Die Angst und Wut auf den Strassen gespürt

Taxichauffeure gehören in der Coronakrise zu den oft Vergessenen. Dabei sind sie es, die auf den Strassen den Puls der Gesellschaft fühlen.

Fährt wegen Corona weniger Taxi: Chauffeur Felix Baumgartner. (Bild: Robin Schwarz)
Fährt wegen Corona weniger Taxi: Chauffeur Felix Baumgartner. (Bild: Robin Schwarz)

Hin und wieder fuhr Felix Baumgartner eine pensionierte Philosophielehrerin nach Zug zum Arzt. Einmal chauffierte er eine Person gar bis nach München. Doch das war vor der Coronapandemie. Felix Baumgartner ist Taxichauffeur für das Unternehmen Badener Taxi.

Covid trifft fast alle Branchen hart. Manche aber gehen vergessen neben all den Detailhändlern und Gastronomiebetrieben – so zum Beispiel die Taxibranche, denn sie wirtschaftet mit einer besonders wichtigen Ressource: Menschen, die in den Ausgang gehen, Leute, die eben gerade von einem Firmenanlass kommen oder im Restaurant waren. Oder überhaupt Menschen, die reisen möchten: «Der ganze Reiseverkehr liegt flach, die Geschäftsleute fehlen, die sonst mit dem Taxi an den Flughafen fahren», erzählt Felix Baumgartner.

Die Taxibranche steht somit im Schatten anderer Branchen, sie gehört zum unsichtbaren «Rattenschwanz», den die Schliessungen und Massnahmen nach sich ziehen. Gerade das Geschäft mit den Nachtschichten sei dramatisch eingebrochen, heisst es bei Badener Taxi. Das Unternehmen weiss sich allerdings zu helfen, so fahre man nun vermehrt Kurierfahrten – zum Beispiel für Burger King –, da man gemerkt habe, dass das Homeoffice die Konsumgewohnheiten der Menschen verändert habe, so bestelle man viel öfter bei Lieferservices, und das sogar schon mittags. Auch fährt Badener Taxi Menschen zur Impfung oder zum und vom Coronatest ins Kantonsspital Baden. Bei positivem Ergebnis mit einem Aufschlag von 50 Franken. Die Frage, ob es ihm mulmig dabei sei, Covid-positive Patienten zu fahren, verneint Baumgartner: «Ich bin vernünftig genug und habe schon vorher gewisse Hygienestandards eingehalten – wenn du mit gesundem Menschenverstand durch den Tag gehst, lässt sich das gut handlen.»

Wie Barkeeper, nur mobil

Bei allen Zahlen sind es dennoch gerade die Menschen, die die Taxifahrt ausmachen. Auch in der Popkultur haben Taxichauffeure und -chauffeusen einen ähnlichen Ruf wie Barkeeper und Barkeeperinnen: Sie wissen, was die Menschen bewegt, sie haben oft Rat oder manchmal auch einfach ein Ohr für jene, die es brauchen. «Du lernst die Gesellschaft im Taxi sehr gut kennen», sagt Chauffeur Felix Baumgartner. Er fühlt also gewissermassen den sozialen Puls an den Verkehrsadern und bestätigt, der soziale Kontakt sei es, was das Taxifahren ausmache: «Das war für mich einer der ausschlaggebenden Gründe, weshalb ich mich für diesen Job entschieden habe. Ich schätze den täglichen Umgang mit verschiedensten Charakteren und Kulturen.» Das habe ihn auch persönlich immer weitergebracht, man könne sogar sagen, Taxifahren sei eine Art Lebensschule.

Corona zermürbt. Die Pandemie hat nicht nur die Geschäftszahlen, sondern auch den Umgang, die Stimmung, die Gespräche verändert. Während des ersten Lockdowns hätte er noch vermehrt ältere Kundschaft gehabt, mittlerweile blieben die Senioren und Seniorinnen aber weg. Aus Angst vor einer Ansteckung. Obwohl die Unsicherheit zu Beginn der Pandemie noch grösser war, habe die Angst eher ab- statt zugenommen. Das nimmt der Taxichauffeur als «Auswirkung einer gewissen Form von Medienberichterstattung» zum Thema Corona wahr. «Ich empfinde sie oft als aufgebauscht, als Panikmache – das hat eine Auswirkung auf die Menschen.»

