«Probleme nicht unter den Teppich kehren»

Suchtberaterin Deborah Stutz gibt Tipps im Umgang mit Gamen, damit die Ferien- nicht zur Konfliktzeit wird.

Die Beratungsstelle BZBplus berät auch Eltern, die sich Sorgen wegen des Gamens ihrer Kinder machen. Welche Anzeichen deuten auf eine Sucht hin? Deborah Stutz, Suchtberaterin: Wir sprechen von Sucht, wenn jemand seine Gamezeiten nicht mehr im Griff hat. Das kann sein, wenn das Kind, beispielsweise, das früher so geliebte Sporttraining auslässt, es kaum mehr Freunde trifft, seine schulischen Leistungen nachlassen. Dann liegt vermutlich zumindest ein problematisches Konsumverhalten vor.

Was können Eltern dann tun? Zentral ist, sich Zeit für das Kind zu nehmen und sich für seine Beweggründe zu interessieren. Ohne es zu verurteilen. Es zu animieren, wieder mehr andere Dinge mit der Familie zu unternehmen, die ihm vielleicht früher gefallen haben oder aufgrund seiner Interessen gefallen könnten. Und herauszufinden versuchen, worin die Faszination des Gamens liegt. Im besten Fall gelingt es damit schon, die durch Spielen abgedeckten Bedürfnisse auf andere Arten abzudecken.

Gehen wir davon aus, das Gamen liegt im grünen Bereich. Welche Regeln bezüglich Zeit, Spielinhalte etc. sollten Eltern mit dem Kind vereinbaren? Es lohnt sich, die empfohlenen Altersbegrenzungen zu beachten. Auch das Informieren darüber, dass das lustvolle Spielen mit der Zeit negative Konsequenzen haben kann, kann das Bewusstsein der Kinder erhöhen. Längerfristig kann es sich bei Jugendlichen zudem lohnen, maximale Wochen- und Tagesstunden sowie die Anzahl abstinenter Tage pro Woche auszuhandeln. Um Suchtentstehung vorzubeugen, wären eigentlich zwei abstinente Tage am Stück ideal. Wenn jedoch die Freunde jeden Tag online sind, ist es für eine gesunde Entwicklung in der Regel wichtiger, sich zugehörig fühlen zu dürfen, als nicht zu spielen. Dann raten wir eher dazu, Gamezeiten zu vereinbaren, die auch andere Verpflichtungen und Hobbys zulassen.

Was können Eltern tun, deren Kind sich nicht an die vereinbarten Regeln hält? Am besten ist, schon im Vorfeld mit dem Kind oder Jugendlichen auszuhandeln, welche Konsequenzen beim Nichteinhalten akzeptiert würden. Und diese dann auch konsequent umzusetzen. Unserer Erfahrung nach sind Jugendliche häufig besser darin, sich selber passende Konsequenzen auszudenken, als es die Eltern von ihnen erwarten würden. Zudem kann es sehr hilfreich sein, sich als Eltern auf die Frustrationsgefühle vorzubereiten, die beim Durchsetzen der Konsequenz mit hoher Wahrscheinlichkeit aufkommen werden. Wenn man beispielsweise den Computer nach der vereinbarten Zeit abstellt, muss man auch aushalten können, was danach passiert. Häufig scheitert die Umsetzung von Konsequenzen daran, dass Eltern, in der Rolle als Vorbild, Mühe mit negativen Gefühlen haben. Aber auch die zeitliche Verfügbarkeit der Eltern kann dem Umsetzen von Konsequenzen im Wege stehen. In diesen Fällen kann es sich sehr lohnen, für das Kind mehr Zeit im Alltag freizuschaufeln.

Eltern machen oft das Gegenteil und geben schon Kleinkindern Medien, um sie ruhigzustellen. Genussvollen Tätigkeiten nachzugehen, ist vollkommen okay, wichtig für die kurzfristige Entspannung und damit nicht per se gefährlich für unsere Gesundheit. Wie so oft ist es eine Frage des Masses. Unsere Gefühle teilen uns mit, was wir brauchen, um zufrieden und damit gesund zu bleiben. Das heisst, damit sie längerfristig gesund bleiben, sollten wir unseren Kindern nicht angewöhnen, Ablenkung von ihren Gefühlen in Games oder anderem zu suchen, sondern sie dabei begleiten, ihre Gefühle aushalten zu lernen.

