«Das Letzte Wort»
Meine To-do-Liste kurz vor Ferienstart war lang. Ein Punkt: Bernadette und Martin Scherer den Text (Seite 7) zum Gegenlesen vorbeibringen. Also machte ich zwischen zwei Terminen noch schnell einen Abstecher nach Neuenhof, eilte die Treppe hinunter, vorbei an ihrem Gartensitzplatz. Dort sass Martin Scherer auf einem Stuhl und schaute in die Ferne. Der 99-Jährige wirkte entspannt und zufrieden, begrüsste mich freundlich und bot mir etwas zu trinken an. Ich dachte an meine To-do-Liste und lehnte ab. Seine Frau Bernadette gesellte sich zu uns, fragte nach meinen Ferienplänen. «Tessin», antwortete ich und erntete ein Lächeln. «Dort waren wir an unserer Hochzeitsreise», verrieten die beiden.
Reisen, das sei in ihrem Alter nicht mehr möglich, selbst das Busfahren sei zu «wackelig». Ihr Kontakt zur Aussenwelt: Besuche oder ein Spaziergang mit dem Rollator. «Vermissen Sie das Mobilsein, die Ferien oder das Reisen?», will ich wissen. «Nein. Wir zehren von unseren Erinnerungen», sagt Bernadette Scherer und wirkt dabei wie ihr Mann zufrieden. Mittlerweile ist meine Neugier grösser als der Gedanke an meine To-do-Liste und ich höre ihnen gespannt zu. Als ich die Treppe zum Parkplatz hochlaufe, wird mir bewusst, dass sie das nicht mehr können, ich das irgendwann vielleicht auch nicht mehr kann und dann Geduld brauche. Für die Ferien mache ich mir bewusst keine To-do-Liste, sondern nehme mir einfach vor, Erinnerungen zu sammeln und Geduld zu üben. Als Altersprävention sozusagen. Ersteres gelang mir beim Baden in der Maggia mit toller Gesellschaft problemlos. Die Geduldsprobe in Form einer Autofahrt auf Nebenstrassen statt der Autobahn habe ich hingegen nicht bestanden. Noch nicht. Ich übe weiter und habe zurück aus dem Urlaub meine To-do-Liste mit Erinnerungensammeln und Geduldüben ergänzt.Feedback an:
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