Nicht alle haben ein Lehrerdiplom

Einst Automatiker und Berufsmusiker, heute ­Lehrer. Heute gibt es verschiedene Möglichkeiten, Lehrperson zu werden. Auch ohne Diplom.

Lehrermangel auch an der Schule Neuenhof. Alex Spichale/Archiv

Donnerstagmorgen nach den Herbstferien um halb acht. Es ist noch dunkel und es regnet. 130 Lehrpersonen arbeiten an der Schule in Neuenhof. Einige von ihnen stehen bereits vor der Klasse. Ein Lehrer ist gerade dabei, alles für den Unterricht parat zu machen. «In diesem Zimmer unterrichte ich als Fachlehrer», sagt er und öffnet die Türe eines Musikschulzimmers.

Der Lehrer möchte nicht mit seinem Namen in der Limmatwelle erscheinen. Er unterrichtet die Schüler nämlich nicht nur vier Tage als Fachlehrer mit Ausbildung im musischen Bereich, sondern auch einen Tag als Primarschullehrer – ohne Lehrerdiplom. Er befürchtet, dass es Leute gibt, die seine Arbeit deswegen diskreditieren. An anderen Schulen, an denen er vorher unterrichtete, wurde ihm deshalb geraten, nicht zu kommunizieren, dass er kein Lehrerdiplom besitzt.

Einst Automechaniker und Musiker

Der Familienvater hatte einst eine Ausbildung als Automechaniker absolviert und dann zehn Jahre als Automatiker in der Wirtschaft gearbeitet. Er montierte Zugsteuergeräte, Vermessungsanlagen und baute Steuergeräte oder Präzisionsanlagen zusammen. Und er half bei der Konstruktion der Raketenspitze für die europäische Raumfahrt mit.

Zum Unterrichten ist er übers Schlagzeugspielen gekommen. Vor etwa 15 Jahren machte er sein Hobby zum Beruf und liess sich im In- und Ausland zum Profi-Schlagzeuger ausbilden. An der Hochschule für Künste schloss er das Masterstudium Pop und Rock ab. Das erlaubte ihm, nicht nur als Profi-Schlagzeuger zu arbeiten, sondern auch an Schulen Schlagzeugunterricht zu geben. Das tat er schliesslich, auch wenn er vom Einsatz auf Bühnen bei Konzerten, Hochzeiten und anderen Anlässen lebte. Auch in Neuenhof hatte er einen Einsatz: als Bandmitglied bei der Aula-Einweihung. «Das war mein Einstieg an der Schule Neuenhof, ich wurde daraufhin angefragt, ob ich zwei Stunden als Fachlehrer unterrichten möchte.» Er fand seinen Traumjob. Die Arbeit mit Kindern gefiel ihm so gut, dass er sich an den Morgen, die er als Musiker meist frei hatte, auch als Klassenassistent zur Verfügung stellte. Später unterrichtete er an anderen Schulen auch als Primarlehrer.

Studium für Quereinsteiger

An der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) gibt es eine Studienvariante für Quereinsteigende, die zum eidgenössisch anerkannten Lehrerdiplom führt. Das Vollzeitstudium dauert drei Jahre, der integrierte Berufseinstieg ist ab dem zweiten Studienjahr vorgesehen.

«Als Hauptverdiener kann ich mir das nicht leisten. Gäbe es eine kürzere Ausbildung, würde ich sie sofort machen», sagt der Lehrer. Solche kürzere Ausbildungen – die sogenannte Stufenerweiterung – gibt es für Lehrpersonen, die bereits ein Lehrerdiplom besitzen und nur einen Stufenwechsel vornehmen wollen, wenn sie beispielsweise als Primarlehrer auf die Oberstufe wechseln wollen. «Es gab noch nie so viele Möglichkeiten, Lehrperson zu werden wie momentan», sagt Christian Irgl, Mediensprecher von der PH FHNW.

Lehrpersonen ohne Diplom

Zahlen, wie viele Lehrpersonen ohne Lehrerdiplom vor der Klasse stehen, gibt es gemäss Simone Strub Larcher nicht. Anstellungsbehörde ist die Schulführung vor Ort. Die Schulleitung beurteilt somit die Qualifikationen von Bewerbenden und entscheidet über eine Anstellung. Dem BKS sei bewusst, dass die Besetzung von Stellen nach wie vor sehr anspruchsvoll ist. «Dennoch ist anzustreben, dass die unterrichtenden Lehrpersonen über die erforderliche fachliche, pädagogische und methodisch-didaktische Qualifikation verfügen oder bei teilweise fehlenden Qualifikationen diese innerhalb von fünf Jahren nachholen. Während dieser Zeit erfolgt ein Lohnabzug von fünf Prozent», sagt die Pressesprecherin des Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS).

Die ersten Schülerinnen und Schüler öffnen die Schulzimmertüre und begrüssen ihren Lehrer, erzählen von ihren Ferien. Als Profimusiker fällt es ihm leicht, die Kinder für Noten, Rhythmus und Musik zu begeistern. Ebenso, sie beim Einstudieren von Liedern für einen Schulanlass auf dem Keyboard zu begleiten. Diese Kenntnisse sind ihm auch an der Pädagogischen Hochschule in Bern zugutegekommen, wo er einen CAS für Musikalische Grundschule erwarb. Während dieses Unterrichts kann er aus dem Vollen schöpfen. Für die viereinhalb Stunden, die er als Primarlehrer Mathe, Deutsch und Zeichnen unterrichtet, sei sein Vorbereitungsaufwand viel grösser. Da habe er sich richtig reingekniet, den neuen Lehrplan und die Lehrmittel studiert und sich viel mit anderen Lehrpersonen ausgetauscht und zusammengearbeitet. Trotz diesem Mehraufwand sieht er auch Positives an seinem Werdegang: «Dank den Erfahrungen, die ich in der Berufswelt vorher sammelte, bringe ich einen gefüllten Rucksack mit, das hilft mir beim Schulgeben.» Sagt es, fügt an, dass Lehrer sein Traumjob ist, er nicht mehr mit der Bühne tauschen wolle, und widmet sich den Schülern, die bereits im Kreis sitzen und darauf warten, bis der Unterricht endlich beginnt. Infos zu Ausbildungsmöglichkeiten:www.fhnw.ch/de/studium/paedagogik/ein-erstklassiger-weg-macht-schule

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