Joëlle Baumgartner ist Weltmeisterin im Armbrustschiessen

Die 24-jährige Spreitenbacherin holt an der WM in Russland Gold. Sie will aber noch höher hinaus: Ihr Ziel ist Olympia - allerdings mit dem Luftgewehr.

Joëlle Baumgartner mit der Armbrust, die sie für die 10-Meter-Wettkämpfe braucht. Rahel Bühler

Joëlle Baumgartner mit der Armbrust, die sie für die 10-Meter-Wettkämpfe braucht. Rahel Bühler

Zur Gratulation gibt’s ein Selfie mit dem Gemeinderat: Roger Mohr, Markus Mötteli, Joëlle Baumgartner, Marcel Lang, Valentin Schmid. Es fehlt Doris Schmid. Stefan Biedermann

Zur Gratulation gibt’s ein Selfie mit dem Gemeinderat: Roger Mohr, Markus Mötteli, Joëlle Baumgartner, Marcel Lang, Valentin Schmid. Es fehlt Doris Schmid. Stefan Biedermann

Joëlle Baumgartner sitzt in ihrer Wohnung in Spreitenbach. In ihrer Hand hält sie eine goldene Medaille. «World Championship Crossbow 2019 Russia» steht drauf. Auf Deutsch: «Weltmeisterschaften im Armbrustschiessen 2019 Russland». Die 25-Jährige hat zwei davon. «Sie erfüllen mich schon etwas mit Stolz», sagt sie und lächelt.

Armbrustschiessen ist eine Randsportart. Gerade mal 2000 Athleten zählt der Eidgenössische Armbrustschützenverband. Baumgartner gehört zu den Besten. Angefangen hat alles mit einem Zeitungsartikel 2011. Ein Jungschützenkurs war ausgeschrieben. «Vorher habe ich bei meinem Grossvater ab und zu mit dem Luftgewehr geschossen», schaut die Spreitenbacherin zurück. Dann habe sie das Fieber gepackt. «Ich bin durch den Leiter des Kurses hineingerutscht», sagt sie. Seit 2014 ist sie Mitglied des Schweizerischen Nationalkaders. Zuerst als Juniorin, dann in der Elite. Sie schiesst alle Disziplinen: 10 Meter stehend, 30 Meter stehend und 30 Meter kniend. Auch bei den Teamwettkämpfen macht sie mit. Pro Team gibt es drei Schützen. Trainieren tut sie beim Armbrustschützenverein Rümlang ZH.

Im Armbrustschiessen gibt es jedes Jahr einen internationalen Wettkampf. Entweder eine Europa- oder eine Weltmeisterschaft. Ausser es ist Olympia. In diesen Jahren finden nur europäische Wettkämpfe statt. Dafür gibt es schon mal zwei Weltmeisterschaften hintereinander.

2014 hat Baumgartner erstmals an der Qualifikation für eine WM teilgenommen – und sich prompt qualifiziert. Nervös sei sie vor Wettkämpfen nie – höchstens vor Interviews. 2014 verpasste sie den Final nur knapp: Ein Punkt hatte ihr gefehlt. «Das war bitter», meint sie. Ein Jahr später klappte es: An der WM im russischen Ulan-Ude hat sich Baumgartner für den 10-Meter-Final qualifiziert. «Es hat stark ‹geluftet›. Alle Schützen schossen 20 bis 30 Punkte weniger als normalerweise», erinnert sie sich. Im 10-Meter-Final erreichte sie einen Platz in den Top fünf. Baumgartner: «Es fühlt sich gut an, zu den besten Armbrustschützen der Welt zu gehören.»

Eines ist der Spreitenbacherin besonders in Erinnerung geblieben: «Die Russen haben viel Geld in diese Wettkämpfe gesteckt. Es gab sogar ein Feuerwerk bei der Eröffnungsfeier.» Ein Jahr später war das anders: In Zürich fand die EM wieder in kleinerem Rahmen statt. In diesem Jahr holte sie Gold mit dem Team über 30 Meter.

Frei erhält sie für die Teilnahme an den Wettkämpfen nicht. Baumgartner arbeitet zu 80 Prozent als Informatikerin in Effretikon. «Meine ganzen Ferien benütze ich für die Wettkämpfe», so die 25-Jährige. «Auch wenn ich Zeit hätte, das Geld fehlt.» Denn: Als Randsportlerin wird sie nicht gesponsert. Sie bezahlt alles selbst.

An der EM in Kroatien 2017 erreichte sie erneut Top-Acht-Plätze. 2018 fand keine statt: Die Organisatoren hatten sich zurückgezogen und fanden keine Nachfolger.

2018 hat Baumgartner angefangen, auch mit dem Gewehr zu schiessen. Sowohl Luftgewehr über 10 Meter als auch Kleinkaliber über 50 Meter. Letzteres kann man in den Disziplinen kniend, liegend oder stehend ausüben. Schnell merkte sie: «In beiden Sportarten vorne mit dabei sein, geht nicht.» Die WM 2019, wieder in Russland, stellte denn auch einen Abschluss für die Informatikerin dar: Sie wird sich in Zukunft vermehrt auf das Schiessen mit dem Gewehr konzentrieren. «Die Entscheidung war einfach: Luftgewehr und Kleinkaliber sind olympisch. Armbrust nicht. Ausserdem ist das Umfeld nicht so professionell.» Ihr Abschluss hatte es in sich: Sie gewann einerseits Gold mit dem Team. Andererseits wurde sie Weltmeisterin in der Disziplin kniend über 30 Meter. Dies mit einem Weltrekord. In der Damenkategorie hat sie 287 von 300 Punkten geschossen. Bei den Herren liegt der Rekord höher. «Ich bin unheimlich stolz», sagt sie und grinst. «Ich wollte diesen Titel und habe alles dafür getan.»

Stolz zeigt sich auch die Gemeinde Spreitenbach. Der Gemeinderat hat sie zur Sitzung vom vergangenen Montag eingeladen und ihr zu ihrer Leistung gratuliert. Als Präsent gab es einen Blumenstrauss, einen Geschenkkorb, einen Gutschein und ein Selfie mit dem Gemeinderat.

Nun gilt die ganze Konzentration dem Gewehr. «Ich trainiere drei- bis fünfmal pro Woche. Dazu kommt noch Fitness.» Durch flexible Arbeitszeiten gelingt ihr der Spagat zwischen Training und Arbeit. Viel Zeit für Freizeit bleibe nicht. «Aber das macht nichts. Ich kann nicht leben ohne das Schiessen.» Ihr Ziel ist es, an den Olympischen Spielen von 2024 oder 2028 anzutreten. Aber: «Momentan bin ich noch zu schlecht. Ich brauche noch etwas Zeit.»

Weitere Artikel zu «Spreitenbach», die sie interessieren könnten

Spreitenbach24.04.2024

Primi Piatti für das Heim(at)gefühl

Sie sind zum Arbeiten oder auf der Flucht in die Schweiz gekommen: Seniorinnen und Senioren mit Migrationshintergrund. Die zunehmende Diversität stellt…
Spreitenbach17.04.2024

Wenn Verstand und Herz sich streiten

Spreitenbach17.04.2024

Verstopfte Leitungen

Abfälle, die in die Toilette geworfen und so ins ­Abwasser gespült werden, sorgen regelmässig für ­Verstopfungen.