«Wir sind eine Familie wie jede andere»

Die «Ehe für alle» steht vor der Tür. Die Wettinger Friedensrichterin Andrea Kleger im Gespräch über Regenbogenfamilien, den Sinn der Ehe für alle – und ihre Hoffnungen für die Zukunft.

Die Regenbogenfamilien mit dem Bimmelzug an der Pride. (Bilder: zVg)

Die Regenbogenfamilien mit dem Bimmelzug an der Pride. (Bilder: zVg)

Andrea Kleger mit ihrem Sohn.

Andrea Kleger mit ihrem Sohn.

Am 26. September stimmt das Schweizer Stimmvolk über die «Ehe für alle» ab. Wird die Abstimmungsvorlage angenommen, können gleichgeschlechtliche Paare zivil heiraten. «Gleichgeschlechtliche Paare und ihre Kinder sind heute weniger gut abgesichert. Diese Diskriminierung wird mit der ‹Ehe für alle› endlich beseitigt», sagt Andrea Kleger, Friedensrichterin Bezirk Baden. Gemeinsam mit ihrer Frau lebt die 42-Jährige seit fast zehn Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft. Im Gespräch verrät die dreifache Mutter, warum die Ehe für alle schon längst überfällig ist und was sie sich für die Zukunft wünscht.

Warum ist die Abstimmung über die «Ehe für alle» längst überfällig? Bisher ist es gleichgeschlechtlichen Paaren lediglich möglich, ihre Beziehung mit einer eingetragenen Partnerschaft anerkennen zu lassen. Diese ist der Ehe zwar ähnlich, aber nicht gleichgestellt. Rechtliche Unterschiede bestehen etwa bei der Einbürgerung, der Adoption von Kindern und in der Fortpflanzungsmedizin. Mit einem Ja zur «Ehe für alle» würde Frauenpaaren der Zugang zur Samenspende in der Schweiz erlaubt und gleichgeschlechtliche Paare könnten neu gemeinsam Kinder adoptieren. Homo- und Bisexualität sind in der Schweiz gesellschaftlich weitgehend anerkannt. Deswegen sollen alle Paare endlich auch gleichgestellt werden.

Laut aktuellen Erhebungen gibt es eine breite Unterstützung für die «Ehe für alle». Wie sehen Sie der Abstimmung entgegen? Ich freue mich über die Resultate der Abstimmungsumfragen. Es ist schön zu sehen, dass die «Ehe für alle» eine breite Unterstützung in der Bevölkerung findet. Aber es ist zentral, dass jede Person, die für die LGBTIQ-Rechte einsteht, am 26. September auch wirklich ein Ja in die Urne legt.

Sie leben mit Ihrer Frau und Ihren drei Kindern in einer sogenannten Regenbogenfamilie. Erklären Sie bitte den Begriff. Regenbogenfamilien sind Familien, in denen mindestens ein Elternteil entweder gleichgeschlechtlich oder transgeschlechtlich lebt. Fachpersonen schätzen, dass in der Schweiz zwischen 6000 und 30000 Kinder in Regenbogenfamilien aufwachsen. Obwohl wir nicht in der klassischen Familienkonstellation leben, erleben wir dieselben Freuden und Sorgen mit unseren Kindern, wir sind eine Familie wie jede andere.

 

Wo im Alltag fühlen Sie sich als Regenbogenfamilie diskriminiert? Was mich immer wieder stört, sind Formulare, in denen nach den Eltern gefragt wird und wo immer Mutter und Vater steht. Da merken wir, dass unsere Familienform noch nicht zum Mainstream gehört. Und wenn mich jemand fragt, wer denn jetzt die richtige Mutter sei, fühle ich mich doch sehr betroffen. Oft meinen es die Leute gar nicht böse, denn für viele ist es das erste Mal, dass sie auf eine Regenbogenfamilie treffen. Für uns ist es aber manchmal schwer, immer wieder das Lernobjekt des Gegenübers zu sein.

Wo wünschen Sie sich mehr Toleranz? Meine Tochter wird ab und zu von Gleichaltrigen gefragt, wo denn ihr Vater sei. Wenn sie darauf antwortet, dass sie zwei Mütter hat, kommt es manchmal vor, dass die Fragenden ausfällig werden und strikt behaupten, dass dies doch nicht möglich sei. In solchen Situationen merke ich, dass Lebens- und Liebesformen abseits der «Norm» in vielen Familien kein Thema sind. Viele Kinder werden von ihren Eltern nicht darauf vorbereitet, dass sie auf Personen treffen könnten, die anders sind. Es wäre schön, wenn diese Themen in der Familie und der Schule stärker thematisiert würden.

Engagieren Sie sich deshalb im Dachverband Regenbogenfamilien? Ja. Meiner Frau und mir war es immer wichtig, dass unsere Kinder Kontakt zu anderen Kindern aus Regenbogenfamilien haben. Deshalb haben wir 2015 den Regenbogenfamilientreff Baden gegründet, wo wir uns zum lockeren Austausch mit anderen Familien treffen. Nach langer Coronapause findet das nächste Treffen Anfang November statt. Nun freuen wir uns aber erst auf die Zurich Pride.

Sie sind also am 4. September an der Zurich Pride mit von der Partie? Ja, wir werden als Familie bei der Demonstration dabei sein. Normalerweise betreiben wir die «Familienoase» an der Zurich Pride, wo Kinder und Erwachsene verweilen, basteln und sich austauschen können. Coronabedingt ist das dieses Jahr aber nicht möglich.

Sie sind seit März dieses Jahres Friedensrichterin für den Kreis IV im Bezirk Baden, führen Ihre eigene Beratungsfirma und setzen sich mit Herzblut für die LGBTIQ-Bewegung ein. Woher rührt diese Tatkraft? Es ist mir ein Anliegen, mich in der Gesellschaft und dort, wo meine Familie lebt, zu engagieren. Wenn wir etwas in der Welt verändern wollen, müssen wir selbst für diese Veränderung einstehen. Deshalb gehe ich diesen Herbst noch einen Schritt weiter und stelle mich in Wettingen für die GLP als Einwohnerrätin zur Wahl.

Wie erleben Sie und Ihre Frau als homosexuelles Paar Ihre Wahlheimat Wettingen? Wettingen und Baden sind gegenüber LGBTIQ-Themen aufgeschlossen. Die LGBTIQ-Community ist in den letzten 20 Jahren sehr weit gekommen, und die Gesellschaft ist gegenüber Homosexualität offener geworden. Viele betrachten Homosexualität heute als normal. Das ist wunderbar. Das Ja zur «Ehe für alle» wäre ein weiterer wichtiger Meilenstein für die Bewegung.

Bei einem Ja zur «Ehe für alle»: Geben auch Sie uns Ihre Frau sich das Ja-Wort? Möglicherweise, denn die rechtlichen Vorteile der Ehe gegenüber der eingetragenen Partnerschaft überwiegen klar. 2023 leben wir zehn Jahre in eingetragener Partnerschaft, das Timing wäre daher perfekt.

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