Vom Irak in die Schweiz: Die Geschichte eines Flüchtlings

Peshraw Mirza (44) ist Flüchtling: Er führte Regie für den Cybermobbingfilm der Schule Neuenhof. Inzwischen ist das Dorf sein neues Zuhause geworden.

Zu Hause: Peshraw Mirza und seine Frauspielen mit den beiden Kindern in ihrer Wohnung in Neuenhof. Barbara Scherer

Zu Hause: Peshraw Mirza und seine Frauspielen mit den beiden Kindern in ihrer Wohnung in Neuenhof. Barbara Scherer

Mirza geht seiner Leidenschaft dem Filme machen noch immer nach, wenn es geht.

Mirza geht seiner Leidenschaft dem Filme machen noch immer nach, wenn es geht.

Vor mehr als zwei Jahren sorgte er für Schlagzeilen in der Schweizer Medienlandschaft: Peshraw Mirza ist mit seiner Familie vom Irak in die Schweiz geflüchtet und hat die Flucht gefilmt. Daraus ist der 50-minütige Dokumentarfilm «The Crossing» entstanden. Die Schule Neuenhof wurde so auf den ehemaligen Videojournalisten aufmerksam.

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Vor rund einem Jahr hat Mirza dann die Regie für den Cybermobbingfilm der Schule übernommen. «Wenn ich es nochmals machen könnte, würde ich heute wohl einiges anders machen», sagt Peshraw Mirza und streicht sich über den kahlrasierten Kopf.

Inzwischen hat der 44-Jährige Deutsch gelernt. Jetzt würde er die Sprache verstehen und könnte besser mit den Schülern interagieren. Der gebürtige Kurde nimmt Platz in einem Sessel im Wohnzimmer. Der Raum ist hell, im Fernseher läuft leise eine Kindersendung.

Inzwischen hat die Familie den Asylstatus F erhalten, sie können vorläufig in der Schweiz bleiben. Denn Mirza ist ein politischer Flüchtling: Er hat kritische Dokumentarfilme über die Terrororganisation IS im Irak gedreht – bis ihm Terroristen mit dem Tod drohten.

Wohin die Flucht führt, war unklar

Mit dem Flugzeug flog Mirza zusammen mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern in die Türkei. Von dort brachten Schlepper die Familie nach Griechenland und schliesslich in die Schweiz.

«Wir wussten nicht, wohin sie uns genau bringen», erklärt Mirza. Er faltet die Hände und hält kurz inne. «Erst flogen wir mit einem Privatflugzeug, dann fuhren wir mit einem Auto.» Das Handy durfte nicht eingeschaltet sein und Fragen stellen war verboten.

Schliesslich lud der Fahrer die Familie in Lugano, ohne ein Wort zu verlieren, aus und fuhr davon. Sofort suchte Mirza den Polizeiposten auf und wurde weitergeschickt nach Chiasso.

Dank Google nach Zürich

Doch dort öffnete niemand der müden Familie die Tür. Über das Internet suchte Mirza die grösste Stadt der Schweiz und landete so in Zürich. Die Flucht hat den ehemaligen Journalisten rund 50000 Euro gekostet. Mirza atmet tief ein und sinkt in den Sessel: «Es war eine schlimme Zeit. Ich würde das Ganze gerne vergessen können.»

Vom Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen gelangte die Familie ins Aufnahmezentrum in Buchs und schliesslich in die Asylunterkunft in Neuenhof. Heute lebt die vierköpfige Familie in ihrer eigenen Wohnung im Dorf.

«Wir könnten jetzt überall leben, aber wir wollen hierbleiben.» Peshraw Mirza lächelt. «Wir haben so viele nette Menschen hier kennen gelernt. Diese Leute sind unsere Familie geworden.»

Integration ist nicht schwer

Sich in der Schweiz integrieren, das sei kein Problem. «Wir sind doch alles Menschen.» Europa war für Peshraw Mirza auch nichts Neues: Durch seine Arbeit hatte er bereits früher Kontakt zu Filmemachern aus Norwegen und Holland. «Doch jetzt ist es schon anders.

