Siebzehn Tore für ein Dorf und den Frauenfussball

Sommerliches Wetter und Fussball: Die Spielerinnen üben, der Trainer beobachtet. (Bild: Robin Schwarz)

Der Trainer: Harald Völker (Bild: zVg)
Innert eines Jahres vom Team mit nur zwei Spielerinnen zum Saisonsieg. Die Mädchen des SV Würenlos begeistern ein Dorf.
Von: Robin Schwarz
Noch immer spielt Frauenfussball in der Sportwelt eine untergeordnete Rolle – was Prestige wie auch die Finanzen angeht. So verdient beispielsweise der brasilianische Stürmerstar Neymar in einem Jahr rund 100000 Franken mehr als sämtliche 1700 Spielerinnen der sieben Top-Ligen zusammen. Doch diese Hindernisse interessiert in Würenlos vorerst niemanden. Dort herrscht nämlich ein bisschen Frauenfussball-Euphorie, denn die Mädchen in der Spielklasse FF15 (Jahrgänge 2007–2009) haben jüngsthin die regionale Meisterschaft gewonnen. Dabei ist nicht nur beeindruckend, dass sie den Titel geholt haben, sondern wie.
Die Geschichte beginnt letztes Jahr während des Lockdowns. Die Tochter von Trainer Harald Völker und eine ihrer Freundinnen wollen Fussball spielen und bringen ihn, den Veteranenspieler des SV Würenlos, dazu, die beiden gezielt zu trainieren. «Gut, wir machen das», hatte Völker damals gesagt. Der SV Würenlos hatte schon länger keine Frauenmannschaft mehr. Nicht nur darum, sagt Völker, ist sein Ziel eine nachhaltige Entwicklung des Frauenfussballs in Würenlos. Dafür hat er sogar ein entsprechendes Konzept verfasst. Lange hat es nicht gedauert, bis sich dem Team weitere Mädchen angeschlossen haben, mithin dank Flyeraktion mit von den Mädchen eigens kreierten Flyern.
«Vieles war in der Zeit nicht möglich und so waren viele sofort dabei, als man sich draussen zum Fussballtraining treffen konnte», sagt Daniela Zwygart, Mutter einer Spielerin. Irgendwann sei dann plötzlich die Frage aufgetaucht: Spielen wir Matches? Wollen wir das? Die Spielerinnen befanden: Ja, das wollen wir. Also hat das Team die Spiellizenz erworben und sich in die Saison eingeschaltet.
Vom ersten Spiel an stark
Völker war sich zwar bewusst, dass er Spielerinnen mit einer gewissen sportlichen Vorbildung hat – vom Geräteturnen oder Schwimmen beispielsweise –, wollte die Erwartungen aber zunächst tief halten. Das Training lief nicht schlecht, der Transfer aufs tatsächliche Spielfeld sei aber nicht ganz so einfach, sagt er. Da Völker nicht wusste, auf welchem Level die anderen Teams spielen, habe er seine Mädchen vor allem defensiv eingestellt.
Schon beim ersten Match hat Völker dann gesehen, dass sein Team 50 bis 100 Prozent über dem Trainingsniveau spielt. Das Resultat: ein 4:1-Sieg im allerersten Match. Zwischen der Gründung des Teams und dem ersten Matchsieg lagen gerade mal 8 Monate. Und das Team gewann weiter und weiter, legte ein Team nach dem anderen aufs Kreuz. In den 9 Spielen der Saison gab der SV Würenlos nur einmal Punkte ab – bei einem 0:0-Remis in Bremgarten. «Dort habe ich gemerkt, dass ich das Team etwas offensiver aufstellen muss.» Sonst aber: Siege am Laufmeter. Sogar gegen Windisch hat man gewonnen, ein Team, bei dem Spielerinnen der ersten Stärkeklasse auf dem Platz standen und den SV Würenlos auf dem Papier eigentlich hätte schlagen müssen. Auch in diesem Spiel errangen die Mädchen einen Sieg und gewannen 2:1. Einige der Spielerinnen waren wohl etwas überrascht oder auch etwas schockiert, dass die Würenloser Neulinge sie besiegen konnten. Schliesslich trainieren manche schon seit Jahren. Wiederum habe es auch viele Spielerinnen gegeben, die sich ob der guten Spiele mit Würenlos gefreut haben. Nach dem vorletzten Match in der Frühlingsrunde gegen Grenchen ernannte man sich gegenseitig sogar spontan zum coolsten gegnerischen Team und tauschte Handynummern aus.
