Nach 54 Jahren schliesst die Schuhmacherei

«Nach 54 Jahren schliessen wir unsere Schuhmacherei ab», stand Mitte Dezember in einem Inserat in der Limmatwelle. Einen Monat später stehen nur noch vereinzelte Schuhpaare in der Werkstatt von Ernst Häfliger.

Ernst Häfliger in seiner Werkstatt in Neuenhof, in der er 54 Jahre als Schuhmacher gearbeitet hat.Melanie Bär
Ernst Häfliger in seiner Werkstatt in Neuenhof, in der er 54 Jahre als Schuhmacher gearbeitet hat.Melanie Bär

Unauffällig, gleich eingangs Dorf, steht das weisse Haus. «Schuhmacherei» steht auf der Fassade geschrieben. Es ist nicht nur die Werkstatt, sondern auch das Wohnhaus von Ernst Häfliger und seiner Frau. An diesem Montagmorgen im Januar steht die Glastür noch einmal offen. Der Schuhmacher empfängt zwar keine Kundschaft, sondern eine Journalistin. «Dann können sie gleich schreiben, dass die Kunden bis Ende Januar ihre Schuhe abholen sollen», sagt er und zeigt auf ein altes Gestell. Noch knapp dreissig Paar Schuhe, frisch repariert und fein säuberlich nummeriert, stehen darin und warten darauf, abgeholt zu werden. «Ich bin am Leerräumen», sagt der 81-Jährige.

Die Durchnähmaschine und die Presse werden bereits am nächsten Morgen abgeholt. Sie werden in Oberentfelden weiterverwendet. Dort eröffnet eine seiner zwei Lehrtöchter ein eigenes Geschäft und übernimmt die beiden Maschinen.

Hat der Beruf denn überhaupt eine Zukunft? «Nur wenn man neben Reparaturen auch Massschuhe anfertigen kann», antwortet der Schuhmacher. Denn Reparaturaufträge seien seit den 80er-Jahren rückläufig. Seit man günstig importierte Schuhe aus dem Ausland kaufen kann, werden Schuhe bei einem Defekt schneller weggeworfen, anstatt sie beim Schuhmacher flicken zu lassen. Absätze und Sohlen ersetzen oder aufgerissene Nähte zunähen sei immer weniger gefragt. Der Preis dafür stehe eben nicht im Verhältnis zum Neukauf eines billig importierten neuen Schuhs. Was noch rentiere, sei die Anfertigung von Massschuhen. Bei gesundheitlichen Beschwerden werden die Füsse ausgemessen, Abdrücke gemacht und vom Schuhmacher der passende Schuh angefertigt. Zwischen 2000 und 4000 Franken kostet eine solche Erstanfertigung.

Bis zu seiner Pensionierung hat auch Ernst Häfliger solche Massschuhe angefertigt. Aufgrund gesetzlicher Auflagen hätte er danach weitere Ausbildungen machen müssen, damit die Kosten dafür weiterhin von Suva, IV oder Krankenkasse übernommen worden wären. Das wollte er nicht mehr und hat sich deshalb nach der Pensionierung auf Reparaturen beschränkt. Allerdings hätte er nicht alleine davon leben können. «Nur dank der AHV konnte ich überleben.» So kam es, dass er nach Erreichen des Pensionsalters noch sechzehn Jahre anhängte. Am Dienstag und Freitag, wenn nötig auch am Mittwoch, war er bis Ende Jahr in seiner Werkstatt anzutreffen.

Doch nun will er endgültig aufhören und seinen Laden und die Werkstatt vielleicht in ein provisorisches Schlafzimmer umgestalten. Nicht ganz freiwillig, sondern weil ihm das Treppenlaufen immer mehr Mühe macht. «Denn sonst müsste ich vielleicht ins Altersheim und das würde mir keine Freude machen.» Lieber würde er mit seiner Frau im Eigenheim bleiben und räumt deshalb nun den Laden und die Werkstatt leer. Ein, zwei Maschinen will er noch behalten, um auch künftig wenigstens seine eigenen Schuhe reparieren zu können. Denn leicht fällt ihm die Geschäftsaufgabe nicht. Die Kundschaft werde ihm fehlen: «Bei ihr möchte ich mich auch herzlich bedanken. Nur dank meinen Kunden konnte ich so lange überleben.»

Was wird er mit der freien Zeit machen? «Das ist eine gute Frage. Ich weiss es auch noch nicht», sagt er und zählt auf, was er alles noch tun könne: lesen, fernsehen, Auto fahren. «Vielleicht besuche ich einen Italienischkurs. Nicht weil ich es brauche, sondern damit ich etwas zu tun habe», sagt er. Doch noch ist er mit Aufräumen beschäftigt. «So ändert alles im Leben», sagt er und schliesst die Ladentür.

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