In drei Wochen einen Entzug machen

Vor zwanzig Jahren wurde die Klinik für Suchtmedizin – damals Entzugsstation «Wendezeit» genannt – an der Zürcherstrasse eröffnet. Ein Blick hinter die Kulissen.

Peter Ackle (l.) und Christian Kalt vor dem Haus der Klinik für Suchtmedizin in Neuenhof.Foto: bär
Peter Ackle (l.) und Christian Kalt vor dem Haus der Klinik für Suchtmedizin in Neuenhof.Foto: bär

Montagnachmittag in der Klinik für Suchtmedizin an der Zürcherstrasse 52 in Neuenhof. Das Gebäude scheint leer zu sein. Der Pool im Garten ist zugedeckt und wird im Herbst wieder weggeräumt, wie Christian Kalt, Bereichsleiter Therapie, bemerkt. Der Rasen vor dem Basketballkorb ist abgetreten. Auf der Terrasse hat es einen Ping-Pong-Tisch und ein Badmintonnetz, im Keller einen kleinen Fitnessraum. «Sport ist hier besonders wichtig. Er dient zum Ausgleich und um sich während des Entzugs abzureagieren», weiss Kalt.

Mit Büschen und Zäunen ist das Grundstück gegen aussen abgegrenzt. Die Klienten dürfen das Areal nur in Begleitung von einem der 20 Mitarbeitenden verlassen. Zu gross ist die Gefahr, dass sich ein Patient von der Sucht leiten lässt und wieder zu Drogen greift. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen. Pro Jahr schliessen 86 Prozent der jährlich 200 bis 250 Patienten den dreiwöchigen Aufenthalt regulär ab, das ist ein Drittel mehr, als bei Entzugskliniken üblich ist. «Vielleicht kommen bei uns Abbrüche weniger vor, weil die Bewohner freiwillig kommen und wir uns im Vorgespräch über ihre Motivationsgründe informieren und ihnen unsere Regeln bekannt geben.» Etwa die Regel, dass sie sich zwischen 22 und 6 Uhr im Haus aufhalten müssen, Ämtli haben und immer wieder auf Drogen getestet werden. «Diese Massnahme dient der Qualitätssicherung», sagt Peter Ackle, ärztlicher Leiter der Klinik.

Der Entzug dauert in der Regel drei Wochen, danach sind die Patienten «entgiftet», verlassen die Klinik in Neuenhof und sind in der Lage, eine weiterführende ambulante oder stationäre Therapie anzutreten.

Die Tage in Neuenhof sind klar strukturiert: Um 7 Uhr werden die Patienten geweckt, eine Viertelstunde später gibt es Frühstück. Nach der anschliessenden Medikamentenabgabe – der Entzug wird dadurch erleichtert, ein kleiner Teil der Patienten macht einen Entzug von Heroin zu Methadon – kümmern sie sich um Ordnung in ihrem Zimmer und im Haus und machen danach einen gemeinsamen, halbstündigen Spaziergang in Begleitung der Betreuer. Nach einer viertelstündigen Pause stehen Gruppengespräche, Therapien oder Sport in der Turnhalle an. Nach dem Mittagessen, Medikamentenabgabe und einer Pause geht es um halb zwei mit Therapie, Sport oder einer Gruppenaktivität weiter.

An diesem Montagnachmittag haben sich alle Bewohner im Dachgeschoss zur Gruppentherapie unter der Anleitung einer Psychologin und eines Psychologen versammelt. «Dabei geht es nicht darum, einzelne Geschichten zu beleuchten, sondern sich über das Wohlbefinden auszutauschen und von Erfahrungen zu berichten. Der Rat eines Bewohners, der gerade den Entzug geschafft hat, kann jemanden, der noch mittendrin steckt, sehr ermutigen», weiss Kalt. Während an der Gruppentherapie alle Bewohner teilnehmen, sind die Wohnräume unterteilt: Im Erdgeschoss wohnen die Minderjährigen, im ersten Stock Erwachsene während des Entzugs und im 2. Stock jene Erwachsene, die den Entzug geschafft haben.

Nach der Gruppentherapie beginnt ein Teil der rund zwölfBewohner zu kochen, die anderen haben Freizeit. Das anschliessende Nachtessen wird gemeinsam eingenommen, danach erhalten sie wieder Medikamente und sie dürfen eine Stunde lang telefonieren. Bis Mitternacht – am Wochenende bis um ein Uhr – haben die Bewohner frei, dürfen TV schauen, Sport oder Spiele machen. «Einerseits herrscht eine klare Struktur, was den Menschen mit Suchtproblemen vorher häufig fehlte. Andererseits hat es auch Pausen, in denen sie lernen, mit Langeweile umzugehen», sagt Kalt, der seit 14 Jahren als Therapeut in Neuenhof arbeitet. Er ist überzeugt, dass sich die Arbeit lohnt, auch wenn die meisten der Patienten mehrere Anläufe brauchen, um der Sucht zu entkommen und es rund ein Drittel nie ganz schafft. «Es geht um Menschen und es ist wichtig, dass sie beim Ausstieg aus der Sucht unterstützt werden.»

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