Besser hinschauen und integrieren hilft

Gemeindepräsident Markus Mötteli (Die Mitte) nennt Gründe, die dazu geführt haben, dass sich in Spreitenbach Sozialhilfefälle und Sozialhilfekosten massiv reduziert haben.

Die Verwaltungsrechnung 2020 schloss mit einem Ertragsüberschuss von 7,3 Mio. Franken. Der grösste Posten, der zu diesem guten Ergebnis führte, sind 2,9 Mio. Franken Minderkosten gegenüber dem Budget im Bereich Sozialhilfe. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Aufwendungen um 1,5 Mio. Franken gesunken. Wieso konnte die Gemeinde die Sozialhilfekosten um einen derart grossen Betrag senken? Vielleicht hatten wir auch Glück. In den umliegenden Gemeinden sind die Kosten ebenfalls gesunken. Bereits im Rechnungsjahr 2019 reduzierten sich die budgetierten 8 Mio. auf rund 6,5 Mio. Franken. Aufgrund der vorherigen Entwicklung haben wir eigentlich mit einer Zunahme gerechnet. Die Ausgaben stehen im Zusammenhang mit der Anzahl Sozialhilfefälle. Diese stiegen bis 2017 kontinuierlich und sanken erstmals im Jahr 2018 von 270 Fällen auf 230 Fälle und nun im Jahr 2020 sind es noch 150 Fälle. Als die Zahl in den Vorjahren zunahm, haben wir Massnahmen gesucht und ergriffen, die der steigenden Tendenz entgegenwirken. Seit rund fünf Jahren setzen wir diese Massnahmen nun um und das scheint nun ebenfalls Wirkung zu zeigen. Aber es ist schwierig abzuschätzen, ob es daran oder an der allgemeinen Entwicklung liegt.

Welche Massnahmen haben Sie ergriffen? Mit verstärkten Integrationsmassnahmen, das heisst mit Massnahmen zur Wiederintegration ins Berufsleben. Wir arbeiten seit 2017 mit einer Spreitenbacher Firma im Bereich Arbeitscoaching zusammen. Sie begleitet einen Teil der Sozialhilfebezüger mit Unterstützung im Bereich Sprache, Mithilfe beim Erstellen des Bewerbungsdossiers, der Suche nach geeigneten Jobs, dem Üben von Bewerbungsgesprächen etc.

Wer profitiert davon? Sozialhilfebezüger, bei denen die Sozialkommission bei der Jobsuche Erfolgsaussichten sieht. Jährlich sind das durchschnittlich zwischen 8 und 15 Personen. Rund ein Drittel findet so wieder eine Arbeit. Solange die Personen noch beim RAV angemeldet sind und Arbeitslosengelder beziehen, werden sie von diesem Amt unterstützt. Diese Integrationsmassnahme hat die Gemeinde letztes Jahr rund 200000 Franken gekostet. Wir sind der Meinung, dass sich diese Investition aber lohnt.

Gab es weitere Massnahmen? Bei den Sozialen Diensten gab es einige Umstrukturierungen. Neben einer neuen Führung haben wir vor zwei Jahren den Bereich Kindes- und Erwachsenenschutz an den Gemeindeverband Bezirk Baden ausgelagert und konnten uns auf die materielle Sozialhilfe konzentrieren. Seither haben die Mitarbeiter der Sozialen Dienste mehr Ressourcen für Revisionsgespräche und ein strafferes Controlling.

Hat denn Spreitenbach zuvor nicht gut genug hingeschaut? Es gab Phasen mit grossem Personalwechsel, wo kaum Zeit fürs Controlling blieb. Wenn die Leute merken, dass nicht hingeschaut wird, kommt es eher zu Missbrauch. Durch die verbesserte Kontrolle konnten unterlassene – auch unbeabsichtigte – Meldungen aufgedeckt und korrigiert werden. Beispielsweise, wenn Änderungen in der Lebenssituation oder dem Einkommen nicht gemeldet werden. Bei einem Versehen gibt es eine Ermahnung. Bei regelmässigem oder absichtlichem Versäumen erfolgt eine Anzeige.

Gab es im letzten Jahr mehr Anzeigen? Wir führen keine Statistik darüber, pro Jahr sind es drei, vier Fälle. Wichtig ist die Signalwirkung, wenn die Leute merken, dass hingeschaut und verzeigt wird.

