«Wir sind alle betroffen»

Eine jüdische Familie aus der Region spricht über den Nahostkonflikt und ihre Verbundenheit zu Israel. Traurig stimmt sie nicht nur der Tod vieler Unschuldiger, sondern auch der wiederaufkeimende Judenhass in Europa und in der Schweiz.

Eines der wichtigsten Symbole im Judentum: die siebenarmige Leuchte Menora. Familie Meier hat daneben eine Gedenkkerze für die getöteten Menschen in Israel angezündet. Sibylle Egloff
Eines der wichtigsten Symbole im Judentum: die siebenarmige Leuchte Menora. Familie Meier hat daneben eine Gedenkkerze für die getöteten Menschen in Israel angezündet. Sibylle Egloff

Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober und die fortlaufenden Geschehnisse in Israel und in Gaza erschüttern Samuel Meier und seinen Vater Nathan zutiefst (alle Namen von der Redaktion zum Schutz der Personen geändert). Beide sind in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Die Region Baden ist ihr Lebensmittelpunkt. Doch ihr Herz schlägt aufgrund ihres jüdischen Glaubens auch für das Land im Nahen Osten. «Israel ist wenn nicht meine erste, dann sicher meine zweite Heimat», sagt Samuel und erklärt: «Meine jüdische Seele ist dermassen verwurzelt mit diesem Land.»

Vater und Sohn sitzen am Stubentisch. Immer wieder erreichen Samuel Nachrichten von Bekannten und Verwandten aus Israel. «Es geht zum Glück allen gut. Einige meiner Neffen und deren Kinder wurden nun aber in den Militärdienst einberufen. Wir machen uns Sorgen», sagt Nathan. Seine Schwester ist Ende der 1990er-Jahre nach Tel Aviv ausgewandert. Die Verwandten seiner Frau sind schon lange in Israel zu Hause. «Ich telefoniere seit dem Anschlag täglich mit ihnen», sagt Nathan. So wie der Familie Meier geht es aktuell vielen jüdischen Menschen in der Schweiz. Samuel präzisiert: «Rund 18000 jüdische Personen leben hierzulande, fast jede von ihnen hat Freunde und Familie dort. Wir sind alle betroffen.»

Sein Vater zückt ein dickes Fotoalbum aus dem Regal und beginnt, es auf dem Tisch durchzublättern. «Israel 1985» steht auf dem Deckblatt. Es folgen Bilder im Wasser am toten Meer, von der Klagemauer in Jerusalem und vielen weiteren Sehenswürdigkeiten. «Das war unsere erste Reise nach Israel», sagt Nathan. Da die Gegend schon immer konfliktreich war, habe er oft die Frage gestellt bekommen, ob er keine Angst habe, dort hinzugehen. «Ich habe mehr Angst abends durchs Niederdorf in Zürich zu laufen», gibt Nathan auch noch heute zur Antwort. Dort wisse man wenigstens, dass die Sicherheit oberste Priorität habe, findet Samuel. Deshalb ist es ihm ein Rätsel, weshalb es überhaupt zu den Attacken am 7. Oktober kommen konnte. Für ihn ist klar: Der Angriff war seit langem geplant.

Ihnen tun die Menschen auf beiden Seiten leid

«Die Hamas hat den 7. Oktober mit Bedacht ausgewählt. An diesem Tag beginnt die Simchat Tora, einer der höchsten jüdischen Feiertage. Leute gehen in die Synagoge und besuchen Verwandte. Und genau dann haben sie zugeschlagen, Kinder vor den Augen der Eltern umgebracht, Grossmütter abgeschlachtet, Familien ausgelöscht und Festivalbesucher getötet und entführt.» Samuel stockt der Atem, als er den Satz beendet. «Es tut uns weh für alle, die leiden», sagt Nathan. Damit meinen er und sein Sohn auch die Menschen in Gaza. Er ist froh, dass die Schweiz nun plant, die Hamas als Terrororganisation einzustufen. «Das sollten auch alle anderen Staaten tun. Doch der Hass gegenüber Israel ist zu gross.» Samuel stört es, dass Katar dem Chef der Hamas Zuflucht bietet. «Solange solche Leute geschützt werden, wird es keine Beruhigung in Israel geben», ist er sich sicher.

Traurig stimmt die Meiers, dass durch den Konflikt in Israel der Judenhass in Europa aufkeimt. «Es ist unglaublich, dass in Deutschland oder in Grossbritannien Juden angegriffen werden und die Häuser von jüdischen Menschen mit dem Davidstern oder Schimpfwörtern beschmiert werden. Es zeigt, dass Antisemitismus noch immer tief in den Leuten verankert ist. Wir Juden sind noch immer die Sündenböcke», sagt Samuel und sein Vater Nathan erinnert an einen Zwischenfall in der Schweiz, als die Zürcher Kantonsrätin und Nationalratskandidatin Sonja Rueff-Frenkel bei einer Flyeraktion aufgrund ihres Glaubens angepöbelt wurde.

Sie wollen die jüdische Gemeinde nicht gefährden

Das ist auch der Grund, weshalb die beiden ihren richtigen Namen und ihren Wohnort im Artikel nicht preisgeben möchten. «Stellen Sie sich vor, jemand folgt uns am Samstag in die Synagoge in Baden, weil er etwas Böses vorhat. Wir wollen die jüdische Gemeinde nicht gefährden», sagt Samuel. Ein Sicherheitsaufgebot gibt es schon lange, das ist man sich gewohnt. «Es ist immer Polizei anwesend, wenn wir zusammenkommen. Eigentlich traurig, aber leider normal», sagt Nathan. Nun sei das Sicherheitsaufgebot aber noch verstärkt worden.

Da sie keine orthodoxen Juden sind und man ihnen ihren Gauben äusserlich nicht ansieht, erleben die Meiers selten Anfeindungen. «Doch als Kind und Jugendlicher in der Schule wurde ich oft als Saujud beschimpft», erinnert sich Nathan. Der Judenhass sei im schweizerischen Vokabular dokumentiert. «Als ich im Militär war, gab es ‹gestampfter Jude›. So wurden Fleischkonserven bezeichnet. Das fand ich sehr befremdend», sagt Nathan. Er ist froh, dass die Menschen an seinem Wohnort ihm und seiner Familie mit Respekt begegnen. Nathan sagt: «Unsere Nachbarn gehören verschiedenen Religionen an. Besonders mit den muslimischen haben wir ein herzliches Verhältnis. Wir hoffen, dass irgendwann auch ein friedliches Miteinander in Israel und Gaza möglich ist.»

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