Spielstärke dank Trainingswille
Das Geheimnis liegt vielleicht tatsächlich im Würenloser Training. Selbst bei Schnee und Regen sei man im Winter rausgegangen, man habe Konditionstraining gemacht, sei viel gelaufen. Sogar eine Schneeballschlacht mit taktischen Regeln habe als Trainingseinheit fungiert. «Das hat die Mädchen einfach mitgerissen, es wurden immer mehr», sagt Zwygart. Fast schon eine identitätsstiftende Funktion habe das Team für die Mädchen, sie seien jetzt Fussballerinnen und Teil einer Mannschaft, sagen sie. Und für so eine Identität – und Siege – geht man gerne auch beim schlimmsten Wetter raus, während die Geschwister zuhause an der Spielkonsole sitzen. Dreimal die Woche heisst es Training. «Es ist hart, aber wir lernen sehr viel vom Trainer», sagt eine Spielerin, «Er ist einfach krass!», sagt eine andere. Die Mädchen lachen alle.
Mittlerweile spielen ganze 40 Spielerinnen für die Mädchenteams des SV Würenlos, so viele, dass es nun mehrere Mannschaften gibt und geben muss. Dabei hat das Team der Klasse FF19 (Jahrgänge 2003–2007) noch zu wenige Spielerinnen und sucht deshalb nach neuen Mitgliedern. Das Team war in der vergangenen Saison so erfolgreich, dass es nun mit neuen Tenüs auflaufen kann, gesponsert von der Autobahnraststätte Würenlos. Dazu kommt ein spezieller Techniktrainer und eigenes Training für die Goalies. Es hat sich viel bewegt. «Harald Völker macht das mit wahnsinnig viel Engagement», anerkennt Zwygart. Völker hat kürzlich sogar die Trainerlizenz abgeschlossen. «So viel lernen musste ich schon lange nicht mehr. Aber jetzt weiss ich nicht nur, dass wir etwas richtig machen, sondern auch weshalb», sagt Völker. Beim letzten Saisonspiel habe Dorffestatmosphäre geherrscht. Über 100 Zuschauer kamen, um den Meisterschaftsgewinn ihres Teams mitzuerleben. Am Ende war man zwei Punkte vor dem FC Windisch.
Nicht genug Platz für alle
Doch der Erfolg bringt auch gewisse Probleme mit sich. «Wir haben zu wenig Platz», sagt der Trainer. Das Team trainiert je nach Wochentag an verschiedenen Orten und muss sich die zweieinhalb Plätze mit 310 anderen Spielern, der Schule, dem Turn- und dem Rugbyverein teilen, sodass man kaum aneinander vorbeikommt. Um den Frauenfussball in Würenlos tatsächlich nachhaltig zu prägen, braucht es aber nicht nur motivierte Mädchen und einen Trainer, sondern auch Platz, befindet Völker.
Ausserdem Geld für das neue Garderobenhäuschen, das sich noch im Bau befindet. Das macht den Mädchenfussball zum Politikum. Im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen habe man schon mit diversen Politikern geredet. Denn es gibt Kräfte, die gegen das Streben des Teams opponieren. Der Verein hofft sehr, dass diesmal auch FDP und SVP für die schnelle Realisierung eines zweiten Sportplatzes am Tägerhard eintreten. Beide Parteien hatten vor einigen Jahren mit einem Referendum einen Kunstrasen zu Fall gebracht. Die Rechnung ist einfach: je mehr Platz, je mehr Unterstützung, desto mehr Erfolg und Spass. Völker: «Es ist toll, wie viel Dynamik aus dem Team selber kommt. Aber es ist auch megatoll, wie sehr alle Väter – davon einige Würenloser Fussballlegenden – und Mütter das Projekt auf vielen Ebenen sehr unterstützen. Die Mädchen spüren dadurch, dass ihr Umfeld dahintersteht, dass sie Fussball spielen.»
Einige der stärksten Spielerinnen haben für die Saison, die eben begonnen hat, die Altersklasse gewechselt. Völker will deshalb die Erwartungen erneut tief halten. Er spricht bescheiden und wirkt auch als Trainer ganz anders als so viele Spielfeldrandcholeriker. Er schreit nicht, er ruft. Er befiehlt nicht, er dirigiert. Er krittelt nicht, er baut auf. Und er bringt die Spielerinnen dazu, zu reflektieren. Eine Spielerin sagt: «Wir sind die Besten!», und alle anderen lachen. Aber: «Wir müssen auch einmal verlieren», sagt eine andere Spielerin ernst. Nicht, weil es schön sei, zu verlieren, sondern «damit wir lernen, auch mit einer Niederlage umzugehen», erklärt sie. Es gilt, den Ball flach zu halten.
Das erste Spiel der neuen Saison haben die FF15-Spielerinnen gegen den FC Brugg mit 17:0 gewonnen.
Crowdfunding
Das Garderobengebäude des SV Würenlos am Tägerhard wird nicht wie in den meisten anderen Gemeinden durch die Gemeinde erstellt, sondern muss vom Verein selbst errichtet werden. Um die Finanzierung zu stemmen, läuft bis 31. August eine Aktion auf der Crowdfunding-Plattform «Lokalhelden»: www.lokalhelden.ch/sv-wuerenlos-garderobengebaeude.