Er rückte zu Hause statt in der Kaserne ein

5000 von 12000 Rekruten sind bis Sonntag coronabedingt im Homeoffice. Zwei von ihnen, Patrick Blickenstorfer aus Otelfingen und Donat Krasniqi aus Neuenhof, erzählen.

Theorie daheim lernen: Donat Krasniqi aus Neuenhof ist nach drei Wochen Homeoffice gespannt auf das Leben als Rekrut. Sibylle Egloff

Theorie daheim lernen: Donat Krasniqi aus Neuenhof ist nach drei Wochen Homeoffice gespannt auf das Leben als Rekrut. Sibylle Egloff

Patrick Blickenstorfer kann seine Militärschuhe noch nicht anziehen. zVg

Patrick Blickenstorfer kann seine Militärschuhe noch nicht anziehen. zVg

Computer statt Kaserne. Trainerhosen statt Kampfstiefel. Patrick Blickenstorfer ist seit knapp drei Wochen in der Rekrutenschule. Wie 5000 andere Rekrutinnen und Rekruten auch, verbringt er sie zu Hause. Für den 21-Jährigen ist das Homeoffice eine komplett neue Welt. Als gelernter Automatiker arbeitet er im Betrieb. Bisher falle ihm zu Hause die Decke aber noch nicht auf den Kopf. «Ich kann immer noch raus zum Joggen.» Zudem seien die Aufgaben, die er erledigen müsse, vielfältig: Lesen, Videos, Animationen. Wenn sie denn funktionieren.

Bei RS-Beginn, am 18. Januar, war das System der Armee komplett überlastet. Dies berichteten mehrere Medien. Auch Blickenstorfer bestätigt das. «Ich habe mich zum Glück früh genug eingeloggt. Da konnte ich noch ein paar Aufgaben herunterladen.» So habe er sich drei Tage beschäftigen können. Ab Donnerstag habe er aber seine Aufgaben erledigt gehabt. «Dann wurde es mühsam, weil nichts mehr ging.»

Mittlerweile funktioniert das System einwandfrei, sagt der Otelfinger. Sein Tagesablauf sieht momentan so aus: morgens einloggen, Aufgaben erledigen, Mittagspause, weiterlernen am Nachmittag. So komme er gut auf die sechs Stunden Lernen pro Tag, welche die Armee vorgebe. Als Ausgleich gehe er draussen joggen oder mache Kraft- und Konditionsübungen zu Hause. Joggen zählt er auch sonst zu seinen Hobbys. Zudem ist er Mitglied im Schützenverein

Zuerst nervte er sich, jetzt findet er es «lässig»

Als er Anfang Januar die Information von der Armee erhielt, er müsse zu Hause bleiben, habe er sich genervt, so Blickenstorfer. «Ich hatte mich auf etwas anderes vorbereitet.» Mittlerweile findet er es aber «lässig»: «Es ist ein Luxus, den viele andere Rekruten nicht hatten.»

Der 21-Jährige befindet sich im Moment in der allgemeinen Grundausbildung. Sie ist der erste Teil der Rekrutenschule und dauert acht Wochen. Derzeit beschäftigt er sich daher vor allem mit Grundlagen: Wie funktioniert ein Sturmgewehr? Welche Dienstränge gibt es? Wie verhalte ich mich gegenüber Kameraden? Alles in der Theorie. «Die Praxis fehlt», sagt Blickenstorfer.

Er stammt selbst aus einer Militärfamilie. Vater Urs Blickenstorfer, Wettingens Gemeindeschreiber, und der Grossvater waren beide Majore. So war das Militär am Familientisch oft ein Thema. «Ich habe mich darauf gefreut.» Für ihn sei es eine Chance, etwas auszuprobieren, das im zivilen Leben nicht möglich wäre. Er ist eingeteilt als Fliegersoldat. «Mir wurde gesagt, dass das eine sehr vielfältige Funktion ist. Und man kann sich weiterbilden.» Sein Ziel ist die Ausbildung zum Helikopterpiloten. «Ich sehe das Militär auch als Möglichkeit, eigene Bedürfnisse zurückzustecken und etwas fürs Gemeinwohl zu tun.»

Am Montag wird Blickenstorfer physisch einrücken. Er fragt sich, wie lange er dann nicht nach Hause gehen darf oder wie viel Gepäck er mitnehmen muss. Aber: «Ich freue mich darauf. Dann haben wir hoffentlich mehr Praxisbezug.»