Welche Möglichkeiten hat jemand, wenn er mit einem Entscheid des Sozialdiensts nicht einverstanden ist? Die Unterstützungsentscheide werden von der Sozialkommission gefällt. Wer mit dem Entscheid nicht einverstanden ist, kann sich innerhalb von zehn Tagen an den Gemeinderat als erste Beschwerdestelle wenden. Wir prüfen die Sachlage neu.

Wurde dieses Mittel im Vergleich zum Vorjahr öfters ergriffen? Die Tendenz ist steigend. Etwa alle zwei Monate kommt es vor. In der Regel stützt der Gemeinderat den Entscheid der Sozialkommission. Das meiste ist klar geregelt, nur bei Spezialfällen haben wir Handlungsspielraum.

Zum Beispiel? Wenn jemand zusätzliche Auslagen geltend machen will, wie Anschaffungen, Unterstützungsmassnahmen etc., die die Sozialkommission als nicht notwendig erachtet.

Im März haben Sie in einem Interview gesagt, dass es Aufgabe der materiellen Sozialhilfe ist, in finanzielle Not geratenen Einwohnern zu helfen, und es viel Fingerspitzengefühl braucht, um im Einzelfall die wirkliche Bedürftigkeit herauszufinden. Doch wie Sie sagen, lässt der gesetzliche Rahmen wenig Spielraum zu ... Vieles wie beispielsweise die Höhe der Lebenserhaltungskosten ist tatsächlich klar geregelt. Wenn jemand ein spezielles Bedürfnis nachweisen kann, besteht jedoch Spielraum. Die Kosten für ein Auto werden beispielsweise grundsätzlich nicht bezahlt. Wenn jemand nachweisen kann, dass er es für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit braucht, wird überprüft, ob die Kosten übernommen werden.

Sie sagten auch, dass neben der menschlichen Pflicht, zu helfen, auch die finanzielle Belastung als Steuerzahler nicht vernachlässigt werden darf. Wie lösen Sie diesen Interessenskonflikt? Indem eben gut hingeschaut wird und die Mitarbeitenden im Gespräch mit den Betroffenen eine faire Beurteilung der Sachlage vornehmen. Dabei ist eine geringe Personalfluktuation zielführend, weil sie die Personen und Situationen kennen.

Wenn man bedenkt, dass fast drei Millionen Franken weniger für Sozialhilfe ausgegeben wurden, könnte man trotzdem befürchten, dass auf Kosten der Armen gespart wird ... Grundsätzlich kann man diese Gefahr nicht wegdiskutieren, sie besteht. Wir sind aber der Meinung, dass wir es in Spreitenbach im Griff haben und nicht auf Kosten der wirklich Bedürftigen sparen. Mit all den erwähnten Massnahmen versuchen wir, die Balance zwischen den steigenden Sozialhilfekosten und der Anspruchsberechtigung zu finden.

Die Sozialen Dienste geraten vielerorts immer mal wieder in die Kritik. Ist das in Spreitenbach gerechtfertigt? Grundsätzlich steht der Sozialdienst wie auch das Finanz-, Betreibungs- oder Steueramt schnell in der Kritik. Das ist in Spreitenbach nicht anders als in anderen Gemeinden. Es hat damit zu tun, dass in diesen Abteilungen einschneidende Massnahmen ergriffen werden. Wird die materielle Hilfe gekürzt, kann das bei Betroffenen das Gefühl auslösen, dass man unfair behandelt wird. Solche Kritik darf und soll dem Gemeinderat gemeldet werden. Dann prüfen wir den Fall. Schwierig ist hingegen, wenn allgemeine Vorwürfe oder anonyme Schreiben gemacht werden. Letztes und dieses Jahr haben wir ein solches anonymes Schreiben erhalten. Darin wurden allgemeine Vorwürfe ohne nähere Angaben gemacht. Grundsätzlich behandelt der Gemeinderat keine anonymen Vorwürfe und da nichts Konkretes genannt wurde, kann der Gemeinderat auch keine Beurteilung oder Überprüfung in die Wege leiten.

Mein Wunsch wäre, dass sich die Leute bekennen und uns melden, was geschehen ist. Dann können wir konkret hinschauen. Wer nicht öffentlich hinstehen will, kann sich auch bei einer Vertrauensperson seiner Wahl aus dem Gemeinderat oder der Verwaltung melden. Wir behandeln das vertraulich und können auf der entsprechenden Abteilung auch Abklärungen vornehmen, ohne den Melder zu nennen. Ich kann nachvollziehen, dass man nicht in die Abteilung gehen will, mit der man uneinig ist.

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