Er verhalf Spreitenbach zum Shoppi

Als Sekretär unterstützte Jacques E. Müller Denner-Gründer Karl Schweri Anfang der 60er-Jahre bei der Planung des ersten Schweizer Einkaufszentrums.

Ohne Jacques E. Müller kein Shoppi. (Bild: Britta Gut)
Ohne Jacques E. Müller kein Shoppi. (Bild: Britta Gut)

Der 12. März 1970 war ein bedeutendes Datum für Spreitenbach und das Limmattal. An diesem Tag wurde das Shoppi Spreitenbach eröffnet, das erste Einkaufszentrum der Schweiz. Auf 25000 Quadratmetern warben nicht nur 50 Geschäfte um Kundinnen und Kunden. Der Konsumtempel lockte auch als Ort der Begegnung, des Austauschs und der Kultur. Integriert waren sieben Restaurants, acht Kegelbahnen, ein Hallenbad, ein ökumenischer Andachtsraum, eine Kunstgalerie sowie ein Kinderparadies.

Entworfen hatte es der aus Österreich in die USA emigrierte Architekt Victor Gruen. Die Planung des Einkaufsparadieses in Spreitenbach eng begleitet hatte auch Jacques E. Müller. In der vor kurzem erschienen Biografie «Auf dem Marktplatz der Moderne» beleuchtet Autor Karl Lüönd das Lebenswerk des 90-Jährigen. Alles begann 1959, als Müller, damals 28 Jahre alt und frischgebackener Jurist, sich auf ein Inserat bei Denner-Gründer Karl Schweri meldete, schreibt Lüönd in seinem Buch. «Ich trat die Stelle kurz nach meinem Jurastudium und Doktorat an. Zuvor absolvierte ich ein Praktikum beim Bezirksgericht Zürich. Weil ich dort zu wenig verdiente, bewarb ich mich bei Karl Schweri», erinnert sich Müller im Interview mit der Limmatwelle.

Er kaufte in Frankreich undden USA Shoppingcenter

Müller unterstützte den Geschäftsmann Schweri als Sekretär. Dieser erwarb mit seinem Immobilien-Anlagenfonds Interswiss Liegenschaften in den wachsenden Agglomerationen. Die darin enthaltenen Lokale vermietete er seiner expandierenden Denner AG und trieb so den Ausbau der Denner-Supermärkte auf Discount-Basis voran. Zu Beginn war Müller verantwortlich für die Klärung juristischer Belange. Doch schon bald ernannte ihn Schweri zum Geschäftsführer der Denner Supermarkt AG. Überdies wurde Müller nach Frankreich und in die USA geschickt. «Ich sollte dort für Schweris zweiten Immobilien-Anlagenfonds namens Interglobe Supermärkte und Einkaufscenter besorgen. Eigentlich völlig verrückt, wenn man sich das heute überlegt», sagt Müller und lacht.

In dieser Zeit Anfang der 60er-Jahre entwickelte sein Chef die Idee, ein Einkaufszentrum in Spreitenbach zu bauen. Mit dem Geld seiner Anleger sicherte sich Schweri früh und günstig das Bauland in der Gemeinde, wenige Kilometer entfernt vom ausfransenden Westrand Zürichs. Müller war Schweris rechte Hand und somit auch bei der Planung des visionären Projekts dabei. «Er erzählte mir von seinen Ideen und wir tauschten Gedanken aus. Es erfüllte mich mit Stolz, dass er mich als jungen Juristen nach meiner Meinung fragte», erzählt Müller.

Die Massenmotorisierung machte man sich zunutze

Nicht nur das günstige Bauland sprach für Spreitenbach. «Für den Standort entscheidend waren die Lage, die Erreichbarkeit und das Einzugsgebiet», sagt Müller. Bereits damals sei das Limmattal zwischen Baden und Zürich im Vergleich zu anderen Regionen stark bevölkert gewesen. Dass möglichst viele Konsumenten in der Nähe lebten, habe eine wichtige Rolle gespielt. Dass auf Anhieb 2300 Parkplätze hätten errichtet werden können, habe ebenso ein zentrales Kriterium erfüllt, so Müller. «Der neue Gedanke war ja, dass man das Shoppingcenter bequem mit dem Auto erreichen konnte und die Einkäufe nicht mehr herumschleppen musste. Hinzu kam, dass die Leute ihre Autos liebten und das Autofahren ein neues Erlebnis darstellte.» Den Effekt der Massenmotorisierung machte man sich zunutze. Doch auch emotionale Gründe spielten laut Müller eine Rolle. «Karl Schweris Verbundenheit mit dem Aargau und dem Limmattal bewegten ihn ebenso dazu, Spreitenbach als Standort zu wählen.» Zudem schaffte es Schweri, den damaligen Spreitenbacher Gemeinderat vom Projekt zu überzeugen, sodass dieser den täglichen Abendverkauf bewilligte. Dieser bildete eine der wichtigsten Geschäftsgrundlagen für das Shoppingcenter Spreitenbach, schreibt Lüönd.

