«Die Sprache war das Schwierigste für mich»

Samiel Bahrinegasi ist vor fünf Jahren aus Eritrea geflüchtet. Mittlerweile hat er erfolgreich eine Vorlehre bei Ikea abgeschlossen.

Über den Dächern von Spreitenbach auf  der Ikea-Terrasse posiert Samiel Bahrinegasi. (Bild: Robin Schwarz)

Über den Dächern von Spreitenbach auf der Ikea-Terrasse posiert Samiel Bahrinegasi. (Bild: Robin Schwarz)

Projektleiter Samuel Arnold (Bild: zVg)

Projektleiter Samuel Arnold (Bild: zVg)

«Mein Traum ist es, mal eine Frau zu heiraten, Kinder zu kriegen und ein Auto zu kaufen», sagt Samiel Bahrinegasi. Ein Traum, den hierzulande viele Menschen hegen. Ein bisschen Ruhe, Frieden und liebe Menschen. Der Unterschied: Samiel ist geflüchtet. Aus Eritrea. Seit Oktober 2016 ist er in der Schweiz.

Die Lage in seinem Heimatland ist instabil, zum grossen Teil wegen der konflikthaften Beziehung zum Nachbarland Äthiopien. Militärdienst ist obligatorisch. Auf unbestimmte Zeit. Die Bedingungen: miserabel. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schrieb dazu, das «Militär versklavt das ganze Volk». Es handle sich dabei de facto um Zwangsarbeit. Auch das Staatssekretariat für Migration (SEM) schreibt, Hoffnung auf Entlassung aus dem Dienst gebe es kaum. Darum möchten viele weg. Amnesty über Menschen, die diesem Zwangsdienst entfliehen: «Sie werden verfolgt, ohne Gerichtsurteil eingesperrt, ge­foltert, getötet oder in Arbeitslager verfrachtet.»

Aber Samiel hat es geschafft, er ist hier. Er will nicht ins Militär. «Ich möchte in Frieden leben», sagt er. Mittlerweile ist er 22 Jahre alt. Seine Familie hingegen ist noch dort. Sie leben auf dem Land, sind Bauern. Ausgerechnet in der Anbauzeit seien die Soldaten das letzte Mal gekommen. Darum musste sich sein Vater vor der Armee verstecken, erzählt er. Er ist von seinen fünf Geschwistern der Älteste, deshalb ist er in die Schweiz geflohen. «Natürlich würde ich meine Familie gerne sehen», sagt Samiel, «aber es geht nicht.» Das letzte Mal gehört hat er sie an Ostern. «Meine Mutter ist mit einer Freundin in die Stadt gegangen und konnte dort mit mir telefonieren. Die Verbindungen auf dem Land sind sehr schlecht.» Darum ist es ihm auch nicht möglich, seiner Familie Geld zu schicken, erzählt er.

Herausforderung Deutsch

Samiel ist mittlerweile hier angekommen, könnte man sagen, denn der 22-Jährige hat kürzlich erfolgreich die Integrationsvorlehre (Invol) bei der Ikea in Spreitenbach abgeschlossen. Ziel des vom Bund unterstützten Programms ist die Vorbereitung auf eine richtige Berufslehre und eine nachhaltige Integration auf dem Arbeitsmarkt für vorläufig aufgenommene Geflüchtete oder Migranten. Auch das hat Samiel geschafft. Ikea beschäftigt ihn in einer Detailhandelslehre weiter. In der Integrationsvorlehre hatte Samiel neben drei Tagen Arbeit auch zwei Tage Schule, in der er unter anderem Sprachunterricht hatte.

«Die Sprache zu lernen, war für mich das Schwierigste», sagt Samiel. Aber er nimmt das locker. Auch wenn er mal etwas nicht verstehe, habe er manchmal einfach mitgelacht, erzählt Samiel zuerst grinsend, dann lacht er. Auch bei der Arbeit sei das manchmal nicht einfach gewesen, aber die Kunden und Kundinnen seien immer freundlich gewesen, wenn er sich habe Hilfe holen müssen. Dabei gehe es mitunter auch um die Produktpalette von Ikea. Vom Konzept «Decke» sei er zunächst etwas verwirrt gewesen, so was gebe es in Eritrea zumindest in der Art wie in der Schweiz nicht, erzählt er auch hier lachend und mit ein bisschen Restverwunderung. Doch obwohl die Schule nicht einfach war, redet Samiel positiv davon: «Wir hatten viel Spass, wir haben viel gelacht und viel gelernt.» Auch von seinen Mitschülern war er begeistert. Fünf kommen aus Eritrea, sechs aus Afghanistan. Am Ende ist das aber egal: «Es spielt keine Rolle, woher jemand kommt», sagt Samiel.

Das Programm lohnt sich für Ikea

«Dein Deutsch ist aber sehr viel besser geworden», sagt Samuel Arnold, Projektleiter des Invol-Programms bei Ikea. Vor dem Invol-Programm hatte Ikea bereits ein ähnliches Konzept: «In einem sechsmonatigen Praktikum alles zu lernen, ist sehr sportlich», sagt Arnold über das vergangene Programm. «Wir haben uns gesagt, dass wir das noch besser und nachhaltiger tun können.» Das Hauptziel sei, Geflüchteten einen sicheren Raum zu bieten, in dem sie sich sicher entwickeln können, erklärt Arnold.

Schwierigkeiten mit dem Aufeinandertreffen von verschiedenen Kulturen hatte man nicht, sagt Arnold weiter, dies, weil die Ikea bereits sehr divers sei – «ein bunter Haufen» – und Diversität Stärke bedeute. Dennoch sei viel Vorarbeit nötig gewesen, sagt Arnold, so habe man im Auswahlprozess der Betreuungspersonen besonders auf Qualitäten wie Empathie geachtet. Zudem habe man sie in interkulturelle Trainings geschickt. Gleichzeitig versuche man immer, individuelle Lösungen zu finden, zum Beispiel, wenn es um die Bewältigung schwieriger Situationen geht, die im Zusammenhang mit Traumatisierungen stehen.

Von den Geflüchteten habe man lernen können: «Sie bringen viele andere Ansichten und Erfahrungen mit, es ist aber auch die Art und Weise, wie sie arbeiten, wie motiviert sie sind und wie sie die schwierigen Dinge, die sie erlebt haben, hinter sich lassen können», sagt Arnold. Zuletzt habe man auch von der Perspektive lernen können.: «Wir sind in der Schweiz ein bisschen verwöhnt und vergessen manchmal, dass nicht alles selbstverständlich ist», sagt Arnold.

Es sei aber auch wichtig, zu verstehen, dass dieses Projekt «keine Charity» sei, sondern dass es einen Business Case dafür gebe. Es lohne sich tatsächlich, an diesem Programm teilzunehmen und auf diese Weise neue Mitarbeitende zu gewinnen.

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