«Man hat ihm sogar mehrmals davon abgeraten»

In einem Fernsehbeitrag der Sendung «Kassensturz» wurde der Gemeinde Spreitenbach vorgeworfen, Sozialhilfe zu verweigern. Gemeindepräsident Valentin Schmid dementiert.

Gemeindepräsident Valentin Schmid schaut sich in seinem Büro nochmals den TV-Bericht an. Foto: bär
Gemeindepräsident Valentin Schmid schaut sich in seinem Büro nochmals den TV-Bericht an. Foto: bär

Hat der vergangene Woche ausgestrahlte Fernsehbeitrag in der Sendung «Kassensturz» Reaktionen in Spreitenbach ausgelöst? Valentin Schmid, Gemeindepräsident: Es hielt sich im Rahmen. Wir bekamen rund dreissig Mails, Briefe und Telefonate. Zwei, drei unterstützten unsere Meinung, die meisten fanden jedoch, es sei eine Frechheit, einem alten Mann Geld wegzunehmen. Einige Reaktionen waren unter der Gürtellinie, ich wurde teilweise arg beschimpft.

Können Sie diese Reaktionen nachvollziehen? Ja, wenn ich nur den tendenziösen Kassensturz-Bericht gesehen hätte, würde ich vielleicht genauso urteilen.

Wieso?Die Aussagen von Hans M. wurden als bare Münze genommen. Es wurden viele Hintergrundinfos aus unserer Gemeinde weggelassen. Im 14-minütigen Bericht kam die Gemeinde in einem rund 2-minütigen Beitrag zu Wort. Es wurde gesagt, wir hätten von Hans M. verlangt, dass er sich das Pensionskassenkapital auszahlen lassen soll. Das haben wir nicht. Der Sozialdienst hat ihm sogar mehrmals empfohlen, sich das Geld nicht auszahlen zu lassen.

Wie kam es dazu? Hans M. kam vor etwas mehr als einem Jahr auf den Sozialdienst. Er sagte, er wolle Sozialhilfe beziehen, um damit seinen Lebensunterhalt zu decken. Weiter sagte er, er wolle sich sein Pensionskassengeld auf sein Sparkonto auszahlen lassen, um damit Ausgaben zu decken, die über dem Existenzminimum liegen, seine Wünsche sozusagen. Der Sozialdienst hat ihn informiert, dass dies gesetzlich nicht möglich ist.

Warum ist das nicht möglich? Sobald man sich Pensionskassengeld auszahlen lässt, gilt es als liquides Mittel. Man hat dann wieder Vermögen und somit keinen Anspruch mehr auf Sozialhilfe. Zudem wird bei einer Kapitalzahlung geprüft, ob man noch andere Schulden hat, die beglichen werden müssen. Auch darüber informierte ihn der Sozialdienst. Es gab mehrere Besprechungen und Telefonate. Der Sozialdienst riet ihm, sich sein Pensionskassengeld nicht auszahlen zu lassen und stattdessen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen. Doch er blieb dabei und sagte, er wolle sich das Pensionskassengeld trotzdem auszahlen lassen. Er wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Finanzverwaltung darüber informiert werde, dass er sich das Pensionskassengeld auszahlen lassen will.

Wie kam der Betrag von knapp 60000 Franken zustande, der im Abtretungsvertrag gefordert wurde? Die Sozialen Dienste, an die er sich am Anfang gewendet hat, wissen nicht, was er der Gemeinde schuldet, sondern machen aufgrund der letzten Zahlung einen Rückzahlungsvorschlag. Als dann klar wurde, dass er sich sein Pensionskassengeld auszahlen lassen will, wurde das Finanzamt eingeschaltet. Dort wurde aufgerechnet, was er der Gemeinde für ausstehende Beträge und Rückerstattungsbeiträge für bezogene Sozialgelder schuldet. Man schaute, was er zum Leben braucht, nahm sogar einen Betrag, der über dem Existenzminimum lag, und rechnete das auf. So kam man auf den im Abtretungsvertrag festgelegten Beitrag von knapp 60000 Franken. Diesen Vertrag hat er am 11. April 2014 unterschrieben. Sein Pensionsgeld hat er sich am 13. Mai auszahlen lassen. Am 30. Juni haben wir ihm eine Sicherstellungsverfügung zugestellt. Erst ab diesem Zeitpunkt können wir als Gemeinde das Geld einfordern.

