Als Landammann musste Markus Dieth die Notlage ausrufen

Im Interview sagt der ehemalige Wettinger Gemeindeammann und Aargauer Regierungsrat Markus Dieth, wie er sein Jahr als Landammann erlebt hat.

Markus Dieth im Telli in Aarau, dem Sitz  des Departements Finanzen und Ressourcen.Gaby Kost (14. Dezember 2020)
Markus Dieth im Telli in Aarau, dem Sitz des Departements Finanzen und Ressourcen.Gaby Kost (14. Dezember 2020)

Kurz bevor der Wettinger Markus Dieth zum Landammann gewählt wurde, haben wir ihn am 14. Dezember 2019 einen Tag lang begleitet. Bevor wir uns um neun Uhr abends von ihm verabschiedet haben, sagte er: «Ich freue mich auf die vielen Begegnungen mit den Menschen, die ich im Jahr als Landammann haben werde.» Ein Jahr später treffen wir ihn wieder. Wir nehmen im Sitzungszimmer im Telli-Hochhaus Platz, dem Sitz des Departements Finanzen und Ressourcen des Kantons Aargau. An den Wänden hängen noch dieselben Bilder, auch die Aussicht aus dem 22. Stock ist noch immer atemberaubend. Anders ist hingegen die Möblierung. Es hat zusätzliche Tische und weniger Stühle, damit genügend Abstand eingehalten werden kann. Kurz nach elf Uhr betritt Markus Dieth mit Maske das Sitzungszimmer und nimmt Platz, ohne die Hand zu reichen.

Ihr Landammannjahr verlief anders, als Sie es sich vor einem Jahr gewünscht haben. Der persönliche Kontakt mit der Bevölkerung war schwierig ...

Ja, Corona hat Kontakte massgeblich eingeschränkt. Oder anders gesagt auf neue Plattformen und Kommunikationskanäle verschoben. Und auch sonst verlief kein Tag wie geplant. Es ist viel los. Sehr viel. Ich hätte niemals gedacht, dass ich als Landammann die Notlage im Aargau ausrufen muss – ein einschneidender Moment voller Sorge, aber auch Hoffnung. Das werde ich nie vergessen. Statt der Repräsentativ- habe ich nun vor allem Führungsaufgaben in der Krise übernommen.

An vorderster Front steht Gesundheitsminister Jean-Pierre Gallati. Wie sehr nehmen Sie als Landammann und Finanzvorsteher Einfluss auf die Kantonsmassnahmen in Sachen Pandemie?

Der Regierungsrat entscheidet gemeinsam, stützt sich dabei auf die Aussagen und Empfehlungen der zuständigen Fachbereiche, insbesondere der Kantonsärztin. Sie hat die Kompetenz, Verfügungen zu erlassen, unabhängig von der Politik. Die Einschätzung der Lage erfolgt insbesondere aus gesundheitlicher Sicht, das ist in dieser Krisensituation wichtig. Jedenfalls solange der Bundesrat keine Massnahmen erlässt, die über den Entscheiden des Kantons stehen.

Der Kanton Aargau wurde im Zusammenhang mit hohen Fallzahlen und eher lockeren Massnahmen auch kritisiert. Wurden Sie persönlich stark kritisiert?

Es gab und gibt viel mehr dankende und unterstützende Rückmeldungen aus der Bevölkerung als andere. Diesen Rückhalt zu spüren, tut gut. Doch auch die kritischen gibt es und darf es geben. Wenn sie allerdings respektlos sind, braucht es manchmal einen breiten Rücken. Letztlich ist Führung gefragt und da setzt die Regierung alles daran, die für unseren Aargau richtigen Entscheide zu treffen. Die passen halt nicht immer allen. Damit muss man leben.

Würden Sie rückblickend etwas ändern?

