«Die Wahrheit ist vielfältig»

Theo Pindl schreibt neu für die «Mein Gott»-Kolumne. Was er denkt, warum ihm Vertrauen wichtig ist und warum er die Kirche gewechselt hat.

Theo Pindl mit Sohn Raphael und Oliver vor der Wettinger Klosterkirche. bär

Als Pfarrer, Pilger, Coach bezeichnet sich Theo Pindl in seinem Lebenslauf. Der offenbart auch, dass er seit dem 11. Januar offiziell pensioniert ist. Eigentlich hatte er vor, sich ab diesem Zeitpunkt ehrenamtlich in der Kirche als Seelsorger zu engagieren. Doch es kam anders. Zwei Jahre vor der Pensionierung fragte ihn der Bischof der christkatholischen Kirche an, ob er nicht Lust hätte, hauptberuflich einzusteigen. «Ich sagte einfach mal Ja.» So kam es, dass er sich mit 64 Jahren noch weiterbilden liess und im Februar 2023 – rund ein Jahr nach der Weihe zum Diakon – zum Priester geweiht wurde. Ein Jahr lang war die Stelle des Pfarrers nach dem gesundheitlichen Rücktritt von Wolfgang Kunicki unbesetzt.

Wie lange er über die Pensionierung hinaus arbeiten will, lässt er offen. Für ihn schliesst sich mit dieser Stelle der Kreis seines Schaffens: Nach seinem Theologie- und Philosophie-Studium an den Universitäten Würzburg und Freiburg arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter zuerst an der Universität Freiburg und danach für das Erzbischöfliche Ordinariat Freiburg. Seine beruflichen Stationen führten ihn später in die Wirtschaft, wo er bei verschiedenen Projekten im sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich arbeitete, als Berater tätig war, ein Bildungshaus führte und zuletzt die Aktivitäten des ökumenischen Vereins Wirkraumkirche St. Gallen mitleitete und als Spiritual Coach des ökumenischen Stadtklosters St. Gallen tätig war.

Vor fünf Jahren trat er aus der römisch-katholischen Kirche aus

Im Jahr 2018 gab er den Austritt aus der katholischen Kirche. Er hatte zunehmend Mühe damit, dass gleichgeschlechtliche Personen und Frauen «abgebremst» werden, wie er es bezeichnet. Er ist ein dezidierter Gegner des Pflichtzölibats, erinnert daran, dass der Zölibat erst im 12. Jahrhundert eingeführt wurde, um kanalisierend zu wirken. «Mit dem Glauben an sich hat das nichts zu tun.» Der Theologe ist überzeugt, dass «die klerikal-männerbündische Verfassung der römisch-katholischen Kirche eine Dunkelkammer des Verdrängten und Verborgenen schafft, die auch den Missbrauch begünstigt». Mit dem Austritt trat er zur christkatholischen Kirche über. «Weil sie eine Brückenkirche ist», begründet er den Schritt. Eine Kirche ohne Zölibat, mit demokratischer Grundstruktur, «die das Katholische und Apostolische bewahrt und die Gewissensentscheidung des Einzelnen ernst nimmt.» Das mache ihn frei. «Wenn eine Religion nicht in die Freiheit führt, wenn sie knechtet, dann ist es keine gute Religion.»

«Frieden schaffen ohne Waffen»

Freiheit ist ihm wichtig. Vielleicht, weil er als Deutscher in der Nachkriegszeit geboren wurde, als Sohn eines Flüchtlings. Von seinen Opas bekam er mit, wie es war, im Krieg zu kämpfen. «Das Mantra unserer Generation war, Frieden schaffen ohne Waffen, nie wieder Krieg haben, nie wieder von einer Gewaltherrschaft regiert werden.»

