«Wichtig ist die gegenseitige Wertschätzung»

Seit 35 Jahren ist Jürg Müller das juristische Gewissen in Spreitenbach. Als der Gemeindeschreiber damals mit der Arbeit begann, arbeitete die Verwaltung noch mit der Schreibmaschine – nun folgt die Transformation zum papierlosen Büro.

Noch immer voll im Schuss: Gemeindeschreiber Jürg Müller. (Bild: Philippe Neidhart)
Noch immer voll im Schuss: Gemeindeschreiber Jürg Müller. (Bild: Philippe Neidhart)

An den Wänden des Büros im ersten Stock des Spreitenbacher Gemeindehauses hängen Naturfotografien – Jürg Müller hat die Sujets selbst in den USA, Irland und Schottland geknipst. Wenn der Gemeindeschreiber nicht gerade bei der Arbeit ist, sei er viel draussen unterwegs: «Das Leben in der Natur ist etwas Grossartiges – wir sind uns dessen teilweise viel zu wenig bewusst.» Und dafür muss man nicht mal in ferne Länder reisen, so Müller: «Trotz des urbanen Charakters von Spreitenbach ist man in fünf Minuten im Grünen und kann Energie tanken, das macht auch die Gemeinde Spreitenbach lebenswert.» Er selbst ist zwar in Bergdietikon aufgewachsen, besuchte allerdings in Spreitenbach die Bezirksschule und ist seither mit der Gemeinde stark verbunden: «Wenn man die Stunden zusammenrechnet, war ich wohl den überwiegenden Anteil meines Lebens hier in Spreitenbach.» Und wer so viel Zeit in einer Ortschaft verbringe, wachse bewusst oder unbewusst mit ihr zusammen: «Für mich ist die Gemeinde klar ein Lebensmittelpunkt», sagt der 56-Jährige. Er schätze dabei die Vielfältigkeit: «Spreitenbach ist liebenswürdig und schön», so Müller, «wir haben verschiedene Ortsteile mit jeweils eigenem Charakter und Charme.» Die Fusion aus Altem und Neuem, der historische Dorfkern mit dem Dorfbach, die Naherholungsgebiete wie der Heitersberg, das Wilental, das Sandbühl oder die Limmat.

Es gibt nichts, was es nicht gibt

Sein Engagement in der Gemeinde Spreitenbach begann Müller im Jahr 1986 beim Steueramt – nach einem Jahr wurde er gefragt, ob er nicht als Zivilstandsbeamter und als stellvertretender Gemeindeschreiber arbeiten würde, und er sagte zu. Im Jahr 2003 übernahm er dann die Leitung der Verwaltung. Bei seinem Vorstellungsgespräch bei der Gemeinde wurde ihm die Frage gestellt, ob er es sich vorstellen könnte, länger hier zu bleiben, erinnert sich Müller. Seine Antwort darauf: «Wenn das Klima stimmt, könnte ich es mir vorstellen, vier, fünf Jahre hier zu bleiben – nun sind 35 Jahre daraus geworden.» Gerade die Menschen seien es, die den gebürtigen Bergdietiker so lange in Spreitenbach gehalten haben. Er schätze den Dialog innerhalb der Gemeinde, die Sachlichkeit bei den Diskussionen: «Wir haben einen konstruktiven sowie lösungsorientierten Ansatz und eine gute Gesprächskultur in der Politik und in den Kommissionen.» So finde man immer einen Weg trotz allfälligen Meinungsverschiedenheiten: «Wichtig dabei ist die gegenseitige Wertschätzung.» Auch werde es ihm hier bei der Arbeit nie langweilig: «Spreitenbach ist eine unheimlich spannende Gemeinde», so Müller, «hier gibt es fast nichts, was es nicht gibt – kein Tag ist wie der andere.» Auch wenn er nach rund 35 Jahren Arbeit in der Verwaltung einen enormen Erfahrungsschatz mitbringe, sei jeder Sachverhalt wieder aufs Neue zu beurteilen: «Jede und jeder hat den Anspruch auf Rechtsgleichheit – das ist mir extrem wichtig, und teilweise besteht auch im Rahmen des Gesetzes beziehungsweise dessen Anwendung ein beschränkter Ermessensspielraum, da ist gesunder Menschenverstand gefragt.»

Vom Briefstapel zum vollen Mail-Fach

Als Müller seine Arbeit vor 35 Jahren begann, arbeitete die Verwaltung noch mit der Schreibmaschine oder von Hand – heute läuft fast alles digital: «Das ist ganz klar das A und O – wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, ist schnell weg vom Fenster.» So stelle die Gemeinde auf Anfang 2022 auf ein papierloses Büro um, wie der Gemeindeschreiber erzählt, «wir befinden uns mitten in einem Wandlungsprozess». Mit der Digitalisierung würden bei ihm offene Türen eingerannt. Es müsse aber immer zuerst abgeklärt werden, was die Vor- und Nachteile seien und ob es betriebswirtschaftlich Sinn ergebe, sagt Müller. So sei es ein Trugschluss, wenn man vermuten würde, dass durch technische Neuerungen die Arbeit weniger werde: «Früher erhielt man einen Stapel Briefe, heute hat man ein volles Mail-Fach. Die Technik hat sich gewandelt und die Arbeitsmittel haben sich geändert, aber die Sachverhalte sind noch immer vergleichbar, zudem ist die Komplexität enorm gestiegen.»

So sei es wichtig, stetig am Ball zu bleiben, denn die Entwicklung wird laufend weitergehen: «Bis zum Schluss haben wir nicht ausgelernt und müssen uns immer aufs Neue selbst reflektieren.» Und auch mit 56 Jahren sprüht der Gemeindeschreiber dabei noch sichtlich vor Energie: «Ich fühle mich nach wie vor jung und dynamisch, auch wenn ich mittlerweile ein paar Fältchen im Gesicht habe», sagt Müller schmunzelnd.

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