Aus zwei Wochen wurden zehn Jahre: So ist es, eine demenzkranke Mutter zu pflegen

Menga Taiana-Wilhelm wird im Februar 90 Jahre alt. Ihre Geburtstage zählt sie schon lange nicht mehr, sie hat Demenz. Ihre Tochter Manga Asaridis-Taiana und deren Mann Vassili Asaridis sind für ihre Pflege extra in die Schweiz gezogen.

Menga Taiana-Wilhelm mit ihrer Tochter Manga Asaridis-Taiana (links) und dem Schwiegersohn Vassili Asaridis (hinten). Melanie Borter
Menga Taiana-Wilhelm mit ihrer Tochter Manga Asaridis-Taiana (links) und dem Schwiegersohn Vassili Asaridis (hinten). Melanie Borter

Eigentlich hätte die damals 79-jährige Menga Taiana-Wilhelm an den Augen operiert werden sollen. «Weil dies bedeutete, dass meine Mutter zwei Wochen lang Hilfe gebraucht hätte, nahm ich frei und reiste nach Neuenhof», erzählt Menga Asaridis-Taiana. Sie ist die Älteste der vier Kinder von Menga Taiana-Wilhelm und trägt denselben Vornamen wie ihre Mutter. Das ist zehn Jahre her. Asaridis-Taiana lebte damals mit ihrem Mann Vassili Asaridis in der griechischen Stadt Thessaloniki. Sie arbeitete als Sozialdiakonin, er besass als Ingenieur eine eigene Firma. Zusammen haben sie drei damals schon erwachsene Kinder.

Die Operation am Auge wurde nie durchgeführt, aus den zwei Wochen Pflege sollten über 10 Jahre werden. Der Augenarzt weigerte sich, sie durchzuführen, weil ihm die Patientin verwirrt schien. Asaridis-Taiana schickte ihre Mutter zur Abklärung. Die Diagnose: Demenz. «Wir hatten bereits einen Verdacht», erzählt Asaridis-Taiana. «Bei Besuchen in Griechenland fiel uns auf, dass sie keine Orientierung mehr hatte. Oder wenn sie etwas bezahlen musste, legte sie ein Häufchen Geld hin, statt abzuzählen.» Das sind typische Anzeichen für eine Demenz. Das weiss Asaridis-Taiana heute. «Wir haben alles gelesen über Demenz, wir wollten uns vorbereiten.» Das Paar entschied, nach Neuenhof zu ziehen. «Wir stellten uns vor, dass ich die Mutter pflege und mein Mann Vassili sich eine Stelle als Ingenieur sucht», sagt Asaridis-Taiana. Der damals 56-jährige Vassili fand keine Stelle als Ingenieur. Die Betreuung der Mutter war für Menga allein nicht zu machen. Dass Menschen mit Demenz in jener Phase der Krankheit oft aggressiv sind, wusste Asaridis-Taiana zwar aus der Literatur. «Aber die Aggression und das Getrieben-Sein auszuhalten, ist dann doch etwas anderes», gibt sie zu. Sie sei froh gewesen, dass sie sich mit ihrem Mann abwechseln konnte. «Ich bin ein abstrakter Typ, kann viel mit dem Kopf verarbeiten», sagt Vassili Asaridis. Die beiden wurden formal zu Hausangestellten der Mutter, betreuten sie 24 Stunden am Tag.

Nach ein paar Jahren war das Ersparte der Mutter weg. «Wir versuchten, die Krankheitskosten zurückzufordern, so wie es der Bund vorsieht. Der Kanton Aargau stellte sich aber quer», erzählt Vassili Asaridis. Die Hypothek auf das Haus konnte auch nicht erhöht werden und die Bereitschaft der Geschwister von Menga das jährliche Defizit auszugleichen, war für die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) keine Lösung. Schliesslich einigte man sich darauf, dass Menga und Vassili einen sogenannten Lidlohn beziehen, der beim Ableben der Mutter verrechnet wird. «Das bedeute für uns zwar zusätzliche administrative Arbeit, aber so sehen auch meine Geschwister die ganze Abrechnung», sagt Asaridis-Taiana. Diese seien froh, dass die Mutter nicht in ein Heim müsse. Menga Asaridis-Taiana arbeitete die letzten fünf Jahre zusätzlich zur Betreuung der Mutter als Kindergärtnerin. Ab August ist sie pensioniert, ihr Mann Vassili ist bereits pensioniert.

Die Mutter pflegen sie aber weiterhin. «In einem Heim ginge es nicht mehr lange», ist Vassili Asaridis überzeugt. Nicht, weil die Heime schlecht wären, auch Menga Taiana-Wilhelm geht einmal in der Woche ins regionale Pflegezentrum Baden. «Aber Menga ist sehr auf uns bezogen, bei uns fühlt sie sich geborgen», sagt Vassili Asaridis. Die 89-Jährige sieht nichts, kann nicht mehr laufen und hat keine Zähne. «Aber sie leidet nicht. Wir vergleichen es mit einem Säugling, der all das auch nicht kann und trotzdem zufrieden ist. Wenn sie summt oder lacht, ist das schön», sagt Menga Asaridis-Taiana. «Das ist das Schönste», fügt ihr Mann Vassili an. Er ist überzeugt: «Sie erkennt die Stimmen ihrer Kinder». Wenn diese am 24. Februar zum 90. Geburtstag kommen, so wird Menga Taiana-Wilhelm vermutlich in ihrem Rollstuhl zufrieden summen und glücklich sein.

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