kommentar

Mein Vater war erstaunt, als ich mich vor zwei Jahren in einem Kommentar outete, dass der Samichlaus zwiespältige Gefühle in mir auslöst. Weil ich zu jener Generation gehöre, wo der bärtige Mann als Erziehungsmassnahme diente. Etwa als mir die Nachbarin drohend zurief «Mei, mei! Das säg i denn am Samichlaus», nachdem ich auf dem Heimweg vom Kindergarten ein paar Gänseblümchen aus ihrem Garten stibitzt hatte.
Mein Vater hatte den Samichlaus nie als Erziehungsmassnahme gesehen. Mit seinem Besuch wollte er mir eine Freude bereiten und eine Tradition weiterführen, die er als Kind positiv erlebt hat. Nach einem klärenden Gespräch waren wir uns einig: Wir würden den Samichlaus vermissen, wenn es ihn nicht mehr gäbe – aber er braucht wohl ein Facelifting.
Das hat der St. Nikolaus längst selbst begriffen, wie sich beim Recherchieren zeigte. Zum Interview erschienen nicht etwa Männer, sondern Jasmin Studerus und Valeria Patruno. Die jungen Frauen begleiten den Samichlaus in Spreitenbach und Killwangen – als Helferinnen und nicht wie früher als Dienerinnen. «Frauen kommen nicht stillschweigend mit und tun, was der Samichlaus will, sondern helfen und unterstützen», begründen die beiden Vorstandsmitglieder der Spreitenbacher St.-Nikolaus-Gesellschaft den Namenswechsel. Beim Besuch setzen sie sich dafür ein, dass niemand blossgestellt oder verängstigt wird.
Auch mit der Geschlechterfrage und Blackfacing beschäftigt sich der Samichlaus. Frauen als Schmutzli sind längst üblich, die schwarze Farbe Schmutz- und Russresten von der Arbeit im Wald und zugleich Tarnung, um von den Kindern im Dorf nicht erkannt zu werden. Die Gespräche während der Reportage haben mich versöhnlich gestimmt. Ich hoffe, dass die alte Tradition mit neuem Bewusstsein bleibt, und gebe dem Samichlaus eine zweite Chance.Feedback an:
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