Der Tod ist für sie kein Tabu: «Ich will nicht, dass jemand alleine gehen muss»

Tanja Meier leitet das Bestattungsamt in Wettingen. Sie wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem Tod.

Tanja Meier <em>weiss, dass der Tod zum Leben dazugehört und wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem Thema. (Barbara Scherer)</em>
Tanja Meier <em>weiss, dass der Tod zum Leben dazugehört und wünscht sich einen offeneren Umgang mit dem Thema. (Barbara Scherer)</em>

Das Büro von Tanja Meier ist hell und freundlich. Eine Engelsfigur und zwei Bilder in dunklen Rahmen lassen erahnen, dass viele Menschen diesen Raum schwermütig betreten: Tanja Meier leitet seit zwei Jahren das Bestattungsamt im Gemeindehaus Wettingen.

Die 46-Jährige sitzt aufrecht an ihrem Tisch und lächelt. «Ich habe keine Berührungsängste mit dem Tod.» Tanja Meier faltet die Hände vor sich auf dem Tisch und blickt nachdenklich in die Ferne.

Sie wünsche sich einen offeneren Umgang mit dem Tod. Denn das Sterben sei ein Tabuthema in unserer Gesellschaft und es werde nicht darüber gesprochen. «Angehörige wissen oft nicht, was der oder die Verstorbene sich für ein Begräbnis gewünscht hätte.» Deshalb hält Tanja Meier die Eröffnungsrede des Vortrags «7 Dinge, die Sie vor dem Todesfall vorbereiten sollten» in Wettingen.

Bestattungswunsch kann festgehalten werden

Das Thema liege ihr am Herzen. Tanja Meier holt ein Formular aus dem Aktenschrank hinter sich: Darauf kann ein Bestattungswunsch festgehalten werden. «Wenn die Leute nicht mit ihren Angehörigen und Freunden über den Tod sprechen können, sollten sie dieses Formular ausfüllen.»

Denn stirbt eine Person, muss ihr Tod spätestens 48 Stunden danach bei der Gemeinde gemeldet werden. Tanja Meier ist die erste Anlaufstelle. «Viele Menschen, die zu mir kommen, stehen noch unter Schock und sind überfordert mit der Situation.» Hat der Verstorbene im Voraus geäussert, wie er oder sie begraben werden möchte, könne dies die Angehörigen entlasten.

Doch muss immer alles nach dem Willen des Toten gehen? «Man kann niemanden zwingen, einen Wunsch zu erfüllen», sagt Meier. Sie lehnt sich in ihrem Stuhl etwas zurück und legt die Hände auf den Tisch: «Ich habe es auch schon erlebt, dass Angehörige sich ein Grab wünschten, doch die Verstorbene ihre Asche verstreuen wollte.»

Das Sterben gehört zum Leben

Berührungsängste mit dem Tod hat Tanja Meier keine. Sie habe durch den Tod ihrer Mutter gemerkt, dass «das Sterben zum Leben dazugehört». Von der Trauer der Angehörigen könne sie sich zudem gut abgrenzen; sie nehme das Leid nicht an. «Ich bin eindeutig gemacht für diesen Beruf», sagt Meier und schmunzelt.

Und das, obwohl die gebürtige Aarauerin privat lange nicht mit dem Tod konfrontiert war. «Als Teenager war der Friedhof sogar der absolute Horror für mich.»

Sie absolvierte eine Handelsschule und begann auf dem Migrationsamt Aarau zu arbeiten. Erst vor zwei Jahren zog es Tanja Meier in eine andere Richtung: «Nach jahrelanger Tätigkeit im Migrationsbereich wollte ich etwas anderes machen.»

In der gleichen Zeit verstarb ihre Mutter nach langer Krankheit und: «Ich habe die Stelle in Wettingen gesehen und habe mich sofort beworben.»

Mitfühlend sein und dabei sachlich bleiben

Durchatmen müsse sie trotzdem immer wieder mal: «Einmal musste ich an einem Tag elf Todesfälle regeln und hatte sechs Gespräche mit Angehörigen, das war zu viel», sagt Meier und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

In solchen Fällen den Überblick über die Feinheiten der einzelnen Gespräche zu behalten, sei nicht einfach. «Und mir ist wichtig, dass ich mitfühlend bleibe und zugleich sachlich informiere.»

Lange habe sie sich auch vor Todesfällen von Kindern gefürchtet. Doch: «Im letzten Jahr hatte ich einige Fälle sogar mit Babys und ich konnte auch damit umgehen», sagt Meier und blickt ernst vor sich auf den Tisch.

Vielleicht liege es daran, dass sie selbst keine Kinder habe. «Ich glaube, es ist auch ein Charakterzug von mir, dass ich mich so gut abgrenzen kann von fremdem Leid.»

Niemand muss alleine gehen

Gleichgültig und kühl ist die Sachbearbeiterin deshalb aber nicht: Wird jemand beerdigt, der keine Angehörigen hat, geht Tanja Meier freiwillig an die Bestattung. «Ich will einfach nicht, dass jemand alleine gehen muss.»

Ihr Engagement stösst auch bei der Wettinger Bevölkerung auf Zustimmung. Immer wieder erhalte sie Blumen oder Schokolade als Dankeschön nach Beratungsgesprächen: «Das ist sehr schön.»

Nur mit dem Tod muss sich Tanja Meier aber nicht beschäftigen. Neben dem Bestattungsamt kümmert sie sich auch um den Einwohnerrat und leitet die Kurse «Deutsch für Mütter». Tanja Meier lächelt zufrieden und sagt: «Mein Job hier auf der Kanzlei ist interessant und sehr abwechslungsreich.»

Vortrag «7 Dinge, die Sie vor dem Todesfall vorbereiten müssen», 22. Februar 2019, 14.30 Uhr, im reformierten Kirchgemeindehaus Wettingen.

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