Überlegt. Vielleicht noch intensiver beim Bundesrat intervenieren, um eine einheitliche Lösung für alle Kantone zu finden. Es bringt nichts, wenn jeder Kanton etwas anderes macht, wenn die Lage derart angespannt ist. Gerade jetzt, in der sowieso durch Corona noch emotional aufgeladenen Zeit, sind Orientierung und Verlässlichkeit wichtig, was durch einheitliche Vorgaben erreicht werden kann. Ich appelliere an die Bevölkerung, ihre Kontakte aufs Notwendigste zu reduzieren. Ich mache das auch. Ich habe schon 53-mal Weihnachten gefeiert, jetzt laufen die Feiertage halt für einmal nicht gleich ab.

Wie werden Sie die Feiertage verbringen?

Mit meiner Frau, unseren beiden Töchtern und meiner Schwiegermutter. Ich halte mich also auch an die 2-Haushalt-Empfehlung mit maximal zehn Personen. Und je nachdem, welche Aufgaben anstehen und wie es mir gesundheitlich geht, werde ich in meiner zweiten Heimat Davos ein paar Ferientage verbringen.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich nach der Covid-Erkrankung im Frühjahr und der Operation wegen des entzündeten Nabelbruchs im November?

Ich habe mich schnell erholt und konnte rasch wieder arbeiten. Doch das Coronavirus verlangt mehr ab als eine herkömmliche Grippe. Mir wurde einmal mehr bewusst, wie essenziell unsere Gesundheit ist. Wir müssen diesem wichtigsten Gut Sorge tragen, uns bewusst Pausen gönnen.

Sie sind nicht bekannt fürs Pausenmachen. Tun Sie das seit der Erkrankung wirklich?

Lacht. In diesem Jahr ist es noch schwieriger. Normalerweise bin ich regelmässig im Fitness und komme so zu einer Pause. Das darf ich wegen der Operation im Moment noch nicht. Ich persönlich finde den Ausgleich auf Spaziergängen in der Natur, beim Klavierspielen oder bei guten Gesprächen mit Freunden und meiner Familie.

Und beim Guetzle, wie man auf einem Bild sah, das Sie am dritten Advent gepostet haben?

Ich habe gerne Mailänderli und als meine Frau Désirée am Sonntag Teig machte, habe ich ihr beim Ausstechen geholfen.

Wie gut können Sie nach Feierabend von der Arbeit abschalten?

Das habe ich als Anwalt bei den Scheidungen gelernt. Es braucht das richtige Verhältnis zwischen sich abgrenzen und dennoch nicht abgestumpft werden. Das ist manchmal schwierig. Es kann nicht alles immer gelingen. Doch wenn ich meine täglichen Aufgaben als Regierungsrat nach bestem Wissen und Gewissen erledigt habe, dann kann ich auch abschalten und nachts gut schlafen.

Dank dem sanierten Finanzhaushalt müssen Sie sich als Finanzminister auch wegen der Finanzen keine Sorgen machen, oder?

Ja, diesbezüglich bin ich relativ entspannt. Der Aargau steht finanzpolitisch auf einem stabilen Fundament. Die finanziellen Herausforderungen der Coronapandemie werden wir nach heutigem Kenntnisstand meistern. Dies, weil wir in den vergangenen vier Jahren nicht nur das Defizit in der Staatsrechnung beseitigen konnten, sondern auch je rund eine halbe Milliarde Franken Schulden abbauen und in die Ausgleichsreserve legen konnten. Dadurch können wir künftige konjunkturelle Schwankungen ausgleichen. Wir gehen trotz grossen Mehrausgaben aufgrund der Pandemie für das Jahr 2020 von einem dreistelligen Überschuss aus. Damit haben wir einen gewissen Handlungsspielraum, um die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie abfedern zu können.

Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig das Pflege- und Betreuungspersonal in Spitälern, Heimen und anderen Einrichtungen ist und wie stark sie unter Druck stehen. Wird sich dieses Bewusstsein auch lohnmässig auswirken?

