Der Arzt als Pionier und Generalist

Vor drei Jahren löste Peter Ackle seine Arztpraxis in Neuenhof auf. Anfang Jahr gab er auch sein Amt als ärztlicher Leiter in der Klinik für Suchttherapie in Neuenhof ab. Der Medizin kehrt er aber nicht ganz den Rücken: Er bleibt Belegarzt in der Alterssiedlung Sonnmatt und will Einsätze im Ausland machen.

Peter Ackle schliesst in der Klinik für Suchttherapie in Neuenhof den Eingang des Tipi-Zelts, das im Garten der Klinik steht. Melanie Bär
Peter Ackle schliesst in der Klinik für Suchttherapie in Neuenhof den Eingang des Tipi-Zelts, das im Garten der Klinik steht. Melanie Bär

Peter Ackle steht hinter der verschlossenen Eingangstür der Klinik für Suchttherapie in Neuenhof. Er spricht mit einem jungen Patienten, der gerade einen Entzug macht. Dann schliesst er die Tür auf und empfängt die Presse. Zum Abschiedsinterview. Nach knapp 26 Jahren hat er die ärztliche Leitung am 1. Januar an Adem Bajrami weitergegeben.

Es ist das zweite Standbein, das er in Neuenhof nach vielen Jahren aufgibt. Drei Jahre zuvor hat er seine Hausarztpraxis geschlossen. Mit Berufskollegen hat er das Doktor Zentrum in Baden gegründet, weil heute kaum noch junge, kompetente und geeignete Ärzte zur Übernahme von Einzelpraxen gefunden werden können. Dies hat ihm ermöglicht, sich beruflich langsam zurückzuziehen.

Seit einem Jahr ist er nur noch Mitaktionär in Baden und macht mitunter Stellvertretungen. Mit der Übergabe der ärztlichen Klinikleitung hat er nun noch mehr Freiraum. «Ich habe keinen getakteten Fahrplan mehr, dafür viel Freiheit», sagt Ackle und strahlt.

Jetzt heisst es: Mehr Zeit für sich

Die Freiheit, einiges zu machen, wozu ihm bisher die Zeit fehlte: tropenmedizinische Fortbildungsreisen und Kurzeinsätze, Sprachen vertiefen oder zu Hause seinen Freundeskreis und den Luxus Zeit geniessen können.

Wie fühlt es sich an, nach einem Vierteljahrhundert die ärztliche Leitung in der Klinik abzugeben? «Ich bin froh, dass mir diese Möglichkeit geboten wurde und ich die Klinik in meinem eigenen, ganzheitlichen Stil aufbauen und über Jahre prägen konnte, ich habe fachlich und menschlich enorm profitiert.»

Medizinisch hat sich die Situation – auch dank der vorbildlichen Drogenpolitik der Schweiz – wesentlich entschärft. Es sei ein Privileg gewesen, als Allgemeinpraktiker eine führende Rolle in der Suchtmedizin zu erhalten, die psychiatrische, internmedizinische, infektiologische und gynäkologische Fragestellungen umfasst.

«Es war die goldene Zeit der Generalisten. Heute wäre das kaum mehr möglich, da die Medizin in immer mehr Spezialgebiete aufgeteilt wird.» Dabei habe er gerade durch das Ernstnehmen und Behandeln von verschiedenen körperlichen Beschwerden das Vertrauen der Patienten gewinnen können. «Diese Haltung hat Vorbildcharakter und unterstützt die Patienten in der Übernahme von mehr Eigenverantwortung.»

Suchtkrank aber nicht hilflos

Die Suchtkrankheit sei in der Regel chronisch; assoziierte Krisen wie finanzielle Notlagen, Arbeits- oder Partnerschaftsverlust führten zum Klinikeintritt. In geschützter Umgebung erweitern die Patienten ihre Kompetenzen zur Konfliktbewältigung und sind so immer weniger auf Substanzen angewiesen. Hoffnungslos sei niemand, weil alle ihre Situation verbessern können.

«Wenn respektvolle menschliche und kompetente Hilfe angeboten wird.» Für ihn steht der Mensch im Mittelpunkt und deshalb hat er sich im Suchtbereich überhaupt engagiert.

Für eine Randgruppe, die zu Zeiten der offenen Drogenszene am Platzspitz vor 25 Jahren noch jährlich über 400 Todesopfer forderte. «Ich behandle gerne Menschen, die wirklich etwas brauchen», begründet er sein Engagement in seiner Pionierzeit, wo er so richtig wirken konnte.

Doch nun zieht es den Menschenfreund weiter. Nach Afrika und Asien, wo er sich zusammen mit anderen Ärzten fortbildet und bei freiwilligen Einsätzen mithilft. Auch dort will er sich für Randgruppen einsetzen, die seine Hilfe wirklich brauchen.

Vielleicht geht es bald nach Indien

Letztes Jahr hat er während eines Aufenthalts in Tansania eine Ärztekollegin kennen gelernt und sich verliebt. Eine Inderin. «Gut möglich, dass es mich bald auch einmal nach Indien zieht», sagt er und lacht.

 

In anderen Städten zu leben und Fremdsprachen zu vertiefen, steht sowieso zuoberst auf seinem Plan für seine Zukunft als Pensionär. Ganz auszuwandern, ist hingegen nicht seine Sache. «Ich brauche hier meine Wurzeln und meinen festen Wohnsitz. Ich will meine Freundschaften in der Schweiz weiterhin gut pflegen. Sie sind mir sehr wichtig.»

Ebenso wie die Neuenhoferinnen und Neuenhofer. Auch wenn er sich durch den Abschied in der Klinik für Suchttherapie noch ein bisschen weiter von der Gemeinde entfernt.

Ganz weg ist er dennoch nicht und die Identifikation mit dem Ort seines kleinen Lebenswerks bleibe bestehen. Es sind zwar nur noch einige wenige Patientinnen, die er in der Alterssiedlung Sonnmatt als Belegarzt schon seit Jahren betreut. «Vorläufig noch», sagt er und schliesst die Kliniktür hinter sich zu.

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