«Ich hoffe, dass die Bevölkerung kein falsches Bild hat»

Nach der Brandserie und der Festnahme eines Tatverdächtigen aus den eigenen Reihen: Die Feuerwehrleute trafen sich zur ersten Einsatzübung. Ein Augenschein vor Ort.

Vizeammann Petra Kuster Gerny nach der Einsatzübung im Feuerwehrkommando. (Melanie Bär)
Vizeammann Petra Kuster Gerny nach der Einsatzübung im Feuerwehrkommando. (Melanie Bär)

Vergangene Woche am Dienstagabend. An der Strasseneinmündung Limmatstrasse Richtung Hardstrasse regeln Feuerwehrmänner den Verkehr. Ihre Kollegen retten im Pavillon der Schule Kinder aus den Schulzimmern und löschen einen Brand.

Gegen neun Uhr kehren die ersten Feuerwehrmänner ins Feuerwehrmagazin zurück. Um zwanzig vor zehn sind auch die Letzten vom Einsatz zurückgekehrt.

Für einmal war das Szenario nicht ernst, sondern eine Übung: Kommandant Daniel Burger ergreift das Wort und will wissen, ob es noch irgendwelche Unklarheiten zur Einsatzübung gebe.

Für die meisten ist es der erste Einsatz nach der verheerenden Brandserie und somit auch das erste Wiedertreffen mit einem Grossteil des Korps. 55 der 76 Feuerwehrleute haben an der Übung teilgenommen. «Ein Rekord», sagt Kommandant Burger und bedankt sich bei der Mannschaft für den Einsatz.

Feuerwehrleute unterstützen einander

Ein Zufall ist es wohl nicht, dass so viele Korpsangehörige an der Übung teilnahmen. Schliesslich war es für sie auch eine Gelegenheit, die vergangenen Wochen mit den eigenen Kameraden zu verarbeiten.

Vizeammann Petra Kuster Gerny bot der Mannschaft Unterstützung an: «Wir wollen euch nichts aufzwingen, aber wenn jemand Unterstützung braucht, soll er auf uns zukommen. Wir werden alles Menschenmögliche tun und euch zur Seite stehen.»

Daniel Burger doppelte nach: «Wir dürfen zwar nicht mit Aussenstehenden über den Fall reden, aber untereinander dürfen, ja sollen wir sogar über das Erlebte sprechen.»

Gelegenheit dazu bot sich nach Übungsende beim Umtrunk im Aufenthaltsraum des Feuerwehrmagazins. Petra Kuster Gerny spendierte an diesem Abend die Getränke. Fast alle nehmen das Angebot dankend an.

«Ich hatte mit den Bildern zu kämpfen»

Auf den Tischen stehen vier Kuchen, einer der Männer hat Geburtstag, und schon singen ihm alle ein Happy Birthday. Die Stimmung im Pausenraum ist locker, im Hintergrund läuft die Wiederholung der ersten Folge der neuen Bachelor-Staffel und später ein Fussballspiel.

Täuscht es oder haben die Feuerwehrleute die Brandserie und die Meldung vom «Blick», dass es sich beim Tatverdächtigen um einen Feuerwehrmann aus den eigenen Reihen handelt, schon verarbeitet? «Ich hatte am Anfang mit den Bildern zu kämpfen», sagt Thierry Engel.

Die Gesichter der Anwohner, die sie aus ihren Wohnungen retteten, gingen ihm am Anfang nicht aus dem Kopf. Er leistet seit einem Jahr Feuerwehreinsatz und stand bei der Brandlöschung der Hofmattstrasse 10 im Einsatz.

Miteinander darüber reden

Auch Marc Voser, der die Brände in der Hundeschule und der Webermühle löschte, konnte nach den Einsätzen nicht sofort abschalten: «Ich kam um drei Uhr nachts heim, wusste, dass ich schlafen sollte, weil ich am Morgen wieder arbeiten musste, und konnte trotzdem nicht gleich einschlafen.»

Geholfen hat ihm, den Einsatz gedanklich nochmals durchzugehen und sich zu überlegen, ob er etwas hätte anders, besser machen können.

