Staubsauger statt Zylinder: Mein Tag als Kaminfeger

Die Limmatwelle-Redaktorin hat einen Tag als Kaminfeger verbracht: Ihr Bild des «Chämifägers» hat sich danach stark verändert. Eine Selbstreportage.

Daniel Knöpfel mit dem traditionellen Zylinder.Fotos: Barbara Scherer/Tamara Bucher

Daniel Knöpfel mit dem traditionellen Zylinder.Fotos: Barbara Scherer/Tamara Bucher

Tamara Bucher konzentriert bei der Arbeit.

Tamara Bucher konzentriert bei der Arbeit.

Auch die Reporterin Barbara Scherer musste Hand anlegen.

Auch die Reporterin Barbara Scherer musste Hand anlegen.

Die Strassenlampen brennen noch. Es ist kalt. Kurz vor sieben: nicht gerade meine Zeit. Ich stehe etwas ratlos vor dem offenen Garagentor der Knöpfel GmbH in Neuenhof. Heute verbringe ich meinen Tag als Kaminfegerin – sollte ich den Eingang zur Werkstatt finden. Ich gehe einmal um das Gebäude. Nirgends brennt Licht. Ich zögere kurz, schliesslich betrete ich die Garage.

Die metallenen Gestelle sind voller Werkzeuge, Blachen und Behälter. Auf dem Boden stehen Kartonkisten. Da eine Tür: Drinnen sitzt das vierköpfige Team an einem Holztisch. Alle schwarz gekleidet, Kaffeetassen in der Hand.

Heute hefte ich mich Tamara Bucher an die Fersen; blonder Pferdeschwanz, sympathisches Lachen. Sie ist momentan die einzige Frau im Kaminfeger-Team.

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Daniel Knöpfel, der Geschäftsführer, kommt auf mich zu. Ob ich noch Arbeitskleider brauche? Ich blicke an mir herunter, schwarzes Shirt, schwarze Hose, alles ältere Stücke. Trotzdem, ich würde sie ungern wegwerfen. Schliesslich steht mir ein Tag voller Russstaub bevor. Oder? «Ja, dreckig kann es schon werden.»

Ich bekomme eine Latzhose in die Hand gedrückt: Schwer entzündbares Material – weniger beruhigend, als dass es klingt. Umziehen könne ich mich im oberen Stock. Sofort bemerke ich die Waschmaschine und die Dusche: Vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon durch den Kaminschacht kriechen.

Dann geht es los. Erster Auftrag ist eine Holzheizung in einem alten Einfamilienhaus. Knöpfel kommt auch mit. Ausnahmsweise: Es steht eine spezielle Kaminreinigung an. Sonst sind die Kaminfeger immer alleine unterwegs. Ich setzte mich mit Tamara in den Kleintransporter, Knöpfel folgt uns in seinem eigenen Auto. Jeder Kaminfeger hat sein eigenes Fahrzeug.

Der erste Auftrag

Zwischen mir und Tamara türmen sich Akten und Blätter. Sie scheint ihre Büroarbeit auf vier Rädern zu erledigen. Ich spare mir meine vielen Fragen noch etwas auf. Also unterhalten wir uns über den Verkehr. Noch sind die Strassen fast leer. Kurz nach sieben stehen wir vor einem alten Haus.

Tamara streckt mir ein paar Handschuhe hin. Gegen den Schmutz. Ich streife das raue Leder über und gähne heimlich – immer noch zu früh für mich. Während Tamara das Werkzeug aus dem Laster holt, stehe ich etwas verloren vor dem fremden Zuhause. Die Vögel zwitschern. Langsam drückt die Sonne durch die dicke Nebelschicht. Ob ich das mal halten kann? Natürlich.

Ich fühle mich wie ein Schnupperlehrling. Mit einem Industriestaubsauger in der Hand tapse ich hinter Tamara zur Haustür. Mal schauen, ob jemand wach ist. «Die Kunden vergessen manchmal den Termin», erklärt sie. Tamara schmunzelt und drückt den Klingelknopf. Drinnen geht das Licht an: Doch nicht vergessen.

