Eine Wettinger Kleider-Ära geht zu Ende

Das Herrenmodegeschäft «Kleider Müller» schliesst Ende 2015 seine Tore.

Kurt Müller mit seiner Gattin Helga (l.) sowie zwei seiner Mitarbeiterinnen, Monika Lüthy und Franziska Nolle (v.l.).Foto: se
Kurt Müller mit seiner Gattin Helga (l.) sowie zwei seiner Mitarbeiterinnen, Monika Lüthy und Franziska Nolle (v.l.).Foto: se

«Man heiratet nicht, bevor man nicht bei ‹Kleider Müller› war.» Der Werbeslogan für das Herrenbekleidungsgeschäft auf Radio Argovia ist vielen aus der Region noch ein Begriff. Heiratswillige Männer, Anzugträger und modische Herren werden künftig anderswo Hemden, Jacketts und Smokings erstehen müssen. Der Herrenausstatter Kleider Müller stellt Ende Jahr seinen Betrieb ein. Das Traditionsunternehmen an der Landstrasse 48 prägte mehrere Generationen. Mit der Schliessung endet ein Stück Wettinger Geschichte.

Im April 1946 gründete das Ehepaar Elsa und Kurt Müller am selben Standort wie heute den Familienbetrieb Kleider Müller. Bereits der Vater von Kurt Müller, Karl Müller, besass eine Schneiderei. Er kaufte dem jungen Schneiderehepaar das Ladenlokal. 1950 brachen sie das «kleine Lädeli», wie es die 95-jährige Gründerin Elsa Müller nennt, ab. Während des zweijährigen Baus des «Kleider Müller»-Hauses brachte das Ehepaar Herrenbekleidung in einem Provisorium an der Staffelstrasse unter die Leute. 1952 bezogen sie dann das neue Gebäude, das über eine viel grössere Ladenfläche sowie sechs Wohnungen verfügte. Das Jahr 1952 stand für die Müllers unter einem guten Stern: Neben der Eröffnung ihres neu errichteten Geschäfts konnten sie sich über Nachwuchs freuen. Im Dezember 1952 wurde ihr Sohn, Kurt, der denselben Namen wie der Vater trägt, geboren.

Das Ehepaar lebte in einer Wohnung oberhalb des Ladens. «Zu Hause wurde nie über das Geschäft geredet», erinnert sich Elsa Müller. Sie wohnte mehr als 70 Jahre in derselben Wohnung im «Kleider Müller»-Haus, bis sie vor eineinhalb Jahren ins Alterszentrum St. Bernhard zog. «Es gehörte früher zu einem der grössten Häuser in Wettingen», sagt der jetzige Geschäftsinhaber und Sohn Kurt Müller.

Neben dem Verkauf von Herrenmode bot «Kleider Müller» damals zudem ein Atelier, das Massanfertigungen und Änderungen vornahm. «Um einen Massanzug herzustellen, brauchte es 60 Stunden», weiss Elsa Müller, die mit 26 Jahren der Liebe wegen nach Wettingen kam. «Das Geschäft hat mir viel bedeutet», sagt sie. Sogar mit knapp 96 kennt die gebürtige Laufenerin die Telefonnummer und die Daten der wichtigsten Veränderungen von «Kleider Müller» noch in- und auswendig.

1985 übergaben die Müllers das Geschäft ihrem einzigen Sohn Kurt. Er erweiterte das Sortiment, spezialisierte sich auf Hochzeitsmode und führte diverse Ladenbauten durch. Vor 15 Jahren fand der letzte gewichtige Umbau im 200 Quadratmeter grossen Laden statt. Im «Kleider Müller» gingen vor allem Businesskunden wie Büro-, Bank- und Aussendienstangestellte, Unternehmer und Architekten, die Kleider für die Arbeit kauften, ein und aus. An Hochzeitsmessen gewann das Geschäft Kunden aus der ganzen Schweiz. Nicht nur das Angebot, sondern auch die Zahl der Mitarbeiter vergrösserte sich im Laufe der Jahre. Die Eltern beschäftigten einen Schneider. Hinzu kamen weitere Mitarbeiter, Verkäufer und auch Lehrlinge. Kurt Müllers Ehefrau Helga arbeitete ebenso im Familienbetrieb, bis sie sich im Alter von 50 selbstständig machte. Noch heute erledigt sie Administratives und Finanzielles.

Wieso wird das Traditionsunternehmen nicht mehr weitergeführt? «Altershalber höre ich auf und gehe in Pension», sagt Kurt Müller. Er habe innerhalb der Familie und auch sonst nach langer Suche keine Nachfolge finden können. Aus diesem Grund vermietet er das Ladenlokal an den «Tschili Shoe Store» aus Niederlenz. Das Fachgeschäft eröffnet Anfang März eine zweite Filiale an der Landstrasse.

Kurt Müller beendet den Betrieb nach 70-jährigem Bestehen mit gemischten Gefühlen: «Das Geschäft wird mir fehlen. Vor allem den Kontakt zu den Kunden werde ich vermissen.» Er habe unendlich viele Leute kennengelernt. «Aus Kunden wurden Freunde und Bekannte», sagt Müller. Gleichzeitig freut er sich auf mehr Freizeit. «Ich freue mich darauf, Dinge zu tun, für die ich bisher zu wenig Zeit oder Energie hatte.» So will der 63-Jährige mehr Ausstellungen, Messen sowie das Bundeshaus in Bern besuchen. Er zieht nach vier Jahrzehnten im Dienst des Familienbetriebs eine positive Bilanz: «Jedes Jahr konnten wir unseren Umsatz mit der Hochzeitsmode steigern. Ich bin froh, dass das Geschäft so lange so gut funktioniert hat. Als ich es von meinen Eltern übernommen hatte, habe ich nicht gewusst, was mich erwarten wird.» Er wünsche allen Unternehmern an der Landstrasse, dass sie auch in Zukunft 40 Jahre lang gute Geschäfte machen können. Auch wenn Müller sein Geschäft am 24. Dezember endgültig schliesst, ist ihm klar, dass er, wenn er durchs Dorf läuft, für die Wettinger immer noch «Herr Müller vom ‹Kleider Müller›» sein wird.

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