Auch wenn die Zeichen jetzt gerade anders stehen, hält er daran fest, ohne sich in eine politische Ecke drängen zu lassen. «Von mir gibt es deshalb auf der Kanzel keine politischen Parolen. Ich will als Pfarrer eine Haltung vermitteln und die frohe Botschaft des Evangeliums verkünden.» Ihn störe es, dass das Schwarz-weiss-Denken auch in der Kirche zunehme und die Akzeptanz gegenüber Andersdenkenden sinke. Zuhören, den Dialog suchen, das ist sein Lösungsversuch. Eine Friedensbotschaft vermitteln, ohne dabei ideologisch zu werden. Dazu gehöre auch, keine allgemeingültige Lösung parat zu haben. «Die Wahrheit ist vielfältig», sagt er.

Ein wichtiges Credo dabei ist für ihn das Thema Vertrauen. Und das findet er durchaus auch im Glauben. «Keine Angst zu haben, ist eine zentrale Botschaft der Bibel.» Eine Grundeinstellung, die er zu leben versuche. Und erlebt hat. In Mexiko und in Kenia beispielsweise, wo er als Kirchenvertreter und wissenschaftlicher Dozent im Einsatz stand. Ihm sei bewusst, dass er hier im Aargau im Paradies lebe. Dennoch lebten auch hier viele nach dem Motto «Vertrauen ist gut, Kontrolle besser».

«Vielen Menschen fehlt ein gesundes Urvertrauen. Ein Urvertrauen, das sich in der Sensibilität und dem Bewusstsein auswirkt, nicht alles regeln zu müssen, offen zu sein für das, was uns umgibt.» Mit diesem Vertrauen bewahrt er sich selbst seine positive Grundhaltung: «Weil ich die Hoffnung habe, dass es am Ende gut wird, weil Gott einen verbindlichen Pakt mit uns geschlossen hat.» Das sei kein Verdrängen der Realität, die sei gemischt. Doch deswegen gebe er die Hoffnung nicht auf. «Die Welt ist nicht heil, aber heilbar, weil wir als Christen trotz allem Ja zum Leben sagen können.»

Sprache für die Distanzierten

Seine Aufgabe als Pfarrer sieht er darin, nicht nur den eigenen Leuten Hoffnung zu geben, sondern auch Suchenden ausserhalb der Kirche. «Ich bin für alle da. Auch für die Ausgetretenen, für die Distanzierten und Unentschlossenen.» Viele von ihnen erlebe er nicht als ungläubig, sondern «nur nicht mehr praktizierend». «Die Kirche muss eine Lücke und eine Sprache finden, damit auch sie sich angesprochen fühlen. Ich will mich dafür einsetzen, dass sich die Kirche nicht von ihnen trennt, sondern mit ihnen zusammen auf dem Weg bleibt, eine lernende Kirche wird.»

Christkatholiken

Die 1870 entstandene christkatholische Kirche gehört zu den drei Landeskirchen. Sie ist zwar katholisch orientiert, ordnet sich aber nicht dem Papst, sondern Christus unter, was sich im Namen verdeutlicht und der Grund der Abspaltung ist. Sowohl Frauen als auch Männer können Ämter ausüben und werden demokratisch gewählt. Es gibt kein Pflichtzölibat. Geschiedene und gleichgeschlechtliche Paare werden ebenso getraut wie alle, die das wünschen. Rund 11000 Mitglieder hat die Kirche schweizweit, rund 400 gehören der Kirchgemeinde Baden-Brugg-Wet­tingen an. Seit November 2022 befindet sich das Pfarramt und -haus nicht mehr in Dättwil, sondern im geschichtsträchtigen «Eduard-Herzog-Haus» in Würenlingen, wo auch Pindl wohnt. Am meisten Gottesdienste finden in der Klosterkirche Wettingen statt, wo sich Mitglieder an jedem zweiten Sonntag und an zusätzlichen Terminen treffen. Zusätzliche Gottesdienste finden in Bremgarten und Würenlingen statt.

Theo Pindl ist Pfarrer der Christkatholischen Kirchgemeinde Baden-Brugg-Wettingen. Er ist 65-jährig, hat vier erwachsene Kinder, vier Enkel, ist geschieden und lebt in einer Partnerschaft. (bär)

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