Ein älterer Mann öffnet. Ja, ja, er hat uns erwartet. Seine Begeisterung hält sich jedoch in Grenzen. Etwas griesgrämig führt er uns in den oberen Stock – vielleicht ist es auch für ihn noch etwas zu früh.

Holzheizung, Ofen und die Kunstecke müssen gereinigt werden. Die Öffnung zur Holzheizung ist klein – wohl doch kein Ganzkörpereinsatz gefragt. Als Erstes legen wir Decken aus, es soll ja sauber bleiben. Tamara nimmt den berühmten Schornsteinbesen, der an eine schwarze, stachelige Pusteblume erinnert, zur Hand. Kindheitserinnerungen werden wach: der Kaminfeger mit Zylinder und Kleeblatt.

Das Surren des Staubsaugers reisst mich aus meinen Gedanken. Tamara führt den Besen in die kleine Öffnung und beginnt zu schrubben. Zwischendurch leuchtet sie mit einer Taschenlampe in den dunklen Schlund. Mit einem Handspiegel kontrolliert sie nach. Die kleinen Helfer hat sie an einem Arbeitsgürtel griffbereit verstaut. Jetzt ist auch Knöpfel angekommen. Ein kurzes Gespräch mit dem Kunden, schon widmet er sich der Holzheizung. Zu viel Russ. Es muss grösseres Geschütz her.

Der Kaminfeger vertreibt das Pech

Ich begleite Knöpfel zum Auto. Seine Begeisterung für den Beruf ist spürbar, sogar den traditionellen Zylinder hat er für ein Foto dabei. Einen Nutzen hat der Hut nicht. Einfach Tradition halt. Knöpfel streicht sich über das kurze, graue Haar und setzt den Zylinder auf.

Weil es im Kamin zu viel Glanzruss, oder eben Pech, hat, muss ein Schornsteinbesen mit Kettenaufsätzen her. Der Russ muss raus. Denn entzündet sich das Material, kann es bis zu 1500 Grad heiss werden, bis der Kaminschacht platzt. Doch der Kaminfeger bringt Glück ins Haus. Die Männer und Frauen in Schwarz vertreiben das Pech und schützten vor Hausbränden. Und wie ist das heute?

«Mit den modernen Heizungen sind wir immer mehr zu Servicetechnikern geworden.» In den meisten Haushalten stehen Öl- und Gasheizungen – in den Kaminschacht steigen, das gehört der Vergangenheit an. Ich bin etwas enttäuscht.

Es gebe aber noch eine Fischräucherei in der Region: ein mannshoher Raum voller Russ. Einmal im Jahr wird er vom Knöpfel-Team gereinigt. Dann komme der Russ bis in die Unterhosen. Nur in sehr ländlichen Gebieten muss der Kaminfeger noch in den Schornstein steigen.

Daniel Knöpfel hat das noch erlebt, wie er mir erzählt. Meter um Meter nach oben steigen und den Russ abschrubben. Dabei habe er die Knie an die Wand gepresst, um nicht nach unten zu rutschen. Ein körperlich anstrengender Beruf. Dank der modernen Technik ist das heute anders. Nur noch selten kehren die Kaminfeger mit russigen Gesichtern am Abend nach Hause.

Obwohl der Beruf weniger anstrengend ist, üben ihn noch immer mehr Männer als Frauen aus. Das Klischee scheint sich in den Köpfen der Leute zu halten – bei mir war es bis zu diesem Tag auf jeden Fall so.

Das Missgeschick

Der Staubsauger läuft noch immer. In Wellen saugt das Gerät die Luft ein und stösst sie in schrillen Tönen wieder aus. Vielleicht gewöhne ich mich noch an das Geräusch. Jetzt stellt sich Knöpfel vor den Kamin: Die Metallketten kommen zum Einsatz. Tamara hält den Staubsauger in die Höhe: Russwolken treten aus der kleinen Öffnung. Ich beobachte das Geschehen wortlos. Die Küche ist eng, ich kann nichts helfen.

