Der Regierungsrat hat entschieden: Wettinger Steuerfuss bleibt bei 95 Prozent

Der Kanton stellt sich hinter die Wettinger Stimmberechtigten. Grund dafür: die Wahrung der Gemeindeautonomie und das Verhältnismässigkeitsprinzip.

Wettingen hat ein rechtskräftiges Budget. Dem Schuldenabbau wird darin aber keine Rechnung getragen. Gaby Kost
Wettingen hat ein rechtskräftiges Budget. Dem Schuldenabbau wird darin aber keine Rechnung getragen. Gaby Kost

Der Aargauer Regierungsrat schafft klare Verhältnisse und gibt Wettingen wieder ein rechtskräftiges Budget für das laufende Jahr. Nötig wurde das Eingreifen des Kantons, weil das Wettinger Stimmvolk das überarbeitete Budget mit einem Steuerfuss von 100 Prozent am 9. Februar an der Urne ablehnte. 

Die erste Version des Budgets mit einer Steuerfusserhöhung um 5 Prozentpunkte auf 100 Prozent wies der Einwohnerrat am 17. Oktober 2019 zurück. Grund dafür war, dass nur zwei der fünf Prozentpunkte in den Schuldenabbau hätten fliessen sollen. Nach der Überarbeitung durch den Gemeinderat waren es vier Prozentpunkte, was die Mehrheit des Einwohnerrats guthiess. Doch das Volk hatte das letzte Wort und übertrug mit seinem Nein den Entscheid dem Regierungsrat.

Das Haushaltsgleichgewicht ist mittelfristig erfüllt

Dieser betont in einer Medienmitteilung, dass er den Volksentscheid respektiere. Zur Wahrung der Gemeindeautonomie und des Verhältnismässigkeitsprinzips entscheide der Regierungsrat nur dann gegen die Mehrheit der Stimmenden, wenn sich andernfalls ein gesetzeswidriger Zustand ergeben würde. Das sei in Wettingen nicht der Fall. «Mit einem Steuerfuss von 95 Prozent resultiert im Budget 2020 ein – wenn auch geringer – Überschuss. Damit ist das Kriterium der Ausgabendeckung erfüllt», schreibt der Regierungsrat. Bei Anwendung dieses Steuerfusses im Budgetjahr und in den Planjahren 2021 bis 2023 resultiere in der massgebenden Periode von 2017 bis 2023 ein kumulierter Überschuss von rund 4,5 Millionen Franken. Damit sei auch das Kriterium des mittelfristigen Haushaltsgleichgewichts erfüllt.

Der Regierungsrat teilt aber die Ansicht des Gemeinderats, dass die Finanzlage der Gemeinde trotz ausgeglichenem Budget 2020 Anlass zur Sorge gibt – vor allem mit Blick auf die über einen langen Zeitraum tiefe Selbstfinanzierung der Investitionen und dem daraus resultierenden starken Anstieg der Verschuldung. Es sei jedoch nicht Sache des Regierungsrats, bereits bei der Ablehnung einer Steuererhöhung gestützt auf finanzplanerische Überlegungen des Gemeinderats und des Einwohnerrats auf dem Weg der Ersatzvornahme einen erhöhten Steuerfuss anzuordnen, heisst es in der Medienmitteilung des Regierungsrats. Man werde sich nicht über den Entscheid der Stimmberechtigten hinwegsetzen, solange dies für das Budgetjahr aufgrund der gesetzlichen Grundlagen nicht notwendig sei. Bei einer erneut notwendigen Ersatzvornahme für das Budget und den Steuerfuss 2021 würde der Regierungsrat jedoch die Finanz- und Aufgabenplanung mitberücksichtigen und seinen Entscheid aufgrund längerfristiger finanzplanerischer Überlegungen treffen, schreibt er.

