Wer den François nicht ehrt...

François Chapuis (Die Mitte) war 12 Jahre in der Kommunalpolitik, 4 davon als Präsident der Fiko. Ein Abschiedsporträt.

Ein Lächeln zum Abschied: François Chapuis nach der ER-Sitzung. Robin Schwarz
Ein Lächeln zum Abschied: François Chapuis nach der ER-Sitzung. Robin Schwarz

Es mag im ersten Moment verwundern, dass der Präsident einer Finanzkommission Sätze sagt wie «Man sollte die Sache nicht immer nur vom Franken her denken». Schliesslich, so möchte man meinen, ist doch genau das die Aufgabe der Finanzkommission. Den Franken umdrehen. In der finanziellen Situation von Wettingen sogar lieber mehr als dreimal. Im Gespräch mit François Chapuis (Die Mitte) wird aber schnell verblüffend klar: Spräche ein Finanzkommissionär nur vom Franken, käme das einer Déformation professionnelle gleich. Doch davon kann im Falle von Chapuis nicht die Rede sein, im Gegenteil. Die eingehende Beschäftigung mit dem Franken macht wahrscheinlich auch dessen Limiten klar, zeigt, dass im Zentrum des Gedankens auch das Wie und das Warum stehen müssen. Und sowieso denkt Chapuis über die Grenzen seiner Aufgabe hinaus oder anders: Er verschiebt die Grenzen, weil er die Dinge ganzheitlicher sehen und in grösseren Zusammenhängen denken möchte.

«Eigentlich müsste ich jetzt bleiben», sagt Chapuis auf die Frage, ob sein Rücktritt aus der Finanzkommission per Ende Legislatur der aktuellen politischen Situation in Wettingen geschuldet ist. Denn irgendwie ist da etwas noch nicht ganz abgeschlossen, die letzte Zeit hallt noch nach, die Zeit mit dem abgelehnten Budget, der immer noch nicht vollzogenen, gemäss Chapuis unausweichlichen Steuererhöhung. Wettingen steht an einem Scheidepunkt. Das weiss auch Chapuis und man merkt, dass die Wettinger Politik noch ganz präsent ist, dass ihm einiges unter den Fingernägeln brennt und die Zeit danach noch nicht die grösste Rolle spielt. Er spricht viel über Politik, wenig über Privates. Aber: «12 Jahre Politik sind genug», sagt Chapuis. Vor 12 Jahren stieg Chapuis in die Kommunalpolitik ein und verbrachte zuerst einige davon in der Planungskommission, bevor er 2014 in den Wettinger Einwohnerrat nachrutschte und dort 7,5 Jahre verbrachte, davon 6 in der Finanzkommission, 4 als deren Präsident. Jetzt ist Chapuis 55 Jahre alt. Im Leben verschieben sich die Prioritäten. Ein Kollege habe ihm, dem ehemaligen Kantonsbaumeister, gesagt: «Schau, das Leben ist ein 80 Zentimeter langer Zollstock, überleg dir, wie viele Zentimeter du schon hinter dir und wie viel du noch vor dir hast.» Das sei eine schöne Metapher, sagt Chapuis, und «die Zeit wird immer kürzer». Er suche nun die Freiheit, seine Zeit anders nutzen zu können, «nicht immer nur liefern zu müssen». Einige Dinge seien zu kurz gekommen in den letzten Jahren, die Zeit mit der Familie, die persönlichen Interessen. Und fremdbestimmt sei er oft gewesen. Satte 64 Abende habe er 2019 mit Sitzungen verbracht. Chapuis hat aber keine Scheu vor der Leere, denn «ich bin nicht wie Merkel, die sich zuerst überlegen muss, was ihr Spass macht». Darstellende Kunst findet er «hervorragend», «Museen liebe ich», aber auch Theater, Konzerte, «Jazz, nein, eigentlich alles, ausser Ländler». Chapuis lacht.

Auch Teil der Entscheidung: Seit Ende 2018 ist Chapuis nicht mehr Kantonsbaumeister mit Sitz in Aarau, sondern Direktor Immobilien und Betrieb der Universität Zürich und sitzt auch in der Universitätsleitung. «Der Kosmos der Uni hat mich voll reingezogen», sagt Chapuis, und somit habe sich sein Leben auch immer mehr in Richtung Zürich orientiert. Alleine schon an der Uni gebe es unzählige spannende Angebote, in die man sich reinsetzen könne, und ausgerechnet er, der sogar an der Uni arbeite, mit all diesen jungen Leuten, habe keine Zeit dafür. Jetzt, wo er richtig in Zürich angekommen sei, habe er gemerkt, wie gross das kulturelle Angebot dort sei, als «gigantisch» beschreibt er es. «Ich könnte jeden Abend irgendwohin gehen und ich fände etwas, was mich interessiert», sagt Chapuis. «Davor habe ich das ein bisschen ausgeblendet.» Kein Wunder in einer Gemeinde, in der das kulturelle Leben immer stärker der Sparschere zum Opfer fällt.

Eine Aversion gegen Polemik

Da kommt Chapuis wieder auf Politik, auf «den Franken» zu sprechen. «Ich habe – gerade als Fiko-Präsident – Mühe damit, wenn man nur Teilaspekte betrachtet, sie mit Finanzen verbindet und den Nutzen ausblendet», sagt Chapuis. Ausgerechnet – oder gerade – ihm, der so viel mit Zahlen hantiert, ist klar, dass nicht alles quantifizierbar ist. «Ein Franken ist messbar, aber der Nutzen ist eine subjektive Wahrnehmung.» Zum Beispiel beim Thema Kunst und Kultur. «Manche finden, das hat keinen Nutzen. Dem würde ich jedoch vehement widersprechen, das ist der Kitt der Gesellschaft», sagt Chapuis. In den letzten Jahren habe man aber die Diskussion um den Nutzen immer mehr ausgeblendet, obwohl sie immens wichtig sei. Stattdessen würde man mit Halbwahrheiten debattieren und das, findet Chapuis, sei emblematisch für den gesellschaftlichen Diskurs, der immer polarisierter werde. «Ich habe eine Aversion gegen Polemik», sagt Chapuis und schielt dabei auf den Ratsbetrieb in Wettingen, der oft vergesse, konstruktiv zu sein, und sich einige Exponenten in den Mittelpunkt stellen wollten. «Eine kontroverse Diskussion ist wichtig, aber Kontroverse ist nicht gleich Stammtisch.» Man müsse wieder mehr miteinander reden, aufrichtig miteinander reden, mehr kommunizieren. Das gelte auch für die Gemeinde. Ja, der Diskurs soll besser werden, und man solle die Bevölkerung wieder mehr miteinbeziehen. Dafür brauche es vielleicht mehr öffentliche Veranstaltungen werweisst Chapuis. «Wir müssen die Politik so an die Bevölkerung bringen, dass sie sie versteht, und dazu müssen wir faktenbasiert kommunizieren.» Das habe er an der Fiko immer geschätzt. Man habe Sachpolitik gemacht, habe sich wirklich mit den Dingen befasst, sei kollegial gewesen. «Ich habe es als Privileg empfunden, so tief in Themen eintauchen zu können, ernst genommen zu werden, gehört zu werden.»

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