Wenn Papa und Mama zu viel trinken

Im Kino Orient in Wettingen haben vergangene Woche Fachpersonen und eine Betroffene über Kinder suchtkranker Eltern diskutiert.

Podiumsdiskussion im Kino Orient <em>mit Rudolf von Moos, Helen Frei und Moderatorin Denise Germann (v.l.). (Barbara Scherer)</em>
Podiumsdiskussion im Kino Orient <em>mit Rudolf von Moos, Helen Frei und Moderatorin Denise Germann (v.l.). (Barbara Scherer)</em>

Viel Bier habe sie getrunken, sagt der kleine «Zucchini» als er nach dem Tod seiner Mutter ins Heim kommt. Mit dem Animationsfilm «Ma vie de Courgette» startete vergangene Woche der Abend zum Thema Kinder von suchtkranken Eltern. 46 Personen fanden dafür ihren Weg ins Kino Orient in Wettingen.

Nur wenige verliessen den Saal nach dem Film, denn anschliessend sprachen drei Fachpersonen und eine Betroffene in einer Podiumsdiskussion über die Thematik. Im Rahmen der Aktionswoche für «Kinder von suchtkranken Eltern» organisierte die Beratungsstelle BZB Plus in Baden zusammen mit der Suchthilfe ags den Anlass.

«Der Film hat gut gezeigt, wie Kinder von suchtkranken Eltern schon früh Verantwortung übernehmen müssen», sagt Rolf von Moos, Gesamtleiter des Kinderheims Brugg. Kommen sie zu ihm, müssen Kinder dann erst wieder das Kindsein erlernen.

Wie ein Gefangener

«Betroffene Jugendliche und Kinder stehen oft in einem Loyalitätskonflikt», so von Moos. Eltern sind Eltern, die Geborgenheit und Vertrauen spenden sollten, doch die Sucht verunmöglicht dies.

Sich mitteilen möchten die meisten aber auch nicht. «Man fühlt sich wie ein Gefangener», sagt Jasmin*. Sie ist selbst mit einer alkoholkranken Mutter aufgewachsen und kennt den inneren Zwist nur allzu gut.

Das Problem ansprechen, das sei die Aufgabe der Erwachsenen, wie Helen Frei, Psychotherapeutin und Beraterin der Suchtberatung ags, sagt: «Denn Kinder haben in dieser Situation Angst, dass sie etwas falsch gemacht haben.»

Doch an der Liebe mangle es abhängigen Eltern nicht. «Das Problem ist, dass suchtkranke Eltern ihre Zuneigung oftmals nicht ausdrücken können», so Frei.

Erwachsene müssen über Suchtkrankheit reden

Auch Jasmin hätte sich gewünscht, dass jemand aus der Verwandtschaft die Sucht ihrer Mutter angesprochen hätte. «Ich glaube, wenn mir früher erklärt worden wäre, dass meine Mutter krank ist, hätte ich diese Verantwortung auch nicht so sehr übernommen.»

Ist jemand suchtkrank oder scheint es zu sein, können sich Angehörige und Bekannte an Beratungsstellen wenden: «Bei der Suchtberatungsstelle ags können sich Angehörige anonym informieren und beraten lassen», sagt Helen Frei.

Auch der Sozialdienst jeder Gemeinde sei eine mögliche Anlaufstelle, fügt Bettina Meyer, Sozialarbeiterin und Juristin bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), an: «Bei Verdachtsfällen können sich Leute auch an die Kinderschutzgruppe wenden.»

Kinder gingen bisher in der Fachwelt unter

Von Amtswegen eingreifen müssen nur Personen wie Lehrer und Sozialarbeiter. «Ist das Kindswohl gefährdet und sind alle Versuche, mit den Eltern eine Lösung zu finden, gescheitert, kommen wir ins Spiel», erklärt Meyer. Dann werde sofort ein Verfahren eröffnet.

Wenden sich suchtkranke Eltern von sich aus an eine Beratungsstelle, sei es wichtig, dass die Fachpersonen sich nach den Kindern erkundigen: «Wir müssen den Kindern suchtkranker Eltern eine Stimme gehen, denn lange Zeit gingen sie auch in der Fachwelt unter», sagt Helen Frei.

Im Publikum traf die Podiumsdiskussion einen wunden Punkt. Zwei Frauen in den vorderen Reihen nicken zustimmend: Sie sind Schwestern und beide ihre Eltern waren alkoholkrank. Zwei junge Frauen in der hinteren Reihe sind nicht selbst betroffen, wollten aber mehr zum Thema wissen.

Angehörige suchen oft Rat

«Es ist schön, zu sehen, wie viele Leute heute aufgetaucht sind», sagt Sharon Katz, stellvertretende Geschäftsleiterin von BZB Plus. Viele Leute würden gerne mehr zum Thema wissen oder sich Rat suchen, weil jemand in der Familie suchtkrank ist.

«Aber viele haben Angst, wenn sie an so eine Veranstaltung kommen, dass man meinen könnte, sie seien selbst betroffen», so Katz.

Suchtkrankheit sei noch immer ein Tabu. Oft hätten Laien auch starke Vorurteile und sähen die Abhängigkeit nicht als Krankheit an. Katz: «Dann heisst es: ‹Hör doch auf, wenn du nicht mehr willst.›» Doch so einfach ist es nicht: Sucht ist eine Krankheit, die als solche behandelt werden muss.

 

Hilfe und Beratung in der Region bietet das BZB Plus, Mellingerstrasse 30, 5400 Baden, Tel. 056 200 55 77.

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