«Der Abschied fällt schwer»

23 Jahre leitete Sander van Riemsdijk das Kinderheim Klösterli – morgen geht er ihn Pension.

Heimleiter Sander van Riemsdijk verlässt das Kinderheim Klösterli. Foto: bär
Heimleiter Sander van Riemsdijk verlässt das Kinderheim Klösterli. Foto: bär

«Der Abschied fällt mir schwer», gesteht Sander van Riemsdijk zehn Tage vor seiner Pensionierung. Zwar ist es nicht sein erster Abschied, war er doch als Sozialpädagoge in diversen Heimen tätig und leitete zuvor in Baselland ein Heim. Doch es sei der schwierigste Abschied – nicht nur, weil er in Pension geht. «Im ‹Klösterli› herrscht eine besonders gute Atmosphäre. Ich kann mir nicht erklären, was es ist. Es scheint, als gäbe es hier einen guten Geist.» Vielleicht, so der 65-Jährige, sei dieser Geist irgendwo eingemauert und komme aus den Zeiten, als das Heim noch von Nonnen geführt wurde, lacht der gebürtige Holländer, der mit seiner Frau in Baselland wohnt.

Als das Heim noch von Ordensschwestern geführt wurde, hatte der Sozialpädagoge durch eine Berufskollegin erste Kontakte mit dem «Klösterli». Beim Weggang der Schwestern im Jahr 1990 zog der Stiftungsrat van Riemsdijk in seine Überlegungen mit ein, das Kinderheim in ein Wohnheim für Mütter und Kinder umzuwandeln. Van Riemsdijk riet davon ab und empfahl, es als Heim für Kinder und Jugendliche, die auswärtige Schulen besuchen, weiterzuführen. Als dann zwei Jahre später der neue Heimleiter unerwartet starb, übernahm er die Leitung. Bereut hat er diesen Schritt nie. Im Gegenteil. «Es war zwar ein Beruf und keine Berufung, aber es war mehr als nur einen Job.»

In den 23 Jahren hat er die Entwicklung der Kinder begleitet – wenn als Heimleiter auch auf Distanz. Einzelschicksale sind ihm aber manchmal auch Jahre spä-ter noch präsent. Etwa der Anruf von der Kinderabteilung des Badener Spitals, die dringend einen Platz für ein Kleinkind suchten. Normalerweise folgt auf eine solche Anfrage vor der Aufnahmeeine Reihe administrativer Abklärungen. Erst wenn die Kostengutsprache erfolgt, kommt das Kind ins «Klösterli». Nicht so in diesem Fall. «Ich fuhr ohne nach dem Warum zu fragen ins Spital und holte das Kind ab.» Es wies am ganzen Körper Verletzungen auf. Noch heute lebt das Kind im «Klösterli». «Bei der Abschiedsfeier fragte es mich, ob ich mich noch daran erinnere, es abgeholt und es in seinen Augen damit gerettet zu haben. Solche Sachen berühren einen schon.»

Wie schafft man es, mit Eltern zusammenarbeiten, die ihr Kind so behandeln? «Man kocht innerlich und würde sie am liebsten zurechtweisen. Doch zum Wohl des Kindes bleibt man ruhig, direktiv und versucht, mit ihnen zusammenzuarbeiten», sagt der Pädagoge. Dabei helfe ihm das Wissen, dass es die Umstände der Eltern seien, etwa eine Sucht, Krankheit oder eine Scheidung, die zu solchen Taten führen würden. «Grundsätzlich wollen alle Eltern das Beste für ihr Kind und sie fühlen sich gelegentlich als Versager, wenn sie es nicht schaffen, selber für ihr Kind zu sorgen», so der Pädagoge.

Das Ziel beim Eintritt ins Heim sei deshalb von Anfang an die Rückplatzierung in die Familie. Das gelinge zwar nicht in jedem Fall, doch seien es jedes Jahr vier bis fünf Kinder, die aufs neue Schuljahr hin wieder heimkehren könnten. Ein wichtiger Punkt sei dabei die Arbeit mit den Eltern. «Wenn sich daheim nichts verändert, gelingt die Rückplatzierung nicht.»

Die emotionalen gespräche beim Heimeintritt haben den erfahrenen Pädagogen nicht kalt gelassen. Er ist überzeugt, dass bei einigen Jugendlichen eine vorübergehende Begleitung in der Familie eine Alternative zum konstanten Heimaufenthalt wäre. Das hat ihn dazu bewogen, anlog dem in Holland erfolgreichen System «family first» ein Konzept für eine Zwischenlösung zu entwickeln: Das Kind lebt wenn immer möglich zu Hause, kann aber im Notfall auf eine Wohngruppe im «Klösterli» zurückgreifen. Die Sozialpädagogen besuchen das Kind daheim und können so Stärken und Schwächen im Familiensystem erkennen und mit Eltern und Kind vor Ort pragmatische Lösungen erarbeiten. Mit der pädagogischen Unterstützung und der Ausweichmöglichkeit des «Klösterlis» soll die familiäre Familiensituation stabilisiert werden. Dieses Konzept der Familienarbeit vor Ort und flexiblen Platzierungsmöglichkeit im «Klösterli» wäre ein Alternative zum fixen Heimaufenthalt. «Selbstverständlich gibt es Kinder und Jugendliche, die einen fixen Platz brauchen», so van Riemsdijk. Vor acht Jahren hat er das Projekt – im «Klösterli» wird es Passerelle genannt – dem Kanton vorgestellt. «Sie waren begeistert, aus finanziellen Gründen können sie es aber nicht umsetzen.» Im Vergleich zum fixen Heimaufenthalt sei es zwar kostengünstiger, es passt aber nicht ins bestehende System. «Es werden nur fixe Heimaufenthalte vom Kanton finanziert», bedauert der Pädagoge. Frustriert ist van Riemsdijk deswegen nicht. «Wer weiss, vielleicht passt es irgendwann ins System und kann umgesetzt werden. Auch Politik ändert sich.» Sich als Pensionär auf politischer Ebene als Zugpferd dafür einsetzen will er aber nicht. Er hat andere Pläne: Er wird Präsident des Fördervereins Kindertagesklinik Liestal und schreibt als Freier Redaktor bei einer Zeitung in Baselland. Der Abschied im «Klösterli» ist somit auch ein Neuanfang.

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