Francesco Silletta hilft es, mit anderen Feuerwehrkollegen darüber zu reden: «Ich habe das Glück, dass viele meiner Familienmitglieder in der Feuerwehr aktiv sind und sich gegenseitig aussprechen und zuhören.»

Feuerwehrleute hinterfragen sich

Ein offenes Ohr haben auch Kuster und Burger. An diesem Abend seien mehrere Männer zu ihnen gekommen, die sich hinterfragen und wissen wollten, ob sie richtig gehandelt haben.

Diese Frage hat sich auch Feuerwehrmann Raoul Pfänder gestellt. Er ist ein alter Hase und seit über dreissig Jahren im Feuerwehrkorps tätig. Er hat auch schon erlebt, dass der Brandstifter ein Feuerwehrmann war.

«Dieses Risiko besteht. Und natürlich belastet das ein Korps. Man fragt sich, ob man es nicht hätte vorhersehen, es hätte verhindern können.» Er sei überzeugt, dass im Fall Neuenhof aus Feuerwehrsicht nichts hätte anders gemacht werden können. «Denn man sieht nicht hinter die Fassade von Menschen.» Wichtig sei eine gute Nachbesprechung.

Das sieht auch Kommandant Burger so. Weil es sich jedoch um ein laufendes Verfahren handelt, in das er aufgrund seiner Funktion als Kommandant involviert ist, habe er nicht informieren dürfen. Auch an der Einsatzübung vergangene Woche durfte er nicht mehr zu den Brandfällen sagen. Er bot aber seine Hilfe bei der Aufarbeitung an.

Informiert aus den Medien

Die meisten Feuerwehrleute haben deshalb aus den Medien von den aktuellsten Entwicklungen erfahren. «Ich wollte zuerst gar nicht glauben, was ich in den Medien las», sagt Thierry Engel.

Auch Thomas Steffen sei schockiert gewesen, als er das Foto des Tatverdächtigen Viktor T. im «Blick» sah. «Ich kam mir ein bisschen betrogen vor, als ich aus der Presse erfuhr, dass es ein Mann aus unserem Korps sein soll», sagt Francesco Silletta.

Die Feuerwehrleute seien nach den Presseberichten vom Umfeld auch darauf angesprochen worden. «Doch wir wissen ja gar nicht mehr, als in der Presse stand, und deshalb konnten wir auch gar nichts dazu sagen», so Marc Voser.

Nicht lange Mitglied bei der Feuerwehr

Innerhalb der Feuerwehr herrsche ein familiäres Verhältnis und man schaue füreinander. Trotz Schock herrsche relativ normale Stimmung. «Anders wäre es wohl gewesen, wenn es ein langjähriges, ranghohes Feuerwehrmitglied gewesen wäre, zu dem wir einen engeren Bezug gehabt hätte», so Silletta.

Wie im «Blick» stand, war der tatverdächtige Viktor T. erst seit einem Jahr als Feuerwehrmann in Neuenhof aktiv. Viele haben ihn nur flüchtig gekannt. So auch Voser, der nicht direkt mit ihm zu tun hatte. «Ich hoffe, dass die Bevölkerung nun kein falsches Bild von uns hat», sagt Engel. Auftrag eines jeden Feuerwehrangehörigen sei es schliesslich, der Bevölkerung zu dienen.

«Wenn wir ausrücken, überlegen wir auch nicht, wie es zum Brand kam, sondern wie wir Menschenleben retten, den Brand löschen und wie das Team den Einsatz unverletzt übersteht», so Thomas Steffen.

Bisher nur ein Tatverdächtiger

Verständnis für eine solche Tat hat deshalb niemand. Auch wenn Kuster nach der Übung darauf hinwies: «Es steht immer ein Mensch dahinter und solange die Person nicht verurteilt ist, ist es lediglich ein Tatverdächtiger, auch wenn er geständig ist.»

Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde am Obergericht eingereicht.

Sie will, dass der Geständige auch weiterhin in Untersuchungshaft bleibt und nicht, wie vom Zwangsmassnahmengericht gefordert, aus der U-Haft freigelassen wird. Bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses war diese Beschwerde noch hängig.

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