Entgegen den Bedenken zahlreicher Skeptiker behielten Schweri und Müller Recht. Das Shoppi Spreitenbach wurde zu einem grossen Erfolg. «Schon in den ersten Wochen nach der Eröffnung wurde die Fahrt ins Shoppingcenter Spreitenbach zum Freizeitvergnügen der Massen. Selbst an den Sonntagen, wenn die Läden geschlossen waren, drängten sich Tausende von Menschen, nur um an den Schaufenstern vorbeizuflanieren», schreibt Lüönd.

Dies bestätigten auch die Zahlen. «Pro Tag strömten über 10000 Personen herbei, an Spitzentagen wurden bis zu 60000 gezählt. Auf den Zufahrtsstrassen brach immer wieder der Verkehr zusammen. Die Hälfte aller Personenwagen auf den Gratisparkplätzen trug Zürcher Kontrollschilder, 31 Prozent kamen aus dem Aargau, aber beachtliche 5 Prozent aus dem Ausland, das heisst dem benachbarten Süddeutschland», hält Lüönd fest. Der für das erste Jahr budgetierte Umsatz von 85 Millionen Franken wurde mit 110 Millionen Franken weit übertroffen. Auch im zweiten Betriebsjahr wuchsen die Umsätze 30 Prozent über dem Durchschnitt des Schweizer Detailhandels.

Er setzte weiterhin auf das Geschäft mit Einkaufszentren

Zu dieser Zeit widmete sich Jacques E. Müller bereits anderen Geschäften. 1962 löste er sich von seinem Förderer Karl Schweri und gründete mit der Winterthur Versicherung die Intershop Holding AG. Die Immobilienfirma spezialisierte sich auf die Planung, Finanzierung, Realisierung und den Betrieb von Einkaufszentren im In- und Ausland. «In Wohnungen investierte jeder. Einkaufszentren waren lukrativer, weil man Ladenmieten erhielt und sich auch am Umsatz der Geschäfte beteiligte. Zudem war das Konzept neu. Man hatte noch sehr viele Freiheiten. Ich ging mit der Welle der Zeit», erklärt Müller sein Faible für Shoppingcenter. Karl Schweri habe ihm alles beigebracht, was er habe wissen müssen. «Ich brannte darauf, selbst etwas aufzubauen.» Das tat Müller auch. 34 Jahre lang leitete er die Firma erfolgreich, reiste durch die Welt und traf internationale Geschäftsleute. «Ich habe hart gearbeitet. Doch das fiel mir nicht schwer, für mich war meine Arbeit mein Hobby, meine Leidenschaft.» Der Tiefpunkt erfolgte 1996, als Bankier und Investor Martin Ebner mit Hilfe der Winterthur Versicherung es schaffte, als Hauptaktionär Intershop zu übernehmen. Müller verlor so von einem Tag auf den anderen die Firma. Den Schock von damals hat der Senior nach 25 Jahren gut verarbeitet – von Martin Ebner erhielt er sogar kürzlich Gratulationen zu seinem hohen Geburtstag und zur Biografie.

Die Frage, ob er heute immer noch in Einkaufscenter investieren würde, verneint der 90-Jährige. «Man muss mit der Zeit gehen. Heute kann man sich alles online anschauen und bestellen. Es ist nicht mehr nötig, vor Ort in den Läden einzukaufen. Ich würde in ein Online-Geschäft oder ein Technologie-Unternehmen investieren.» Was er jedoch gleich machen würde, sei, mit Geschäftspartnern ein gutes Verhältnis zu pflegen. «Das oberste Ziel ist, andern nicht das Geld wegzunehmen, sondern sich gegenseitig zu helfen. Wenn es etwas gibt, das ich in meinem Leben gelernt habe, dann das.»

Lektüre

Neues Buch von Karl Lüönd: Auf dem Marktplatz der Moderne. Die Einkaufszentren und das Lebenswerk von Jacques E. Müller, Gründer der Intershop Holding AG. NZZ Libro, 2021. 136 Seiten, 34 Franken.

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