Das Personal ist nicht beim Kanton, sondern bei den jeweiligen Gesundheitsinstitutionen angestellt. Insofern können wir das nicht direkt beeinflussen. Als Regierungsrat können wir aber unterstützen, indem sich der Kanton finanziell an den Ausfällen und Mehraufwendungen beteiligt, die Spitäler aufgrund der Pandemie hatten. Eine entsprechende Vorlage wird der Regierungsrat im Grossrat präsentieren. Damit wollen wir verhindern, dass sich der finanzielle Druck der Spitäler negativ auf die Löhne und Leistungen des Personals auswirkt. Ich habe im November hautnah erlebt, welch grossartige Leistung das Personal im Spital erbringt. Die psychische Belastung fürs Pflegepersonal ist gross. Gerade bei der Betreuung von an Covid-19 erkrankten Patienten.

Warum ergriff der Aargauer Regierungsrat Anfang Dezember keine weiteren Massnahmen, um der hohen Belegung der Intensivbetten entgegenzuwirken?

Wir haben immer gewährleistet, dass die Spitäler in der Lage sind, innert 48 Stunden die Kapazität der Spitalbetten zu erhöhen. Doch wir teilen die Bedenken des Bundesrats, dass es über die Weihnachtstage eine Zunahme der Fallzahlen und somit zur Überlastung in den Spitälern kommen könnte. Dementsprechend wurden zwischenzeitlich auch die nächsten wichtigen Entscheide getroffen.

Auch das Gewerbe leidet. Macht Sie das als Finanzminister besonders betroffen?

a, sehr. Darum haben wir Massnahmenpakete in der ersten Welle, der zweiten Welle sowie Härtefallmassnahmen etc. erarbeitet – und dies jeweils in kürzester Zeit. Zudem kann man auch im Kleinen helfen. Ich kenne Unternehmer, die leider ihr Geschäft aufgeben mussten, Angestellte, die ihre Arbeit verloren haben oder um ihre Existenz kämpfen müssen. Ich habe aber auch viele innovative Unternehmer erlebt, die aktiv wurden, beispielsweise neu ein Catering anbieten, sich innerhalb des Gewerbevereins zusammentaten und innovative Angebote kreiert haben. Es ist wichtig, dass wir auch dies unterstützen. Wir haben dieses Jahr zum Beispiel auf Weihnachtsessen verzichten müssen, haben aber als Kompensation Aargauer Gastrogutscheine abgegeben. Damit können wir zumindest im Kleinen etwas beitragen an die grossen Ausfälle in Gastrobetrieben.

Ihr Jahr als Landammann ist bald vorbei. Was war trotz Pandemie erfreulich?

Eine herausfordernde Zeit birgt immer auch neue Chancen, die man erkennen und nutzen muss. Die Regierung, die Verwaltung und auch ich persönlich haben einen gewaltigen Digitalisierungsschub erlebt. Und nicht nur mir, sondern vielen Menschen wurde bewusst, was im Leben wirklich zählt: Zusammenhalt und Zusammenarbeit basierend auf Vertrauen, Menschlichkeit und Solidarität sind für das Funktionieren unserer Gesellschaft und unserer demokratischen Werte massgeblich. Ein persönliches Highlight waren die Landammannfeier in Wettingen und die Wiederwahl im Herbst.

Was wünschen Sie sich fürs 2021?

Dass wir die Pandemie gemeinsam meistern, und zwar mit Zuversicht, Disziplin und Geduld. Und dass wir als Gesellschaft gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden.

Weitere Artikel zu «Wettingen», die sie interessieren könnten

Wettingen27.03.2024

Mehr Steuergelder eingenommen

Die Gemeinde Wettingen schliesst die Rechnung 2023 mit einem Minus von 200000 Franken. Das ist weniger als budgetiert.
Wettingen20.03.2024

Wettingen will höher bauen

Rund 250 Personen liessen sich im Tägerhardsaal über die Gesamtrevision der allgemeinen Nutzungs­planung informieren. Klar ist: Wettingen wird weiterhin…
Wettingen20.03.2024

Hartnäckigkeit wird geschätzt

Drei Berufsleute gaben Eltern Einblick in die Anforderungen während der Lehre und den Weg dorthin.