Im anderen Raum hat sich der Hausbesitzer auf einen Stuhl gesetzt. Auch er verfolgt das Geschehen. Überwacht er oder interessiert es ihn? Ich kann es nicht sagen.

Endlich darf ich helfen. Tamara drückt mir eine kleine Stahlbürste in die Hand. Ich soll den Russ von der Ofentür schrubben. Was noch vor ein paar Minuten kinderleicht aussah, fühlt sich jetzt sehr anstrengend an. Der Russ weicht nicht aus den Ecken. Ich gebe auf. Tamara übernimmt. Schrubb, schrubb. Die Ecken sind sauber. «Für etwas dauert die Lehre ja drei Jahre.» Tamara schmunzelt. Ich scheine kein Naturtalent zu sein.

Im unteren Stock muss der Russ aus dem Kaminschacht geholt werden. Der Hausbesitzer begleitet uns. Er setzt sich auf einen Stuhl und beobachtet: Tür auf. Russ fällt raus. Tamara flucht. Damit hat sie nicht gerechnet, der pechschwarze Staub verteilt sich auf dem ganzen Boden.

Der Hausbesitzer verzieht den Mund: Jetzt wirkt er wirklich griesgrämig. Wir füllen zwei Abfallsäcke mit Russ, saugen den Boden und machen uns schliesslich mit Verspätung zum nächsten Kunden auf. «Das war jetzt peinlich», sagt Tamara im Auto. Holzheizungen seien eine schmutzige Angelegenheit. Trotzdem versuche sie, den Ort so sauber wie möglich zu verlassen. Ich muss an den missmutigen Gesichtsausdruck des Hausbesitzers denken – heute wohl nicht ganz gelungen.

Der zweite Auftrag

Nächste Station: eine Ölheizung. Damit ich mehr von ihrem Beruf sehe, hat Tamara unterschiedliche Heizungstypen ausgesucht. Wann sie welchen Kunden besuche, das könne sie grösstenteils selbst bestimmen. Am Nachmittag geht es dann zu einer Gasheizung. Dieses Mal kommen zwei Sauger mit: einer für Russ, der andere für Flüssigkeiten. Eine Ölheizung wird mit Laugenwasser gewaschen, erklärt mir Tamara.

Uns öffnet eine blonde Frau die Tür. Die Haare streng nach hinten genommen, ihr Blick verwirrt. Das habe sie jetzt ganz vergessen, ihr Mann habe noch etwas gesagt. Sie müsse bald weg, ob wir die Haustür nach getaner Arbeit abschliessen können? Natürlich. «Es ist schön, wie viel Vertrauen uns entgegengebracht wird», sagt Tamara. Der Kontakt mit den Kunden mache den Beruf spannend. «Dadurch wird man zum Menschenkenner.»

Die Wohnung ist sauber, aber voller Spielsachen. Als Erstes geht es zum Kamin: Glastür und ein bisschen Asche auf dem Rost. Eine kurze Reinigung ist angesagt. Hinter uns tritt ein kleines Mädchen in den Raum. Kurz beobachtet es das Geschehen, dann verliert es das Interesse und verschwindet wieder. Der Kaminfeger scheint nichts Besonderes zu sein.

Hat mich der schwarze Glücksbringer als Kind auch nicht beeindruckt? Vielleicht hat sich der moderne Kaminfeger zu weit vom alten Bild des zylindertragenden, russigen Schornsteinfegers entfernt und wird schlicht nicht mehr erkannt.

Tamara holt das Glasreinigungsmittel hervor: Das sehen die Kunden. Denn: «Die Innereinigung bekommen sie nicht wirklich mit. Dann meinen sie, wir haben gar nichts gemacht.» Wir verlassen die Feuerstelle sauberer als zuvor.

Die Mutter ist nicht mehr im Haus, wir gehen weiter zur Ölheizung im Keller: Tamara weiss genau, wo die Heizungen stehen. Sonst kann sie in den Unterlagen von vergangenen Jahren nachsehen. Kleinere Büroarbeiten gehören genauso zu diesem Beruf. Nach jedem Auftrag muss Tamara einen Rapport ausfüllen und die Rechnung machen: Barzahlungen gehen auch.