Im Fernsehbeitrag wird eine ganz andere Sicht dargestellt: Hans M. behauptete, er sei unter Druck gesetzt worden, den Vertrag zu unterzeichnen, man habe ihm mit der Einleitung der Beitreibung gedroht. Stimmt das? Nein, das stimmt nicht. Im Gegenteil, man hat ihm mehrmals davon abgeraten, das Pensionskassengeld zu beziehen. Er hat aber gegenüber mehreren Personen in der Finanzverwaltung, dem Sozialdienst sowie gegenüber dem Vizepräsidenten geäussert, er wolle alle seine Schulden zurückzahlen.

Haben Sie Hans M. eine schriftliche Erklärung unterschreiben lassen, dass sie ihm empfehlen, sich sein Pensionskassengeld nicht auszahlen zu lassen und er sein Pensionskassengeld freiwillig auszahlen lassen will, um seine Schulden zu begleichen? Nein, leider nicht. Die Gespräche zwischen Hans M. und dem Sozialdienst sind im Nachhinein in einem Gesprächsprotokoll festgehalten worden. Die Gespräche mit dem Finanzamt wurden schriftlich festgehalten. Wir werden uns überlegen, ob wir das in Zukunft sofort machen und auch unterschreiben lassen werden.

Von Gesetzes wegen kann und soll eine Gemeinde Sozialschulden zurückfordern, sofern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse so weit gebessert haben, dass dies zumutbar ist. Ist es in diesem Fall zumutbar? Es ist aargauische Praxis, andere Gemeinden handhaben das genau gleich. Aus der letzten Rechnung der Gemeinde war ersichtlich, dass den 18 Millionen Steuereinnahmen rund 7,5 Mio. Franken Ausgaben für Sozialhilfe gegenüberstehen. In Spreitenbach werden also 42 Prozent der Steuereinnahmen für Kosten im Bereich Sozialhilfe ausgegeben. Ich sehe mich deshalb als Gemeindepräsident dazu verpflichtet, dass auch mit dem Sozialhilfegeld sorgfältig umgegangen wird: Die berechtigte Sozialhilfe soll korrekt ausbezahlt werden, im Gegenzug aber auch die Rückforderungen geprüft und gestellt werden. So sieht es die Gesetzgebung vor, und das sind wir unseren Steuerzahlern schuldig, die das ja schlussendlich zahlen.

Sehen Sie denn eine Möglichkeit, wie Hans M. verhindern kann, nach Aufbrauch des Pensionskassengeldes wieder zum Sozialfall zu werden? Grundsätzlich hat das Finanzamt nur so viel Geld von ihm gefordert, dass es zum Leben reicht, bis Hans M. AHV beziehen kann.

Im «Kassensturz» empfahl der Professor für Sozialversicherungsrecht, Ueli Kieser, der Gemeinde Spreitenbach, Hans M. einen Teil zurückzuzahlen. Werden Sie das tun? Aus seiner Aussage, nur einen Teil zurückzuzahlen, schliesse ich, dass er weiss, dass wir gesetzlich korrekt gehandelt haben und es Goodwill wäre. Davon sehe ich aufgrund von weiteren Hintergrundinfos, die ich von Amtsgeheimnis wegen nicht nennen darf, jedoch ab.

Ziehen Sie Konsequenzen aus dem Fall? Grundsätzlich werden wir uns überlegen, ob wir künftig mehr Gespräche protokollieren und durch eine Unterschrift bestätigen lassen sollen. Dabei gilt es jedoch, den grossen administrativen Aufwand abzuwägen, der dann anfallen würde und wiederum vom Steuerzahler berappt werden müsste.

 

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