Historische Wende im Einwohnerrat
Die GLP und WettiGrüen sind die klaren Sieger der Einwohnerratswahlen. Aber: Wie grün ist dieser Triumph wirklich?

Siegeszug für GLP und WettiGrüen: Beide Umweltparteien haben ungefähr doppelt so viele Stimmen gemacht wie noch bei den Gesamterneuerungswahlen 2017 und kommen auf 8 (vorher: 4) respektive 5 (vorher: 2) Sitze im Einwohnerrat. Die GLP hat es damit geschafft, zum dritten Mal hintereinander ihre Sitze zu verdoppeln, WettiGrüen erzielt das beste Ergebnis seit über 30 Jahren.
«Wir haben mit Wachstum gerechnet, aber dass wir gleich nochmals verdoppeln, war dann doch ein unerwartet erfreuliches Ergebnis», sagt GLP-Fraktionspräsidentin Ruth Jo. Scheier. Zuletzt war die Partei im Einwohnerrat durch einen Politstil aufgefallen, der manchen Einwohnerräten und Einwohnerrätinnen sauer aufstösst – «Populismus», so der oft gehörte Vorwurf. Die GLP hatte sich im Rat wiederholt für eine Senkung der Löhne der Exekutivmitglieder ausgesprochen und generell einen rigorosen Sparkurs fahren wollen, um einer Steuerfusserhöhung zu entgehen. Dass sich das jetzt, da die GLP oben angelangt ist, ändern wird, ist unwahrscheinlich. Scheier: «Wir werden unseren Stil beibehalten.»
WettiGrüen skeptisch
«Es ist wunderbar, dass grüne Themen weiterhin Zuspruch erhalten», sagt der wiedergewählte Einwohnerrat Leo Scherer (WettiGrüen). Das Ergebnis der Grünen sei nicht zu unterschätzen – das letzte Mal, als WettiGrüen mehr Stimmen erreicht hatte als jetzt, war, als am selben Tag über die erste Armee-Abschaffungs-Initiative abgestimmt wurde und so viele grüne Stimmen mobilisiert werden konnten. Das war 1989.
Den Erfolg bei diesen Wahlen will Scherer ebenfalls nicht als reine Eigenleistung verstanden haben. «Er war Folge davon, dass die Klimajugend und weitere ökologisch orientierte Kräfte in der Gesellschaft die Notwendigkeit von raschen Massnahmen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt haben.» Auch über die Wahl von Ema Savic und Valentin Egloff ist Scherer erfreut. Die beiden sind neu die Jüngsten (Jahrgänge 2003 und 1999) in der Wettinger Legislative. Man habe bewusst junge Menschen auf die ersten Listenplätze gesetzt, die in der Klimastreikbewegung aktiv waren und sind.
Das Thema Umweltpolitik dürfte indes den Primärunterschied gemacht habe. So sieht Die-Mitte-CVP-Fraktionspräsident Christian Wassmer das Wahlergebnis als exemplarisch für den generellen Grüntrend.
Auf Papier sieht es tatsächlich so aus, als ob in Wettingen die Türe für eine progressive Umweltpolitik noch nie so weit geöffnet gewesen wäre: WettiGrüen, SP und GLP kommen zusammen auf bereits 22 von 25 Sitze und Stimmen aus der politischen Mitte zeigen sich offen gegenüber grüner Umweltpolitik. Ob das Wahlergebnis aber wirklich ein realer Grünrutsch ist, könnte fraglich sein. So sagen ER-Vizepräsident Lutz Fischer-Lamprecht (EVP), Alain Burger (SP) oder Christian Wassmer, es müsse sich nun erst noch erweisen, wie sich die GLP in Zukunft tatsächlich positioniere.
SVP-Fraktionspräsident Martin Fricker findet die Situation ganz generell schwer einzuschätzen, die Verdoppelung der GLP-Mandate führe zu «neuen Dynamiken, die jetzt noch nicht abzusehen sind».
In Grenzen hält sich die Euphorie bei WettiGrüen: «Solange die GLP an ihrer Sparpolitik festhält, wird sie auch keine konsequente Klima- und Umweltpolitik machen können.» Damit falle sie für WettiGrüen «als primäre politische Partnerin ausser Betracht». WettiGrüen-Einwohnerrat Andreas Leuppi sieht das gleich: «Unsere finanzpolitischen Ansichten gehen so weit auseinander, dass mir eine verstärkte Zusammenarbeit unmöglich scheint.» Die SP sei bezüglich einer konsequenten Klimapolitik «viel verlässlicher», man sei aber auch zu Gesprächen mit der GLP bereit, so Leo Scherer. Für ihn ist klar: «Die GLP trägt jetzt Verantwortung und muss liefern.» Ähnlich sieht es die SP, die weiterhin 9 Einwohnerräte stellen darf. Alain Burger – übrigens davon der bestgewählte – sagt, er habe «Hoffnung bei grünen Themen», aber «Klimamassnahmen haben ein Preisschild». Es dürfte deshalb wahrscheinlich sein, dass die SP weiterhin mit WettiGrüen koaliert, obwohl Letztere wieder Fraktionsstärke erreicht hat. So auch die Signale von Burger und Scherer. Beide sagen, man werde das Gespräch suchen und sich darüber freuen, die Zusammenarbeit fortsetzen zu können, die «sehr produktiv» gewesen sei.
Historische Schlappen
Die grossen Verliererinnen dieser Wahl sind Die Mitte CVP und die SVP, die je zwei Sitze verloren haben. Auch die FDP verliert einen Sitz. Für die SVP ist dies das schlechteste Wahlergebnis seit 1997, für die FDP seit 1969 – und für Die Mitte CVP (damals noch vor Fusion mit der BDP) müsste man sogar in die Zeit vor 1965 zurückgehen.
Martin Fricker sagt, man sei enttäuscht, habe aber jetzt schon die Wahlen in vier Jahren im Blick. Fricker, auf der Suche nach Antworten: «Wettingen hat sehr grosse Probleme und die haben nur am Rande mit dem Klima zu tun. Die SVP hat diese Probleme in den letzten vier Jahren konsequent benannt und immer wieder Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt.»
Christian Wassmer zur Die-Mitte-CVP-Niederlage: «Jeder Sitz, den man verliert, schmerzt.» Man habe nicht damit gerechnet, dass der Grünrutsch so ungebremst weitergehe. Im Wahlkampf habe man sich zwar auch entsprechend zu positionieren versucht, am Ende sei die Botschaft aber wohl nicht so angekommen wie gewünscht. Es habe «neben dem Grünrutsch auch einen Frauenrutsch» gegeben. So hat es Ariane Dieth auf Anhieb zum zweitbesten Die-Mitte-CVP-Ergebnis und Marie-Christine Andres Schürch ebenfalls im ersten Anlauf in den Einwohnerrat geschafft. Man sei stolz auf ein 50:50-Verhältnis zwischen Frauen und Männern, so Wassmer.