Das letzte Wort

Eigentlich wollte ich über die Wahlen schreiben. Mein Bedauern ausdrücken, dass sich unter den 36 Kandidierenden nur 5 Frauen befinden. Nein, ich wähle nicht aufgrund des Geschlechts, aber ich finde, Frauen sind tendenziell selbstkritischer und trauen sich das Amt deshalb weniger zu. Schade. Unserer Gesellschaft würde ein bisschen mehr Reflexion, Demut und Ehrlichkeit nicht schaden. Weniger Ich-Bezogenheit, weniger Eigeninteressen und vor allem weniger Show. Bei jedem Geschlecht.
Und während ich das schreibe, wird mir klar, dass ich mich da selbst gerade an Stereotypen bediene. Und ich ganz einfach froh bin, wenn die Wahlen vorbei sind. Wir uns nicht mehr rechtfertigen müssen, wann welcher Leserbrief publiziert wird. Nicht mehr jedes Wort gezählt wird, um ja nicht weniger Platz als der andere zu bekommen. Wir weniger persönlichkeitsverletzende Texte erhalten. Uns nicht mehr vorgeworfen wird, wir würden nicht neutral berichten, obwohl wir die kritischen Fragen bewusst allen gestellt haben. Weil es uns im Grunde genommen egal ist, wer gewählt wird. Wir einfach unseren Job machen – nach bestem Wissen und Gewissen und mit viel Herzblut.
Ich gebe zu, ich war letzte Woche etwas genervt – bis mich eine E-Mail erreichte. Von einer Frau, die sich entschuldigte, dass sie vergessen hatte, die Redaktion an eine Generalversammlung einzuladen. «Ich war komplett von den Schuhen in letzter Zeit», begründete sie. Ich fragte nach und erfuhr, dass ihr Mann nach einem Aortariss reanimiert wurde, wochenlang auf der Intensivstation lag. «Er hatte extrem viel Glück, 8 von 10 Menschen hätten so was nicht mal bis ins Spital überlebt.» Es ging um Minuten, die über Leben und Tod entschieden. Ihre Worte haben mich auf den Boden zurückgeholt, weg vom Ärger, hin zur Dankbarkeit – trotz Wahlen!Feedback an:
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