Benno Bruggisser ist der, der mit den Gassen tanzt und ein Buch darüber schreibt

Der Wettinger reist gerne, am liebsten in europäische Städte. Ihre Entstehungsgeschichten fesseln ihn. Seine Forschung dauerte sieben Jahre.

Der 71-jährige Historiker Benno Bruggisser vor seinem Einfamilienhaus in Wettingen. In den Händen hält er das Produkt seiner siebenjährigen Forschung: ein 200 Seiten starkes Buch. Rahel Bühler
Der 71-jährige Historiker Benno Bruggisser vor seinem Einfamilienhaus in Wettingen. In den Händen hält er das Produkt seiner siebenjährigen Forschung: ein 200 Seiten starkes Buch. Rahel Bühler

30 Jahre war Benno Bruggisser Lehrer. Sein halbes Leben. Zuerst an der Kantonsschule Wettingen, dann am KV Baden. Er reist gerne. Vor allem mittelalterliche Städte haben es ihm angetan. Das sei schon während des Geschichtsstudiums so gewesen. «Mich zieht es immer ins Zentrum einer Stadt. Dort fühle ich mich am wohlsten. Irgendwann habe ich mich gefragt, wieso?» Nebst Beruf und Familie blieb ihm lange keine Zeit, dieser Frage nachzugehen. Mit der Pension vor sieben Jahren hat sich dies geändert. Der heute 71-Jährige widmet sich seither dieser Frage.

Wieso fühlt man sich an einem Ort wohl, wo es von Häusern, verwinkelten Gassen nur so wimmelt? Bruggisser setzte sich in sein Büro im Erdgeschoss seines Einfamilienhauses in Wettingen. Las, recherchierte, telefonierte. Schrieb Gedanken auf, sortierte sie. Nach dem Studieren mehrerer Stadtpläne erkannte er: In Städten, die einen mittelalterlichen Kern haben, gibt es keine rechten Winkel. Strassen verlaufen nicht gerade. Sie kreuzen sich auch nicht in einem Winkel von 90 Grad. Plätze und Häuser weisen keine rechtwinkligen Grundrisse auf. Häuser sind auch nicht so hoch. Die Städte sind eher auf den Menschen zugeschnitten. Deshalb fühlt man sich dort wohl. Schnell war für Bruggisser auch klar: Diese Bauweise wählten die damaligen Städtebauer bewusst. Dafür müsse es einen Grund geben. Bruggisser bereiste mehrere europäische Städte, die ihre Entstehung im Mittelalter hatten. Ehefrau Barbara begleitete ihn. Er stellte überall das gleiche Muster fest: In mittelalterlichen Stadtgrundrissen fehlen rechte Winkel.

Morgens forschen, nachmittags Velo fahren, wandern oder lesen

In den vergangenen sieben Jahren habe er sich fast an jedem Tag mit diesem Phänomen, das er tanzende Gassen nennt, befasst. Meistens vormittags. So habe er nach dem Mittagessen Zeit für anderes gehabt: Velofahren, Wandern, Literatur. Damit er seine Erkenntnisse nicht vergisst, schrieb er sie auf. In seinem Arbeitszimmer thront eine mannshohe Stehwand, übersät von akribisch geordneten, gelben Post-its. Als er seine Erkenntnisse auf den kleinen Zetteln verewigte, kam ihm erstmals der Gedanke nach einem Buch.

Auf seinen Reisen suchte er auch nach dem Grund für die tanzende Bauweise. «Meine nächste Entdeckung hat mich fast umgehauen», sagt der Wettinger. Schon damals habe das ästhetische Empfinden der Menschen auf Proportionen, rechten Winkeln und Symmetrien beruht. Die Leute fanden also genau das schön, was sie beim Aufbau ihrer Städte vermieden. Dafür müsse es einen tieferen Grund geben, vermutete Bruggisser. Ein Verbot zum Beispiel. Dafür fand er aber keine Beweise. Aber eine neue These: Damals hat die Religion eine grosse Bedeutung für die Menschen gespielt. Alles war mit der Kirche verbunden. Und diese wurden symmetrisch und rechtwinklig gebaut. «Die Städtebauer haben sich wegen der Religion und aus Demut nicht getraut, Häuser zu bauen, die Kirchen im Aufbau ähnelten», schlussfolgert der 71-Jährige.

Natürlich habe er zwischendurch auch Zweifel an seiner Theorie gehabt. An den Punkt des Aufgebens sei er aber nie gekommen. «Je mehr Informationen ich beisammen hatte, desto mehr hat mich das Thema gepackt.»

Genug von der Forschung hat Bruggisser noch lange nicht

Nach dem Finden der Theorie habe er sich ans Schreiben gemacht. Am Anfang war die Idee. Am Ende das Buch. Einen Verlag zu finden sei kein einfaches Unterfangen. Zu teuer, lautete die Begründung. Die Lösung lag in einem Onlineverlag, der Bücher nur auf Bestellung druckt. Von den ursprünglich 150 bestellten Exemplaren sind heute noch einige übrig. Fein säuberlich vor der Zettel-Stehwand aufgestapelt. Es sei ein schönes Gefühl gewesen, als er das Buch vor einem halben Jahr das erste Mal in den Händen hielt, sagt Bruggisser. Ein gewisser Stolz schwingt in seinen Worten mit. Das Buch sei aber nicht das Ziel seiner Forschung gewesen. Sondern ein Nebenprodukt. Vor kurzem veranstaltete Bruggisser eine Vernissage in kleinem Rahmen. Im Frühling bestreitet er an der Volkshochschule Wettingen einen Kursabend über das Phänomen der tanzenden Gassen in mittelalterlichen Städten. Genug davon hat er noch lange nicht: «Ich mache weiter, es gibt noch immer ein paar Fragen zu klären.» Wie zum Beispiel Zähringerstädte entstanden sind.

«Geplante Unregelmässigkeiten – Das Phänomen der tanzenden Gassen in mittelalterlichen Städten», Benno Bruggisser, Books on Demand, 2020, 280 Seiten. Erhältlich bei Benno Bruggisser.

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