Dieser 99-Jährige war einer der ersten Penizillin-Patienten in der Schweiz

Bernhard Scherer ist mit 99 Jahren der älteste Killwangener und hat den zweiten Weltkrieg und die Einführung neuer Medikamente miterlebt.

Bernhard Scherer (99) lebt noch in seinem Haus in Killwangen. (Barbara Scherer)
Bernhard Scherer (99) lebt noch in seinem Haus in Killwangen. (Barbara Scherer)

Gemütlich sitzt er in einem der Sesselstühle neben dem Sofa. Doch für ein Interview begibt sich Bernhard Scherer gerne an den dunklen Holztisch. Weit gehen könne er nicht mehr, doch ein paar Schritte durchs Haus, das ist kein Problem: Der Rentner ist geistig und körperlich erstaunlich fit. Gestern hat er seinen 99. Geburtstag gefeiert.

«Ja, bis ich hundert bin, geht es jetzt auch keine zehn Jahre mehr», sagt Bernhard Scherer und schmunzelt verschmitzt. Seine älteste Tochter Vreni Wild stellt ihm eine heisse Tasse Kaffee hin und nimmt neben ihm am Tisch Platz.

Dann beginnt der Senior zu erzählen: Aufgewachsen ist Bernhard Scherer als Bauernkind in Killwangen. Der Fünfte von 13 Kindern war er – eine Grossfamilie halt.

Mit Pferd und Wagen durchs Dorf

Nicht einmal hundert Personen lebten damals in dem kleinen Dorf. «Ich kann mich noch daran erinnern, als es keine Autos auf der Strasse hatte», sagt Bernhard Scherer. Während er spricht, glänzen seine blauen Augen. Er erinnert sich gerne.

Mit Pferd und Wagen bewegten sich die Menschen vielerorts. Auch zu Hause waren die Tiere allgegenwärtig. So kam es, dass Bernhard Scherer eine Lehre als Huf- und Wagenschmied absolvierte.

Dann kam der Krieg. Der Killwangener leistete aktiv Militärdienst während dieser Jahre. «Ich weiss noch, als ich mich unter einem Wagen verstecken musste», sagt Bernhard Scherer und lächelt, «es hat Patronenhülsen von einer Flugabwehrkanone geregnet.»

Er hätte ja gerne einige der Hülsen behalten, doch sie wurden ihm alle weggenommen. Seine Tochter schüttelt den Kopf: «Er dachte in seinem jugendlichen Übermut, er könnte noch ein paar Patronenhülsen einstecken.»

Sein Arm wurde beinahe amputiert

1947: Das Jahr, als Bernhard Scherers Leben sich veränderte. Der Killwangener sah die zeitliche Veränderung kommen und bildete sich zum Bauschlosser weiter. Als er auf einem Gerüst tätig war, fiel er plötzlich aus drei Metern Höhe in die Tiefe. Unterwegs hängte sein linker Arm ein.

Die Folgen. ein tiefer Schnitt und mehrere gerissene Nervenstänge. «Kaum lag ich auf dem Boden, war mein ganzer Arm lahm.»

Im Spital hiess es dann: amputieren. In letzter Minute griff ein Chefarzt ein. Er wollte den Arm mit dem in der Schweiz neu eingeführten Medikament Penizillin behandeln.

Bernhard Scherer blickt kurz auf seinen Arm. Die Finger befinden sich in gekrümmter Position. «Sie haben mir alle vier Stunden davon gespritzt.» Und die Therapie schlug an, der Arm blieb dran.

Er musste einen neuen Weg finden

Doch in der Hand hatte Bernhard Scherer kein Gefühl mehr. Mit Elektrotherapie und mehreren Operationen versuchten die Ärzte alles, um wieder etwas Gefühl herzustellen.

Zwei Jahre lang dauerte die Therapie. «Das waren zwei lange Jahre. Ich fühlte mich in dieser Zeit oft nutzlos», sagt Bernhard Scherer. Er legt die rechte Hand auf seine kahle Stirn und blickt auf die Tischplatte. Es sei ein unnötiger Unfall gewesen.

Seine damalige Freundin und spätere Frau blieb an seiner Seite und ermutigte ihn, nicht aufzugeben: «Aus dieser Zeit habe ich einen starken Willen mitgenommen.» Schliesslich kehrte ein Teil des Gefühls in der Hand zurück. Doch seinen alten Beruf konnte Bernhard Scherer vergessen.

Vom Handwerker zum Kaufmann

So begann der Killwangener eine Handelsschule. In der Mitte der Ausbildung fand er eine Anstellung bei einer Versicherungsfirma und brach die Schule ab. Bis zu seiner Pension arbeitete er schliesslich als Versicherungsangestellter.

«Es war aber schwieriger, als es sich anhört, vom Handwerker zum Kaufmann zu werden», sagt Bernhard Scherer. Er streckt seinen linken Arm aus und legt die angeschlagenen Finger über die Tischkante.

Ein Hufeisen an der Wand in seinem Wintergarten erinnert noch immer an seinen alten Beruf. Denn sein Traum vor dem Unfall sei eine eigene Schmiede gewesen. «Davon habe ich gerne geträumt.» Bernhard Scherer lächelt. Doch es sollte nicht sein.

Reisen, seine neue Leidenschaft

Trotzdem habe er viele schöne Erinnerungen: Fünf Kinder hatte er zusammen mit seiner Frau. Diese verstarb nach 60 Jahren Ehe. Inzwischen ist Bernhard Scherer Grossvater von acht Enkeln und Urgrossvater von vier Urenkeln.

Zudem habe er seine Leidenschaft für das Reisen nach der Pension entdeckt. «Doch inzwischen kann ich nicht mehr lange und weit weg verreisen.»

Vreni Wild lacht: «Er beschwert sich immer, dass alle weggehen ausser ihm, also haben wir ihn ab und zu auf eine kurze Tour mitgenommen.» Bernhard Scherer blickt seine Tochter an: Nächstes Jahr werde er gerne wieder eine kurze Reise mit ihr unternehmen.

Er blickt auf die volle Kaffeetasse vor sich und schmunzelt: «Na, inzwischen ist der kalt geworden.»

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