Vielleicht leben wir für immer hier.» Anfangs sei es eine Umstellung gewesen – andere Sprache, neues Zuhause, kein soziales Umfeld. Durch das Filmprojekt der Schule hat Mirza schnell Anschluss im Dorf gefunden.

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Eine Weile seien auch Schüler bei ihm vorbeigekommen und haben bei den Deutschaufgaben geholfen. «Manchmal grüssen mich Leute im Dorf beim Namen und ich weiss gar nicht, wer sie sind.» Mirza schmunzelt, seine Augen leuchten.

Durch den neuen Asylstatus darf Peshraw Mirza nun auch arbeiten: Seit einigen Monaten hilft er halbtags in einer Autogarage in Zürich aus. Bereits als Bub habe er im Irak seinem Onkel bei der Reparatur alter Autos geholfen. Deshalb gefalle ihm seine neue Arbeit in der Schweiz.

Sehnsucht nach der Kamera bleibt

Trotzdem: Der ausgebildete Fernsehjournalist kann die Finger nicht von der Kamera lassen. So hat er im letzten Jahr neben zwei Musikvideos einen Werbespot für die Autogarage gedreht. Mirza stellt seinen Computer an. Mit gebanntem Gesicht spielt er einen Film nach dem anderen ab: Alle hat er gemacht.

Schnell ist klar: Die Leidenschaft für das Filmen ist immer noch da. Doch Journalist, das könne er wohl nicht mehr sein – nur schon wegen der Sprache. «Aber hinter der Kamera würde ich natürlich gerne wieder stehen.» Mirza scrollt mit der Maus über die lange Youtubeliste: Er wirkt wehmütig.

In seinen zwanzig Jahren beim Fernsehen sind viele Filme zusammengekommen. Würde er gerne wieder im Irak leben? «Ja und nein.» Es müsste sich vieles ändern. Denn Pressefreiheit gebe es nicht. «Als Journalist bist du dort nicht frei: Du darfst nicht schreiben, was du denkst.» Solange das so sei, möchte Peshraw Mirza in Neuenhof bleiben und sich ein neues Leben mit seiner Familie aufbauen.

Infos zum Cybermobbingfilm «Ein schöner Tag»

Die Schule Neuenhof hat 2016 mithilfe von Peshraw Mirza den Film «Ein schöner Tag» gedreht. Ziel war es, einen Präventionsfilm zum Thema Cybermobbing zu erstellen. Der Dreh hat fünf Wochen gedauert.

Wobei das Projekt von den Kantonen Aargau und Solothurn sowie der Pädagogischen Hochschule FHNW mit dem «smart@media-Award» ausgezeichnet worden ist. Seit rund einem halben Jahr steht die DVD des Films nun zum Verkauf. Insgesamt konnten bereits 75 Exemplare à 20 Franken verkauft werden. Zuständig für den Verkauf sind die beiden ehemaligen Reallehrer Heinz Ackle und Käthy Häfliger.

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Die grössten Abnehmer sind diverse Fachstellen und pädagogische Hochschulen über die Kantonsgrenzen hinweg. «Das Feedback ist sehr gut. Wir konnten den Film auch schon mehrmals im Rahmen von Workshops zeigen», sagt Schulleiterin Renate Baschek.

Der Film sei besonders beliebt, weil er in der Schweiz gedreht wurde: Viele Zuschauer würden die Umgebung wiedererkennen. «Das erzeugt Nähe», so Baschek. Auch die Suchtpräventionsstelle Aargauhat den Film inzwischen in seine Mediathek aufgenommen. Die PH Windisch will den Film zudem für die Lehrerausbildung nutzen.

Das eingenommene Geld fliesst momentan in entstandene Produktionskosten. «Alle Beteiligten haben damals freiwillig mitgearbeitet, wir wollen diesen Helfern gerne noch etwas geben», sagt Baschek. Sobald alles abbezahlt ist, fliessen die weiteren Einnahmen des DVD-Verkaufs in das Kulturprogramm der Schule Neuenhof.  

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