Linke scheitern mit Antrag auf Steuererhöhung
Der Einwohnerrat verhandelte am letzten Donnerstag über das Budget 2022. Eine Steuererhöhung bleibt aus. Wohl zum letzten Mal.

«Mir graut es vor der Zukunft», sagte François Chapuis (Die Mitte CVP), Präsident der Finanzkommission, im letzten Mai zum Rechnungsabschluss 2020. Der Abend damals war lang und anstrengend. Darum, weil er die diffizile finanzpolitische Debatte lancierte, einerseits mit Blick zurück auf das vergangene Budgetdebakel, andererseits mit Blick nach vorn auf die nächsten finanzplanerischen Verhandlungen. Und das ausgerechnet in einem Wahljahr. Einem Wahljahr, das immer noch nicht ausgestanden ist, da im zweiten Urnengang entschieden werden muss, wer denn in Zukunft die Geschicke Wettingens als Gemeindeammann lenken wird: der bisherige Roland Kuster (Die Mitte CVP) oder der parteilose Politneuling Andrea Bova. Der Name Bova indes fiel hin und wieder in den Gängen des Tägi, vor der Sitzung, während der Pause.
Dass sich angesichts dieser Tatsachen, angesichts der immer noch andauernden Coronapandemie mit ihren schwierig zu antizipierenden Auswirkungen so etwas wie Paralyse eingestellt hat, dürfte niemanden verwundern. Die Pattsituation, in der sich der Einwohnerrat seit einer ganzen Weile befindet, konnte auch an diesem Abend nicht überwunden werden. Oder wie es der englische Schriftsteller und Humorist Terry Pratchett einst formulierte: «Es bleibt alles beim Alten, nur noch etwas mehr.» Kurz: Der Steuerfuss bleibt gleich, das Budget wird mit einigen Anpassungen genehmigt, ohne dass es zu substanziellen Sparmassnahmen käme. Dass der Gemeinderat nicht bereits jetzt eine Steuerfusserhöhung ins Budget eingebaut hat, liegt vor allem an einem: Sie ist schlicht nicht mehrheitsfähig. Konsens mit den Parteien habe man keinen gefunden, wie Vizeammann und Finanzvorsteher Markus Maibach (SP) schon Anfang Oktober bei der Vorlegung des Budgets erklärt hatte. Fiko-Präsident François Chapuis blieb bei derselben mahnenden Rhetorik wie schon Mitte Jahr: Es sei keine Frage, ob eine Steuerfusserhöhung komme, sondern nur, wann. «Unumgänglich» sei sie. «Ihr könnt vielleicht noch wählen, ob es drei oder fünf Prozent sind», sagte Chapuis. «Mut, Weisheit und Kraft», wünsche er dem Einwohnerrat. Ohne Steuerfusserhöhung für das Budget 2023 würde Wettingen erneut ein vom Kanton aufgezwungenes Budget drohen. Damit wäre Wettingen dann in der zweifelhaften Gesellschaft von Wohlen und Neuenhof, den beiden einzigen Aargauer Gemeinden, deren Budgets in den letzten 30 Jahren (seit 1992) mehr als einmal nicht genehmigt wurden.
GLP und SVP wollen weiter sparen
Jenseits einer Steuerfusserhöhung: Viel zu sparen gibt es nicht mehr in Wettingen, sind sich die meisten Parteien einig. «Bei den Anträgen geht es nicht um das Auspressen der viel zitierten Zitrone, es geht nicht um substanzielle Einsparungen», sagte dazu Lukas Rechsteiner von der Fraktion EVP/Forum 5430. Er bezog sich primär auf Anträge von GLP und SVP. Beide Parteien stellten mehrere Anträge, um weitere Budgetkürzungen vorzunehmen. So wollte die GLP Einsparungen beim Büromaterial machen, Sitzungs- und Taggelder der Kommissionen kürzen oder weniger Honorare für externe Gutachter zahlen. Abgesehen vom Büromaterialantrag, der auch in den Reihen der FDP Gehör fand, waren sämtliche GLP-Anträge chancenlos. Ein Dorn im Auge der SVP war die Fachstelle Integration. Deren Budget wollte die Rechtspartei um 7760 Franken kürzen und begründete dies mit dem unerwarteten Anstieg der Kosten, da Killwangen und Spreitenbach aus dem Gemeinschaftsprojekt ausgestiegen waren. Das verärgerte die linke Ratsseite und den zuständigen Gemeinderat Philippe Rey (parteilos): «Eine so absurde Idee wäre mir gar nie gekommen», sagte dieser. Würde man der Fachstelle das Budget spontan kürzen, riskiere man, direkt aus dem Projekt zu fliegen. Dabei handle es sich zudem um einen kantonalen Auftrag, den man alleine nicht einfach so stemmen könne. Das Argument der SVP, wonach zum Beispiel die Kirchen diese Integrationsleistung bereitstellen könnten, liess er nicht gelten. Die Fachstelle Integration ist Anlaufstelle für die rund 5000 Ausländer in Wettingen. Der Antrag wurde – nach zweimal wiederholter Abstimmung – abgelehnt. Aber einigermassen knapp: 19 stimmten ja, 26 nein, eine Person enthielt sich.
EVP/Forum 5430 für Steuererhöhung
Auch die SP scheiterte erwartungsgemäss mit ihren Anträgen: Sie wollte dem Verwaltungspersonal eine Lohnerhöhung gewähren, um, so das Argument, zu vermeiden, dass die Angestellten eine Reallohnsenkung aufgrund von Teuerung hinnehmen müssten. Ausserdem wollte sie das kulturelle Budget erhöhen. Einzig die FDP fand mit einem Sparantrag eine Ratsmehrheit: Die Lohnsumme der Gemeindebibliothek soll um 5 Prozent gesenkt werden. Dies begründete die liberale Partei mit eingeführten Digitalisierungsmassnahmen, namentlich dem Self-check-out-System. Gemeinderat Philippe Rey sagte, eine Kürzung der Lohnsumme käme einer Kürzung der Leistungen gleich, nicht einer Anpassung.
Vor Schluss der Sitzung kam ein weiterer Antrag aus den Reihen von SP/WettiGrüen zur Abstimmung: Die SP wollte eine Steuererhöhung bereits in diesem Jahr durchsetzen. Dem Antrag schloss sich zwar die Fraktion EVP/Forum 5430 an, sonst bliebt das Begehren aber chancenlos. Insbesondere die SVP und die GLP wehrten sich gegen das Begehren. Die SVP wollte «keine Steuererhöhung auf Vorrat», die GLP sagte, das nächste Jahr sei wichtig, um über die allfällige Höhe einer Steuerfusserhöhung nachzudenken.