Er war froh, dass er etwas länger zu Hause bleiben kann

Auch Donat Krasniqi aus Neuenhof ist am 18. Januar virtuell eingerückt. Statt in der Kaserne in Thun verbringt der 22-Jährige die ersten drei Wochen der Rekrutenschule zu Hause. Enttäuscht über den speziellen Start war Krasniqi nicht. Im Gegenteil: «Ich bin eigentlich froh, dass ich noch etwas länger daheim bleiben und die Theorie hier lernen kann», sagt der junge Mann. Auf dem Bildschirm vor ihm finden sich diverse Folien. «Im Lernsystem können wir uns einloggen und verschiedene Module absolvieren.» Themen wie Cyberkriminalität, Anatomie, Nothilfe oder der Umgang mit Waffen und Munition werden geschult.

«Einiges habe ich bereits in der Schule behandelt, doch nicht in diesem Ausmass. Ich habe schon vieles dazugelernt oder aufgefrischt», sagt Krasniqi. Der gelernte Polymechaniker hat im Coronajahr seine Berufslehre abgeschlossen. «Ich bin jemand, der nicht den ganzen Tag vor dem Computer sitzen kann, ich muss etwas tun.» Doch in der Berufsschule hat er bereits Erfahrung im Fernunterricht gesammelt. Krasniqi hatte in der ersten Woche ebenso Mühe, auf das Lernsystem der Armee zuzugreifen. «Ich habe mich dann halt auf den sportlichen Teil der Ausbildung konzentriert.» Zu Hause macht er Kraftübungen wie Liegestützen und Rumpfbeugen. «Zudem lasse ich mich von Homeworkout-Videos auf Youtube inspirieren und habe auf Empfehlung von Kollegen schon einige Sport-Apps ausprobiert», sagt Krasniqi. Seit dem RS-Beginn geht er auch joggen. «Ich wohne hier ideal gelegen am Waldrand, deshalb versuche ich, jeden zweiten Tag eine Runde zwischen Neuenhof und Killwangen zu machen.» Beim ersten Mal habe er sich etwas übernommen und sei schnell ausser Puste geraten, sagt er und lacht. «Doch mittlerweile ist meine Kondition besser geworden.»

Tradition hat der Militärdienst in seiner Familie nicht. «Mein Vater ist mit 16 Jahren aus dem Kosovo in die Schweiz gekommen und war nie im Militär. Ich bin sozusagen der erste in der Familie, der in der Schweizer Armee ist», sagt Krasniqi. Sein Grossvater habe ihm ab und zu von seiner Zeit als Rekrut in Jugoslawien erzählt. Damals sei der Dienst mit Stolz behaftet gewesen.

Er wird in Thun zum Sicherheitssoldaten ausgebildet

«Ich glaube, die Armee hat heute einen anderen Stellenwert als früher», sagt der Neuenhofer. Wenn er nicht müsste, würde er die Rekrutenschule wohl nicht besuchen. «Doch wenn schon, dann die RS und nicht den Zivildienst», findet Krasniqi. Er wird in der Kaserne in Thun zum Sicherheitssoldaten in der Artillerie ausgebildet. «Das war meine zweite Wahl, am liebsten wäre ich als Lastwagenfahrer eingeteilt worden. Ich hätte gerne die Lastwagenprüfung gemacht.» Das hätte auch nach der RS seine Vorteile. «Mein Vater leitet eine Transport-Firma. Ich hätte ihn mit einer Lastwagenprüfung in der Tasche im Betrieb unterstützen können.»

Krasniqi wird nicht durchdienen, sondern bis am 21. Mai im Dienst stehen. «Ich beende die RS zwei Tage vor meinem 23. Geburtstag und kann dann zu Hause mit meiner Familie feiern», sagt er. Auch wenn er kein Militärbegeisterter ist, freut er sich auf die neue Erfahrung. «Es wird bestimmt eindrücklich und herausfordernd werden. Es heisst, dass man im Leben nie so gute Kameraden findet wie im Militär. Ich bin gespannt, ob das stimmt, und bin neugierig, verschiedene Leute aus dem ganzen Land kennen- zulernen.» Für den Start in der Kaserne am 8. Februar ist Krasniqi gewappnet. «Ich habe sogar schon Rohner-Socken gekauft. Die sollen so gut sein, dass man auch nach stundenlangem Marschieren keine Blasen an den Füssen bekommt.»

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