Sehr geniale Gedanken, aber Mühe, Gefühle zu erkennen

Mitarbeiter der Stiftung Netz besuchen Kinder mit Entwicklungsbeeinträchtigungen und ihre Eltern, um sie im Alltag zu unterstützen. Ein Augenschein bei Familie Lanz.

Heilpädagogische Früherzieherinnen und Früherzieher <em>unterstützen Kleinkinder ab Geburt und ihre Eltern.Symbolbild i-Stock/zVg</em>
Heilpädagogische Früherzieherinnen und Früherzieher <em>unterstützen Kleinkinder ab Geburt und ihre Eltern.Symbolbild i-Stock/zVg</em>

Ein ganz gewöhnliches Einfamilienhaus in einem Quartier in einer der fünf Limmatwelle-Gemeinden. Familie Lanz* lebt mit ihren beiden Kindern darin. In der Wohnstube hängen farbige Zeichnungen und Basteleien der Kinder. Am Boden liegen Spielsachen und auf dem Tisch Gesellschaftsspiele. Typisch eben für einen Haushalt mit Kindern im Schul- und Kindergartenalter.

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Trotzdem ist etwas anders bei Familie Lanz. «Mir fiel auf, dass Ben* sehr verträumt ist und beispielsweise viel Zeit brauchte, um sich anzuziehen», sagt Mutter Beatrice*. Auf starke äussere Reize und Lärm reagiert er empfindlich, er hat Mühe, Gefühlsregungen zu erkennen und Augenkontakt herzustellen. «Dafür kann er sich extrem gut auf ein Thema fokussieren und hat geniale Gedanken. Das ist recht faszinierend», sagt Vater Daniel*.

Nicht nur den Eltern ist die Andersartigkeit ihres Kindes aufgefallen, sondern auch der Kindergärtnerin. Während er daheim viel sprach, schwieg er im Kindergarten. Nach der Pause ging Ben manchmal unabsichtlich in die falsche Kindergartenabteilung. Auf Anraten der Kindergärtnerin wurde er nach einer mehrmonatigen Wartezeit durch die Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG) untersucht. Diagnose: Asperger-Syndrom (AS). Seither bekommt Ben fachliche Unterstützung. Anfangs von einer Logopädin, seit Schuleintritt von Heilpädagogen.

Als dann Bens jüngere Schwester in den Kindergarten kam, meldete sich die Kindergärtnerin erneut. Auch Chiara* zeige Anzeichen von Autismus. «Das hätten wir eher nicht gedacht», sagt Beatrice Lanz. Denn Chiara sei komplett anders als Ben. Bei ihm seien die typischen Anzeichen – beispielsweise Schwäche in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie spezifisch ausgeprägte Interessen – offensichtlich. Dennoch gingen sie mit dem Anliegen zur Kinderärztin und erhielten die Empfehlung, sich an die Stiftung Netz zu wenden. Das war vor ein paar Monaten.

Seither bekommt die Familie regelmässig Besuch von Nathalie Ineichen. Die Früherzieherin von der Stiftung Netz stellt zwar keine Diagnose, hat Chiara jedoch im Kindergarten und zu Hause beobachtet und einen heilpädagogischen Fachbericht über ihre Einschätzung erstellt. Die PDAG macht weiterführende Abklärungen und der Arzt stellt dann schliesslich die Diagnose. Aufgrund langer Wartelisten kann dieser Prozess Monate, sogar Jahre dauern. «Wir sind froh, dass uns die Früherzieherin in der Zwischenzeit unterstützt», sagt Daniel Lanz.

Denn Chiara weint viel, hat hohe Ansprüche an sich selber und Angst, zu versagen. Deshalb muss sie von den Eltern und der Kindergärtnerin besonders motiviert werden, Neues zu wagen. «Bei Gesellschaftsspielen will sie oft nicht mitspielen, weil sie total Angst hat, zu verlieren», sagt Beatrice Lanz.

Nathalie Ineichen hat genau dort angesetzt. Zusammen mit den Eltern hat sie einen Bildungsplan mit Bildungs-Entwicklungszielen erstellt. Das Ziel: Chiaras Selbstvertrauen stärken und die niedrige Frustrationstoleranz steigern.

Die Umsetzung erfolgt beim Spielen selber. Ineichen hat die Eltern bei ihrem letzten Besuch ermutigt, immer wieder mit Chiara zusammen Gesellschaftsspiele zu machen. «So lernt sie, die Angst vor dem Verlieren zu überwinden, und merkt, dass Verlieren gar nicht so schlimm ist», sagt Ineichen. Die Erfolgserlebnisse sollen Chiara helfen, selber eine Strategie zu finden, um mit Frust umzugehen und sich irgendwann selber zu motivieren.

Die Heilpädagogin will von den Eltern wissen, ob der Plan funktioniert. Beatrice Lanz bejaht und fügt an: «Ich ermutige sie jetzt, weiterzuspielen, auch wenn sie am Verlieren ist. Früher wusste ich nicht, wie ich in solchen Situationen reagieren soll.» Ihr Mann pflichtet ihr bei: «Wir gingen instinktiv den Weg des geringsten Widerstands und spielten halt dann ohne sie weiter. Jetzt versuchen wir, ihr aufzuzeigen, dass Verlieren nicht so schlimm ist.» Dieses Feedback freut die Früherzieherin. «Auch wenn es mit kleinen Schritten vorwärtsgeht, können wir im alltäglichen Umfeld der Familien dazu beitragen, dass sie Strategien entwickeln und lernen, mit ihren Besonderheiten umzugehen.»

Beatrice und Daniel Lanz haben das bereits getan. «Wir nehmen die Kinder so an, wie sie sind. Im Wissen, dass für sie jede Änderung eine Herausforderung ist», sagt Mutter Beatrice. Ihr Mann fügt an: «Wir sind trotzdem froh, haben wir eine Diagnose. Dank dieser erhalten unsere Kinder auch in der Schule die Unterstützung, die sie brauchen.»

* Namen geändert

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