«Corona schwingt immer mit»

Dass sich die Gespräche verändert hätten, sei offensichtlich: «Man merkt, dass sich die Themen verändert haben. Ein Teil Corona schwingt immer mit. Mir haben schon Fahrgäste gesagt, dass sie es vermissen, am Sonntag mit Freunden einen Kaffee trinken gehen zu können. Das impliziert Einsamkeit.» Das gilt aber nicht nur für die Fahrgäste, sondern auch den Chauffeur: «Ich merke das auch bei mir persönlich. Ich wohne alleine und habe niemanden, der zuhause wartet, ich habe niemanden, mit dem ich reden kann – und die ganzen Freizeitaktivitäten sind auch verboten. Die sozialen Kontakte, die ich pflege, sind jene innerhalb des Geschäfts, der Familie und wenige per Telefon oder digital.» Die Beziehung zwischen Chauffeur und Gast ist wechselseitig.

Aber es ist nicht nur Einsamkeit, die zum Thema wird, sondern auch Wut. Was diesbezüglich schon vor Corona galt: «Ich vermeide es, von selbst auf das Thema Politik zu sprechen zu kommen, denn das heizt die Gemüter auf. Und auch wenn die Kunden das Thema Politik ansprechen, versuche ich immer, eine deeskalierende Strategie zu fahren. Ich versuche, mich auf mein Gegenüber einzustellen, damit sich die Stimmung nicht hochschaukelt», erzählt Baumgartner. Dieser Tage braucht das aber besondere Vorsicht. «Es braucht Fingerspitzengefühl und die Fähigkeit, sich auf das Gegenüber einzustellen, und die Fähigkeit, eine andere Meinung zu akzeptieren. Man muss sie nicht unterstützen, aber akzeptieren», erzählt Baumgartner weiter. Wirkliche Extreme oder Eklats hat Baumgartner im Taxi nicht erlebt, aber er hatte schon Kunden, die sich über die Massnahmen aufgeregt haben. «Ich habe dann aus meiner Sicht in meinen eigenen Worten versucht zu erklären, weshalb ich die Massnahmen für sinnvoll halte, sprich: Was sind Argumente, die ich für mich akzeptieren kann?»

Lektionen fürs Leben

Was Baumgartner erzählt, sind keine Tipps, die nur im Taxi gelten. Eben: die Lebensschule.

Etwas, was der Chauffeur gelernt hat: «Mein Berufsverständnis ist es, dafür zu sorgen, dass sich meine Gäste sicher und wohl fühlen. Das heisst auch, dass ich mich auf entsprechendem Niveau mit ihnen unterhalte. Wenn ich aber all die Gespräche, die ich führe, reflektieren und in mich aufnehmen würde, könnte ich diesen Job nicht mehr machen.» Es ist wie mit Therapeuten: Es braucht Abgrenzung.

Wer glaubt, nur die Stimmung im Taxi selber habe sich durch die Pandemie verändert, irrt: «Was ich da draussen bemerke, ist, dass sich die anfängliche Ängstlichkeit in eine gewisse Wut, in Unverständnis verwandelt hat. Die Stimmung auf den Strassen ist sehr aggressiv. Wettingen ist die Kreiselgemeinde des ganzen Kantons – vor der Pandemie hat man aufeinander geachtet, heute drängelt jeder über den Kreisel und möchte möglichst schnell durch. Diese Aggressivität ist schwer spürbar. Auch auf der Landstrasse bei der Migros-Passage – es wird nicht mehr geschaut, ob jemand kommt. Blinker stellen, rausziehen, fertig, interessiert mich nicht.»

Für die Post-Coronazeit wünscht sich Baumgartner nicht besonders viel. Wieder mehr Fahrgäste in seiner Alterskategorie – sprich nicht nur Junge und Senioren, sondern auch die Klasse zwischen 35 und 50. Aber ganz besonders: «Ich will einfach wieder arbeiten können. Ich habe das Chauffeurenblut meines Grossvaters geerbt. Ich gehöre auf die Strasse, ich gehöre hinter das Steuer, nicht einfach auf den Parkplatz.»

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