Was in einer solchen Situation schwierig ist … Es ist verständlicherweise sehr anspruchsvoll, die unangenehmen Emotionen der eigenen Kinder auszuhalten. Unsere eigenen Ängste drängen uns oft dazu, schnellstmöglich eine Lösung finden zu wollen. Dabei brauchen Kinder häufig nur Zeit und Raum, um zu verdauen und selber neue Lösungswege ausprobieren zu können. Hier gilt es auch zu beachten, dass es eigentlich wenig Sinn macht, im aufgeregten Zustand über Probleme und Lösungen sprechen zu wollen. Wichtiger wäre dann, eine sichere Umgebung zu schaffen oder aufzusuchen, in der das Kind und die Eltern wieder zur Ruhe kommen können. Dafür brauchen einige Kinder zum Beispiel den Rückzug ins eigene Zimmer. Andere brauchen eher eine schweigende Person an der Seite, die ihnen zeigt, dass man ihnen zutraut, sich selbst zu beruhigen.

Damit ist jedoch nur der Akut- und nicht der Grundkonflikt gelöst. Das stimmt und umso mehr ist es wichtig, das Problem danach nicht unter den Teppich zu kehren, sondern es anzusprechen, wenn alle wieder beruhigt sind. Das darf auch am Folgetag oder am Wochenende darauf sein. Wenn man den Konflikt als Familie oder mit Nahestehenden nicht lösen kann, kann das Aufsuchen von neutralen Fachpersonen neue Möglichkeiten eröffnen.

Wie kann das Umfeld unterstützen? Es sind die kleinen Dinge, die erfahrungsgemäss viel bewirken. Beispielsweise den Kindern das Vertrauen zu vermitteln, dass alles gut kommt, wenn wir gemeinsam dranbleiben. Sowie ihnen auch immer wieder positive Rückmeldungen zu geben, um ihren Selbstwert zu stärken. Nicht alles muss besprochen werden. Manchmal reichen gemeinsame Tätigkeiten aus, in denen die Kinder spüren können, dass sie nicht alleine sind und das unangenehme Gefühl nicht für immer anhält. Wie zum Beispiel beim Kuscheln.

Wie schnell wirkt das? Es kommt darauf an, wie stark das Suchtverhalten schon ausgeprägt ist. Wenn das Problem schon lange anhält, wird es vermutlich auch länger gehen und umgekehrt.

Es gibt also kein einfaches Patentrezept? Leider nein. Diese Komplexität ist es, was das Elternsein manchmal so schwierig macht. Was bei einem Kind funktioniert, muss für das nächste nicht gelten. Zu merken, dass es anderen Eltern ähnlich geht, und sich mit Gleichgesinnten über funktionierende Strategien auszutauschen, kann dabei sehr hilfreich sein. Zu diesem Zweck werde ich kommendes Jahr im BZBplus eine Elterngesprächsgruppe auf die Beine stellen, in der sich Eltern zum Onlinekonsumverhalten ihrer Kinder austauschen und fachliche Inputs zum Thema bekommen können.

Sie beraten im BZBplus nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene mit Suchtproblemen. Gilt grundsätzlich Ähnliches? Egal welches Alter, egal welche Sucht: Häufig sind bei Menschen mit Suchtproblemen wichtige Grundbedürfnisse nicht ausreichend befriedigt, die sie mit Suchtmitteln zu kompensieren versuchen. Beispielsweise fühlen Betroffene sich häufig von ihren Mitmenschen nicht akzeptiert. Oder sie erleben sich nicht als jemand, der etwas Gutes im eigenen oder im Leben anderer bewirken könnte. Wegen schwieriger Lebenserfahrungen fühlen sich viele auch permanent unsicher. Im Konsum von Games, Drogen, Pornos und vielem anderem, gerne auch parallel, werden all diese unangenehmen Emotionen damit unterdrückt, sich kurzzeitiges Glück in Dauerschlaufe zu verschaffen.

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