So weit soll es aber gar nicht erst kommen. «Wir wollen das Heft künftig wieder selber in der Hand halten», sagt Gemeindeammann Roland Kuster (CVP). Er ist froh, dass Wettingen wieder ein rechtskräftiges Budget hat und handlungsfähig ist. Der Regierungsrat attestiere der Behörde eine nachhaltige Finanzpolitik. Man habe sich bezüglich des Finanzprozesses und -haushalts nichts zu Schulden kommen lassen. «Wir wurden in unserer Arbeit bestätigt, das freut uns.» Enttäuscht ist Kuster jedoch darüber, dass der vom Gemeinderat geplante und vom Einwohnerrat gewünschte Schuldenabbau vom Regierungsrat ignoriert wurde. Dies, obwohl der Kanton feststelle, dass ab 2021 mit Defiziten bei gleichbleibendem Steuerfuss zu rechnen ist. «Unser Ziel war, eine Finanzpolitik einzuleiten, die für die nächsten Generationen verträglich ist.» Durch den festgesetzten gleichbleibenden Steuerfuss könne man den Schuldenabbau dieses Jahr nicht vorantreiben. Das werde Folgen für den neuen Finanzplan haben. 
Das Budget 2021 birgt aufgrund der Coronakrise überdies weitere ungeahnte Schwierigkeiten. «Es ist für uns alle eine neue Situation und wir wissen noch nicht, was uns erwartet», sagt Kuster. Der Gemeinderat wird dem Einwohnerrat nach den Sommerferien  bereits das Budget 2021 vorlegen müssen. «Wir hoffen, dass er uns unterstützt, die Volksmeinung zu antizipieren, damit wir die Stimmberechtigten nächstes Mal besser abholen können», sagt Kuster.

IG «Attraktives Wettingen» und SVP fühlen sich bestätigt

Die IG «Attraktives Wettingen», die sich im Januar gebildet hatte, um die geplante Steuererhöhung zu verhindern, nimmt den Entscheid des Regierungsrats mit Genugtuung zur Kenntnis. «Es zeigt sich, dass die IG mit ihrer Kritik an Gemeinderat und der Mehrheit des Einwohnerrats richtig lag und die Stimmung in der Bevölkerung erkannte», sagt Orun Palit (GLP), Sprecher der IG und Wettinger Einwohnerrat. Ein massvoller Steuerfuss sei gerade zu Coronazeiten sehr wichtig für das Gewerbe und die Bevölkerung in Wettingen. Der Gemeinderat sei nun gefordert, anstelle des stetigen Ausgabenwachstums endlich eine seriöse Finanzplanung zu starten und unnötige Ausgaben zu streichen. «Die IG versteht den Entscheid des Regierungsrats auch als Auftrag, dem Wettinger Politestablishment hier weiter genau auf die Finger zu schauen», sagt Palit. Zufrieden zeigt sich auch die SVP-Fraktion. Es sei ein starkes Zeichen, dass der Regierungsrat den Volkswillen hervorhebe. «Der Entscheid bestätigt die Haltung und den Einsatz der Fraktion SVP: Ein massvoller Steuerfuss ist sehr wichtig für das Gewerbe und die Bevölkerung in Wettingen», schreibt die Fraktion in einer Mitteilung.

Weniger glücklich ist Einwohnerrat Thomas Benz (CVP). Er richtete sich in einem Facebook-Post an die Bevölkerung. «Dass der Regierungsrat mit 95 Prozent ein operatives Minus in einer der höchstverschuldeten Gemeinden in Kauf nimmt, ist für mich unverständlich und kurzsichtig.» Um nur eine einigermassen zukunftsgerichtete Finanzpolitik zu gestalten, müsste Wettingen bei den laufenden und vor allem beeinflussbaren Kosten rund 2 Millionen Franken sparen. «Da kann man nicht an einzelnen Stellschrauben justieren, dazu brauchts den Abbruchhammer», so Benz. Er hoffe sehr, dass sich in der Bevölkerung eine Mehrheit finde, die eine moderate Lösung unterstütze, bei welcher der Steuerfuss mittelfristig zwischen 96 und 99 Prozent liege.  

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