doch eigentlich zu alt dafür.»

Schliesslich habe dann aber doch die Begeisterung fürs alte Handwerk gesiegt. «Und auch wenn es mal Krisen gab, Lehre, Kindergarten und Familie unter einen Hut zu bekommen, so bin ich doch hell begeistert und bereue den Entscheid nicht.» Es sei auch gut, als Lehrperson selber mal wieder die Schulbank zu drücken. «Die Kinder finden es lässig, wenn ich erzähle, dass meine Lehrerin mit mir geschimpft hat», sagt sie und lacht.

Ihr Traum: Altes Wissen weitergeben

Am besten gefällt ihr das Gestalten der Stoffe. Denn als Weberin sitzt man nicht nur am Webstuhl, sondern plant vorher auch, wie der Stoff aussehen soll. Die Lernenden werden deshalb auch in der Farb- und Gestaltungslehre geschult.

Und auch wenn die Schweizer Weberinnen preislich nicht mit der maschinellen Stoffherstellung konkurrenzieren können, ist es dennoch das Ziel, mit dem Weben Geld zu verdienen. «Wir bieten dafür massgeschneiderte, handgefertigte Einzelstücke.»

Der Traum von Marlis Renold ist jedoch nicht, viel Geld zu verdienen, sondern das Wissen über das alte Handwerk und den Kleinstberuf weiterzugeben. Auch an Hobbyweberinnen. «Es gibt im Moment wenige Orte, wo man Wissen holen oder sich austauschen kann.»

Die Weberinnen in der Wettinger «Vitrine» wollen deshalb einen Treffpunkt für Gleichgesinnte aufbauen, wo sie als Expertinnen ihr Wissen zur Verfügung stellen. Doch nicht nur: Am 9. Dezember geben sie allen Interessierten Einblick in ihr Schaffen. Zusammen mit den anderen Kunstschaffenden in der «Vitrine» laden sie zum Tag der offenen Ateliers ein. «Die Gäste können sich selber mal hinter einen Webstuhl setzen und an einem Stoff weben», sagt Marlis Renold, die sich auf viele Besucherinnen und Besucher freut.

Tag der offenen Ateliers, Gemeinschaftsatelier «Vitrine», Seminarstrasse 75, Samstag, 9. Dezember, 11 bis 17 Uhr.

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