Der Spar nimmt Rücksicht auf Autisten

Keine Musik, keine Ladendurchsagen und reduziertes Licht: Die Spar-Filiale in Spreitenbach führt ab Januar 2021 das Pilotprojekt «Stille Stunden» für Menschen mit Autismus ein.

Reizfrei einkaufen wird im Spar Spreitenbach 2021 möglich. Severin Bigler
Reizfrei einkaufen wird im Spar Spreitenbach 2021 möglich. Severin Bigler

An zwei Wochentagen wird im Spreitenbacher Geschäft, das von der Spar-Partnerin, der Neuen Schnellmann Detailhandels AG, betrieben wird, jeweils für zwei Stunden ein ruhiges Einkaufen für Menschen mit Autismus garantiert. Die Aktion ist in Zusammenarbeit mit dem Verein Autismus Deutsche Schweiz entstanden. Seit August läuft das Projekt in den Spar-Filialen in Dübendorf, Schöfflisdorf, Urdorf und an der Regensbergstrasse in Zürich. Geplant ist, dass in insgesamt 13 Spar-Supermärkten im Raum Aargau und Zürich «Stille Stunden» eingeführt werden, so auch in Wettingen.

Auch ältere Menschen geniessen Ruhe im Geschäft

«Gemäss Erfahrungen unseres Spar-Partners Hansruedi Schnellmann schätzen bei den Märkten mit dem bereits bestehenden Angebot nicht nur Betroffene die Aktion, sondern auch ältere, betagte Menschen. Sie geniessen es, in Ruhe einkaufen zu können oder dass sich die Mitarbeitenden Zeit nehmen, ihnen beim Einkaufen behilflich zu sein», sagt Spar-Mediensprecherin Silvia Manser. In diesen Stunden werden auch keine Regale eingeräumt und kein Brot aufgebacken. Die Mitarbeitenden wissen über das Thema Autismus Bescheid und können unterstützend eingreifen. Zudem sind Hilfshunde und persönliche Assistenzpersonen im 430 Quadratmeter grossen Laden in Spreitenbach willkommen. 

Zu den «Stillen Stunden» gehört auch, dass Kundinnen und Kunden mit Autismus auf der Website der «Neuen Schnellmann Detailhandels AG» einen Plan der jeweiligen Filiale herunterladen können, der aufzeigt, wo welche Produkte zu finden sind. «Damit fällt es leichter, den Einkauf zuhause zu planen, was für viele Betroffene sehr wichtig ist», sagt Regula Buehler, Geschäftsleiterin des Vereins Autismus Deutsche Schweiz. Sie freut sich, dass das Projekt umgesetzt wird. «Wir sind glücklich, dass Spar diesen Pilotversuch wagt, und hoffen, dass weitere Detailhändler mitziehen.» Der Verein habe seit einigen Jahren versucht, Partner für das Projekt «Stille Stunden» zu finden. «Die positive Resonanz aus anderen Ländern zeigte uns, wie bedeutend das Projekt ist. Leider war die Suche lange nicht erfolgreich und die Freude war gross, als Spar den Kontakt gesucht und sich die Kooperation ergeben hat.» Aktuell kläre man ab, ob sich der Zeitpunkt und die Dauer optimieren liessen, so Buehler.

Weniger Reize bedeutet weniger Stress beim Einkaufen

Das neue Angebot biete einen Mehrwert für Autistinnen und Autisten, findet Buehler. «Menschen mit Autismus nehmen die Welt anders wahr. Viele haben Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Reize, wie zum Beispiel auf Licht, Gerüche, Geräusche und Berührungen. Einkaufen kann für Betroffene deshalb sehr anstrengend sein, weil es im Laden oft laut und sehr hell ist.» Zudem sei der Einkauf mit Unsicherheiten und Fragen verbunden: «Wo finde ich den Hüttenkäse?» oder «Hat es die Apfelsorte, die ich am liebsten mag?» «Die vielen Reize und Unsicherheiten führen zu enormem Stress, weshalb es manche nur mit grosser Mühe oder gar nicht schaffen, Besorgungen zu machen», sagt Buehler. Die «Stillen Stunden» seien daher wichtig für Menschen mit Autismus, weil in dieser Zeit die Reize reduziert seien und der Einkauf mit weniger Stress verbunden sei. Selbstständig einkaufen zu gehen, bringe Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. 

Buehler hält daher nichts davon, dass Menschen mit Autismus nur online einkaufen sollen. «Sie sollen selbstständig in der Gesellschaft leben und an ihr teilnehmen können. Ein Online-Einkauf, sofern ihnen dieser überhaupt möglich ist, führt uns diesem Ziel nicht näher.» Betroffenen den Einkauf innerhalb der restlichen Bevölkerung zu ermöglichen, sei ein Schritt in die richtige Richtung. «Für sie wäre es sehr wertvoll, wenn das Angebot auf die ganze Schweiz ausgeweitet würde, sodass alle Menschen mit Autismus die Möglichkeit hätten, davon zu profitieren.» Und nicht nur sie: «Das reizfreie Einkaufen soll allen zugutekommen.»

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