Mütterberaterinnen gehen in Oase

Mütterberaterinnen Daniela Schärer (3. v. l.) und Annegret Gerber (2. v. r.) sowie Oase-Präsident Amir Ameti mit Besucherinnen und ihren Kindern während des ersten Beratungsnachmittags. Melanie Bär
Mütterberaterinnen Daniela Schärer (3. v. l.) und Annegret Gerber (2. v. r.) sowie Oase-Präsident Amir Ameti mit Besucherinnen und ihren Kindern während des ersten Beratungsnachmittags. Melanie Bär

Versuchsweise beraten Fachpersonen der Mütter- und Väterberatung in der Oase. So wollen sie auch Leute aus der islamischen Gemeinschaft erreichen.

Fünf Frauen und ein Mann stehen um die Tische im zweiten Obergeschoss an der Härdlistrasse 11 in Spreitenbach. Darauf liegen Tierfiguren aus Plastik, Broschüren über Milchzähne und Sonnenschutz-müsterli – und mittendrin ein kleiner Junge auf einer weichen Matte. Eine Frau zeigt auf die Hautrötungen ihres Kindes, will wissen, ob diese beunruhigend sind.

Ende August führten Daniela Schärer und Annegret Gerber zum ersten Mal die Mütter- und Väterberatung in den Räumlichkeiten des Vereins Oase, der islamischen Gemeinschaft in Spreitenbach, durch. Das Ziel: Personengruppen ansprechen, die das Angebot normalerweise nicht nutzen. «In Spreitenbach gibt es 140 bis 160 Geburten pro Jahr, dennoch sinkt die Nachfrage nach Beratungen», sagt Annegret Gerber, Geschäftsleiterin der Mütter- und Väterberatung im Bezirk Baden. Der Blick auf die Zahlen verdeutlicht das Gesagte: 2017 wurden in Spreitenbach 122 Hausbesuche gemacht, letztes Jahr noch 88; die Sprechstunden in der Beratungsstelle gingen gar von 548 auf 157 zurück – trotz Bevölkerungswachstum. Dafür nahmen die Beratungen per Telefon, Mail oder online von 145 auf 351 zu. «Frauen sind heute häufiger berufstätig und haben weniger Zeit für Angebote vor Ort», begründet Gerber.

Andere Kultur, andere Gewohnheit

Allerdings hängt der Trend auch mit der kulturellen Bevölkerungsstruktur zusammen. Vergleicht man die Zahlen der 25 Gemeinden, die dem Verband im Bezirk Baden angehören, nimmt die sinkende Nachfrage in Spreitenbach stärker ab als anderswo. «Manche Familien bevorzugen es, Fragen im vertrauten Umfeld zu klären; externe Angebote sind ihnen oft weniger vertraut», vermutet Gerber. Amir Ameti, Vereinspräsident der muslimischen Gemeinschaft in Spreitenbach, bestätigt: «Ich kann mir vorstellen, dass Mitglieder unserer Gemeinschaft zögern, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen.»

Vernetzung bei «Chance Spreiti»

Nichtsdestotrotz glaubt er, dass die Familien vom Angebot profitieren könnten. «Ich finde es eine gute Sache, sich von Fachpersonen über die Ernährung, Gesundheit und Erziehung seines Babys oder Kleinkindes beraten zu lassen», so Ameti, der wie Annegret Gerber am von der Gemeinde Spreitenbach lancierten Workshop «Chance Spreiti» teilnahm. Ziel des Projekts ist die frühzeitige und gezielte Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, damit sie gesund aufwachsen. Die frühzeitige Begleitung soll präventiv wirken, um spätere Probleme zu verringern und so dem Gemeindewohl zu dienen.

Am Workshop kamen Annegret Gerber und Amir Ameti ins Gespräch. Als der zweifache Vater erfuhr, dass viele Mitglieder seiner Gemeinschaft das Angebot bisher wenig nutzen, bot er die Räumlichkeiten in der Oase für die Beratung an. «Wir profitieren auch davon, wenn unsere Mitglieder das Angebot nutzen», so Ameti. Seit vier Jahren ist die islamische Gemeinschaft Spreitenbach Eigentümerin der Liegenschaft, vorher einige Jahre Mieterin. Der Verein hat 300 Mitglieder; bis zu 1000 Besucherinnen und Besucher nehmen an Angeboten in der Moschee teil.

Inputs auch zur Erziehung

Im August fand der erste von vier Beratungsnachmittagen in der Oase statt. Ohne Voranmeldung konnten alle Spreitenbacherinnen und Spreitenbacher mit Kindern bis fünf Jahre vom kostenlosen Angebot profitieren – unabhängig von einer Mitgliedschaft im Verein Oase. Daniela Schärer gab Inputs zum Stillen, zu Ernährung, Gesundheit, Sprache, Erziehung und zum Schlafen. Oft könnten sich Mütter und Väter durch den Erfahrungsaustausch selber gegenseitig helfen, sagt sie. So auch Ende August. «Eine Mutter gab den Tipp, Muttermilch auf die Hautrötung zu reiben», so Schärer, die sich die betroffene Stelle angeschaut und Entwarnung gegeben hat. «Das hat mich beruhigt», sagt die Frau des zweimonatigen Sohnes, die zum ersten Mal in die Beratung gekommen ist. Sie und zwei weitere Frauen waren die einzigen Besucherinnen am ersten Nachmittag. «Trotzdem sind wir zufrieden», so Gerber.

Ameti hofft, dass künftig noch mehr Mitglieder das Angebot nutzen werden. Er beobachte Unterschiede bei der Erziehung einer klassischen Familie aus der Schweiz und dem Balkan. «In der Schweiz wird in der Kindererziehung oft stärker auf Selbstständigkeit gesetzt. In anderen Familienkulturen übernehmen Eltern aus Liebe manchmal besonders viele Aufgaben für ihre Kinder, was jedoch dazu führen kann, dass das Kind weniger Gelegenheit hat, Selbstständigkeit zu üben.» Das habe mit fehlendem Wissen und einem kulturbedingten anderen Verständnis der Familie, aber auch mit der Geschichte zu tun, meint er: «Die Erfahrungen von Krieg und Migration in Herkunftsländern wie Kosovo oder Nordmazedonien haben manche Familien nachhaltig beeinflusst.»

Kindersterblichkeit

Die Mütter- und Väterberatung hat ihre Wurzeln in der Säuglingsfürsorge, die Anfang des 20. Jahrhunderts entstand, weil damals die Kindersterblichkeit stieg. Durch Beratung zur Hygiene, Ernährung und Pflege gelang es, die Todesrate zu senken. Heute beraten die 11 Pflegefachfrauen mit Zusatzausbildung im Bezirk Baden Eltern auch in Erziehungsfragen. Der Verein finanziert sich über Gemeindebeiträge. «Kinder haben beim Kindergarteneintritt mehr Mühe, sich an Regeln zu halten als früher, das hat mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun», so Gerber. Immer wieder passt der Verein sein Angebot – oder wie in Spreitenbach den Ort der Durchführung – deshalb den Bedürfnissen an. Auch wenn bei der ersten Durchführung nur wenige Mütter kamen, so ist eine davon sehr dankbar: «Ich habe Tipps bekommen, sodass mein Kind hoffentlich bald besser durchschläft.»

Nächste Beratung im muslimischen Zentrum am 29.10., 14.30–16.30 Uhr, Härdlistrasse 11, ohne Voranmeldung.

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