Die Arbeit an der Ölheizung erinnert kaum mehr an das Bild des klassischen Kaminfegers. Ein paar Knöpfe drücken, Verschalungen abnehmen. Drinnen wartet ein kleiner Metalltopf, der Brennraum. Die wenigen Rückstände werden kurz abgeschrubbt und anschliessend mit Wasser weggespült. Währenddessen läuft ununterbrochen der Staubsauger.

Endlich Mittagspause

Kurz vor zwölf ist die Arbeit beendet: Mittagspause. Gemeinsames Essen ist in dieser Branche eine Ausnahme. Kaminfeger ist ein einsamer Beruf: allein mit dem Auto, immer unterwegs von einem Termin zum nächsten. Doch heute treffen wir ein paar Teammitglieder in einem Raum in der Industriezone.

Erst heisst es einkaufen bei Lidl. Die Schiebetür geht auf. Ein Ehepaar schiebt desinteressiert den Einkaufswagen an uns vorbei. Keine Reaktion. An der Kasse reagiert auch niemand auf unsere schwarze Latzhosenuniform. Ganz klar: Der Zylinder fehlt.

In der Mittagspause erfahre ich, dass Tamara eher per Zufall zu ihrem Beruf gekommen ist. «Ich wollte immer mit meinen Händen arbeiten.» Nach etlichen Schnupperlehren entschied sie sich schliesslich für die Ausbildung als Kaminfeger. Der Job sei abwechslungsreich, kein Tag wie der andere: «Mal schrubbst du Russ, dann hängst du Hightech-Geräte an moderne Heizanlagen an.»

Auch Knöpfel schaut kurz vorbei: Keine Zeit, er muss zu einer Brandschutzkontrolle. Zu Mittag gibt es nur ein paar Gummibären. Weg ist er.

Der dritte Auftrag

Tamara und ich haben nur noch einen Auftrag vor uns: eine Gasheizung – die Krönung der Heizungstechnik. Also machen auch wir uns auf den Weg. Die nächste Kundin empfängt uns mit hochgezogenen Mundwinkeln: Sie wissen ja wohin. Ja, Tamara weiss wohin.

Dieses Mal kommt der dritte, kleine Staubsauger mit – Gasheizungen machen nicht viel Dreck. Jetzt heisst es Fingerarbeit. Die Anlage ist in einem kleinen Kasten. Der Brennkessel ist klein, die Rückstände weiss. Tamara klaubt die hartnäckige Kruste mit einem Stahlkamm weg. Der Staubsauger läuft.

Nicht jeder Kaminfeger reinigt Gasheizungen. «Wir sind da sehr fortschrittlich.» Das mache den Job anspruchsvoller, das gefällt Tamara.

Ein früher Feierabend

Schliesslich geht der Tag zu Ende. Für Tamara ein früher Feierabend.Ein paar Büroarbeiten muss sie noch erledigen, dann heisst es ab unter die Dusche – auf Arbeitszeit. Ich blicke an mir herunter. Meine Hände sind ein bisschen schwarz. An der Latzhose hängt Staub. Ziemlich sauber – keine Dusche für mich.

Fest steht, mein Bild des Kaminfegers hat sich komplett verändert. Statt Zylinder gibt es Latzhosen und anstelle des Kaminbesens einen Staubsauger. Trotzdem: Den Fegern in Schwarz hängt etwas Nostalgisches an, das Bild des russigen Glücksbringers besteht weiterhin: So steht auch das Knöpfel-Team hin und wieder Spalier an einer Hochzeit.

Und an jedem Neujahr stehen neben Marienkäfer und Kleeblättern kleine Schornsteinfeger aus Marzipan stramm in den Regalen der Grossverteiler. Auch wenn ich in Zukunft beim Gedanken an den Kaminfegern das pfeifende Geräusch eines Staubsaugers hören werde.

 

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